Titelbild Osteuropa 4-5/2022

Aus Osteuropa 4-5/2022

Der De-Ukrainisator
Timofej Sergejcev: „Methodologe“, Polittechnologe, Kriegspropagandist

Il’ja Venjavkin


Abstract in English

Abstract

Im April 2022 rief der Moskauer Polittechnologe Timofej Sergejcev auf der Internetseite der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti offen zum Völkermord in der Ukraine auf. Ziel von Russlands „Spezialoperation“ müsse es sein, durch Massenrepressionen und Umerziehung eine „Entnazifizierung“ durchzuführen, also die Idee einer ukrainischen Nation zum Verschwinden zu bringen. Die intellektuelle Biographie Sergejcevs steht exemplarisch für die Entwicklung des Denkens der russländischen Führungsschicht in den vergangenen 40 Jahren. Am Anfang stand die Vorstellung von Gesellschaft als einem steuerbaren System. Georgij Ščedrovickij, ein Weggefährte des Philosophen und einstigen Dissidenten Aleksandr Zinov’ev, entwickelte daraus eine „Methode“, die Sergejcev in den 2000er Jahren als Wahlkampfmanager im Dienste ukrainischer Politiker anwendete. Hinzu kam schon in den 1990er Jahren die Vorstellung, der Westen habe sich gegen Russland verschworen. In den 2010er Jahren sprachen die Adepten Ščedrovickijs und Zinov’evs immer öfter davon, dass ein „Großer Krieg“ gegen den Westen unausweichlich sei. Sergejcevs Text ist eines von vielen Dokumenten, die sich den praktischen Seiten, den „Methoden“, im „metaphysischen Kampf“ zur Wiederbelebung des russischen „Volksimperiums“ widmen.

(Osteuropa 4-5/2022, S. 59–77)