Philologen gegen Philosophen
Georgiens Weg in eine unfreie Freiheit
Zaal Andronikashvili, Giorgi Maisuradze
Abstract in English
Abstract
Georgien stand im Jahr 1990 an einer Wegscheide. In der Debatte über die Zukunft des kurz vor seiner Unabhängigkeit stehenden Landes zeigten sich Grundmuster des nationalen Selbstverständnisses. Eine rückwärtsgerichtete, den nationalen Mythos pflegende „philologische“ und eine nüchtern-analytische, in der Gegenwart verortete „philosophische“ Strömung lagen im Widerstreit. Die Wahl des Literaturwissenschaftlers Zviad Gamsakhurdia zum Präsidenten besiegelte auf Jahre hinaus die Dominanz der Philologen und einer klassenartig organisierten Intelligencija, die sich als Hüterin der Nationalkultur ausgab. Die Gegenströmung repräsentierte der Ende 1990 verstorbene Philosoph Merab Mamardashvili, der für ein Ethos der Verantwortung und einen tätigen Freiheitsbegriff eintrat. Die Niederlage dieser Strömung führte zur Eskalation von Konflikten, deren Folgen bis heute nicht überwunden sind.
(Osteuropa 7-10/2015, S. 231246)