Ein Heiliger der kommunistischen Revolution
(Osteuropa 8-10/2016, S. 393)
Volltext
Platonov hat die Revolution beim Wort genommen. Wenn sie wirklich eine Revolution sein soll, so muss sie alle Existenz erneuern, erfüllen, besser machen. Die Revolution kann sich nicht darauf beschränken, die Machtverhältnisse einer Gesellschaft zu ändern: die Armen reich und die Reichen arm zu machen. Die Revolution muss auch etwas mit Vögeln, Bäumen und dem Wetter zu tun haben – aus der Revolution muss die Welt neu geboren werden.
Von Platonov habe ich gelernt, dass es falsch war, den Menschen aus der ihn umgebenden Welt herauszureißen. Denken und Körper sind unzertrennlich. So funktionieren auch Platonovs Helden nur im Zusammenspiel mit den meteorologischen Phänomenen, mit der Geschichte, mit den Naturprozessen – und mit den Maschinen. Ja, auch die Maschinen beschenkt er mit einer Seele. Er macht sie verständig.
Platonov hat bewiesen, dass Literatur – und vielleicht nur sie – die elementare Existenz, das „nackte Dasein“ artikulieren und wahrnehmbar machen kann. Manche seiner Protagonisten handeln unüberlegt, spontan, sie reflektieren nicht, sondern spüren ihr Dasein ganz unmittelbar. Hin und wieder, scheint mir, habe ich mich als Schriftsteller davon beeinflussen lassen.
Am liebsten möchte ich Platonov mit Franz von Assisi vergleichen, der das Christentum beim Wort genommen hat. Mond und Wind rief er als seine Schwestern an, Sonne und Feuer als seine Brüder. In meinem jüngsten Roman Der Trost des Nachthimmels tritt eine Figur auf, ein tapferer Mensch namens Salm, ein ehemaliger Soldat, der sein altes Leben verlässt und glücklich ist, dass der Wind und die Sonne seine Existenz bezeugen. Er hat alles aufgegeben, um fortwährend seinem „nackten Dasein“ nah zu sein. Ja, dieser Salm, so scheint mir, ist auch von den Helden Platonovs inspiriert, dem Heiligen der kommunistischen Revolution.