Schule der Grausamkeit
Abstract in English
(Osteuropa 8-10/2016, S. 81)
Volltext
Platonov hat mit der Sprache das gemacht, was die Bolschewiki, grob gesagt, mit dem Marxismus gemacht haben: Er hat das Theoriematerial genommen und es einfach zerschlagen, umgestülpt, den Wörtern und Sätzen die Gelenke herausgeschraubt, die Theorie ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, sie überhaupt jeglicher Bedeutung beraubt. Dem Marxismus ergeht es ähnlich, wenn Platonovs Helden ihn zwischen die Finger kriegen. In ihrer Verwirklichung verliert die Utopie ihren Sinn und nimmt einen gänzlich anderen, einen bösartigen, grausamen Klang an, der alle auslöscht, die an ihr beteiligt sind, die eine Berührung mit ihr riskieren, sie in die Hand nehmen, an sie glauben.
Platonovs Sprache ist genauso grausam wie die Wirklichkeit, die sie beschreibt. Die Wörter sind ihres natürlichen Kontextes beraubt, aus ihrer Umgebung herausgerissen, sie klingen, wie Fleisch klingt, das der Schlachter zerstückelt. Und so benehmen sich auch Platonovs Figuren, die aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurden und kreatürlichen, unnatürlichen Bedingungen ausgesetzt sind wie Menschenfresser. Sie besiedeln leere Gebäude und versuchen zu verstehen, wer vor ihnen hier gelebt hat, ob diejenigen für immer verschwunden sind, und vor allem, warum sie keine Menschenfresser gewesen sind.
Platonov ist so grausam, dass jede Generation ihn neu lesen muss – damit nichts in der Vergangenheit zurückbleibt und man in der Zukunft auf alles gefasst ist.
Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Jena