Hilflos im Dunkeln
"Experten" in der Ukraine-Krise: eine Polemik
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Abstract in English
Abstract
Nach einem Jahr der Diskussion über die Krise in der Ukraine und Russlands Krieg gegen die Ukraine ist es an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Die Renaissance des geopolitischen Fatalismus, die Deutungshoheit selbsternannter Experten, historische Denkverbote sowie die Sprachlosigkeit der Fachleute insbesondere aus der Geschichtswissenschaft ergeben einen beklemmenden Befund: Im Angesicht ihrer größten Herausforderung haben die deutschen Osteuropa-Experten versagt.
(Osteuropa 9-10/2014, S. 1334)
Volltext
Mitten in Europa führt eine Atommacht gegen ein Nachbarland, das nach einer Bürgerrevolte instabil und verwundbar ist, einen Krieg. Wir sind Zuschauer, wie Tausende sterben und wie eines der wichtigsten Industriegebiete des betroffenen Landes in Schutt und Asche gelegt wird. Wir wissen, wer diesen Krieg begonnen hat und warum. Die Daten der Einmärsche, die Okkupations- und Annexionsakte und der gescheiterten Waffenstillstandsabkommen liegen vor. Die Fotos von Truppen an Orten, wo sie nach internationalem Recht nicht sein dürften, sind ebenso zu haben wie die Belege für Kriegswaffen in Händen von Leuten, die über sie nicht verfügen sollten.
Wir sind informiert über Referenden und Wahlen, die nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Wir kennen die Fahrtrouten der angeblichen humanitären Konvois, die nach Belieben Grenzen verletzen, Waffen bringen und mit demontierten Industrieausrüstungen wieder abfahren. Wir verfügen über Selbstaussagen der Aggressoren und ihrer Hilfstruppen, die keinen Zweifel an ihren Motiven und Zielen lassen. Der Angreifer ruft offen zur gewaltsamen Abwicklung des Nachbarlandes auf, er zeichnet neue Karten und erfindet neue Territorialbezeichnungen.
Wir staunen über die Absurditäten und Bizarrerien dieses Krieges, sind entsetzt über die hochtourig laufende Propagandamaschinerie, die Hass und Angst verbreitet und Worte wählt wie seit den 1940er Jahren nicht mehr. Wir lernen, dass es nicht mehr reicht, aus den Nachrichten solcher Herkunft mit philologischer Akribie ihren Faktenkern herauszuschälen, sondern dass Nachrichten schlicht erfunden werden. Wir wundern uns über das hartnäckige Leugnen des Aggressors. Wir hören von ihm, dass Schwarz Weiß sei, zwei mal zwei gleich fünf und reguläre Kampftruppen lokale Selbstverteidiger oder verirrte Touristen – während echte Touristen mit Flugabwehrwaffen vom Himmel geschossen werden. Wir hören von historischen Rechten, welche das Blutvergießen heiligen. Mehr noch, all diese Selbstaussagen über Pläne, Motive und historische Begründungen und die Blaupausen zu diesem Spektakel in Form ähnlicher Kriege und Propagandakriege, ähnlicher Aggressionsakte und frozen conflicts liegen uns seit Jahren vor.
Wir befinden uns im Jahre 2014 im östlichen Europa. Es geht um den Konflikt zwischen einem der größten Staaten Europas, der Ukraine, und der eurasischen Großmacht Russland. Wir sollten meinen, dies sei der Zeitpunkt, an dem die historische Osteuropaforschung wirklich gebraucht wird. Sie wird uns über Ursachen, Akteure und ihre Motive aufklären, die historischen Hintergründe offenlegen und eine Einordnung der Vorgänge gestatten; sie wird dreiste Lügen von belegbaren Behauptungen scheiden und Geschichtsmythen sezieren. Sie wird sich aber auch bemühen, Ambivalenzen und innere Widersprüche der Konfliktparteien darzulegen und ihre Sprache zu deuten. Die Repräsentanten einer engagierten Geschichtswissenschaft des östlichen Europa werden ihre Position offensiv in der Öffentlichkeit vertreten und sich womöglich auch der Frage stellen, inwieweit das alles aus historischer Erfahrung vorhersagbar war.
Diskutanten im Vakuum
Stattdessen bietet sich ein anderes Bild. In der Stunde ihrer größten Herausforderung seit 1989, die inzwischen ein Jahr dauert, hat die historische Osteuropaforschung fast auf ganzer Linie versagt – sowohl durch Unterlassen als auch durch Handeln. Nicht alle Schuld trifft die handelnden oder nicht handelnden Personen. Auch strukturelle Ursachen, die in unserer jüngeren Fachgeschichte liegen, spielen eine Rolle. Die größte Sünde war die Unterlassung. Als die Revolution auf dem Majdan eskalierte und der Erklärungsbedarf kulminierte, tat sich ein Vakuum auf. Die Osteuropa-Experten konnten oder wollten es nicht füllen. In den Talkshows und Feuilletons, ja selbst in der Politikberatung von Parlament und Regierung übernahm eine ganze Phalanx von selbsternannten oder von den Medien zu solchen bestimmten „Ukraine-Experten“ und „Russlandkennern“ die Interpretationshoheit – ohne auf wesentlichen Widerstand von Seiten der Wissenschaft zu treffen.
Harmlos war das im Fall der Piratin Marina Weisband, die außer einer Kindheit in Kiew und einigen Nettigkeiten über den Majdan nichts zur Sache beizutragen hatte. Zum Belächeln war es im Falle von Alice Schwarzer, die berufene Expertin für den leidenden Mann im autoritären Kremlherrscher. Katastrophal ist das jedoch im Falle unserer sozialdemokratischen Altkanzler Gerhard Schröder und Helmut Schmidt. Der eine tourt als Lobbyist der russländischen fossilen Rohstoffaristokratie durch die Lande, der andere doziert im geopolitischen Kasinoton des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers über das im Grunde doch verständliche Ansinnen Russlands, den Kunststaat Ukraine schrittweise abzuwickeln.[1] Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die sozialdemokratische Kriegsteilnehmer-Generation – neben Schmidt auch Erhard Eppler und Egon Bahr sowie in ihrem journalistischen Gefolge der Feuilletonchef der Zeit Jens Jessen – die deutsche historische Schuld ausgerechnet auf Kosten des Landes abzutragen versucht, das im Juni 1941 zuerst von den Wehrmachtsstiefeln zertrampelt wurde: der (Sowjet-)Ukraine, deren Bürger im Zweiten Weltkrieg einen ungeheuren Blutzoll entrichteten.
Nicht nur verwechseln sie die Sowjetunion ständig mit „Russland“. Sie billigen auch dem sowjetischen Nachfolgestaat Russland aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zu, auf vermeintliche Bedrohungssituationen heute empfindlicher zu reagieren als andere Staaten. Doch auf die Idee, dass der sowjetische Nachfolgestaat Ukraine oder die Balten und Polen aufgrund derselben Erfahrung genauso sensibel sein könnten, kommen sie nicht.[2] Wie zu Zeiten der Solidarność verspüren die Granden der Entspannungspolitik der 1970er ein Unbehagen, wenn unbotmäßige Osteuropäer Sand ins Getriebe der großen Verständigungsmaschine streuen.
Erhard Epplers Stoßrichtung ist es, die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern. Aber diese steht gegenwärtig gar nicht auf der Tagesordnung, mögen auch viel mehr Ukrainer nach den Erfahrungen dieses Jahres für den Beitritt sein, als das noch 2013 der Fall war. Eppler hält dies für ein verwerfliches Vorrücken des atlantischen Bündnisses „ins Herz Russlands“, zu dem die Ukrainer „seit Menschengedenken“ gehörten. Dass ein Teil der Ukraine überhaupt erst seit dem Zweiten Weltkrieg dazu gehört – jedoch genau genommen nicht zu „Russland“, sondern zur Sowjetukraine –, das sind jene lästigen Kleinigkeiten, die unsere Experten für Geopolitik gern ignorieren.
Trotz dieser Defizite in Landeskunde und Geschichtskenntnis über das östliche Europa verteilt Eppler auch Noten in Sachen Demokratie und politischer Kultur. An der Ukraine, die unter Kriegsbedingungen inzwischen zwei korrekte demokratische Wahlen organisiert hat, bemängelt er die „fehlende politische Kultur“ und den „Hass auf alles Russische“, der freilich ausweislich von Umfragen und nicht zuletzt Wahlergebnissen weit hinter dem organisierten Ukraine-Hass in Russland zurückbleibt.[3] Doch kommt Eppler auch in anderen Fragen der Maßstab abhanden. Xenophobie und antiwestliche Massenmobilisierung in Russland deutet er milde als „deftige“ Propaganda eines europäischen Traditionsstaates, setzt sie im zweiten Halbsatz mit der zwar nicht so groben, aber dafür „raffinierten“ Propaganda im Westen gleich.
In Epplers Texten manifestiert sich exemplarisch und in besonders befremdlicher Weise die Verständnisinnigkeit des westdeutschen Sozialarbeiters, der dem russischen Intensivtäter mildernde Umstände zugute hält, weil der eine schwere Jugend mit EU und NATO gehabt habe. Für die Ukrainer hat Eppler nicht so viel Verständnis. Der Sozialdemokrat, der natürlich selbst „nicht so regiert werden [will], wie Putin Russland regiert“, macht sich trotzdem die paternalistisch-imperiale russische Perspektive zu Eigen, der zufolge die Ukrainer zu unreif und zu ungezogen zur Staatsbildung seien. Von diesen Bauernlümmeln, die sich im Parlament prügeln, will man sich natürlich nicht sein gutes Verhältnis zur großen russischen Zivilisation verderben lassen. Auch wenn die russische Regierung – zwar nicht in ihrem eigenen stillgelegten Parlament, sondern im Nachbarland – nicht nur prügeln, sondern auch schießen lässt.
Der ostdeutsche Sozialdemokrat Matthias Platzeck, der es eingedenk eigener Erfahrungen in der Bürgerrechtsbewegung eigentlich besser wissen müsste, machte später in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse gar mit dem Vorschlag Furore, dass die Ukraine freiwillig auf die von Russland besetzten Territorien verzichten solle, denn „der Klügere gibt nach“. Obgleich sich Platzeck nach Protesten von dieser Formulierung zähneknirschend distanzierte, blieb er doch bis heute der mitgelieferten Argumentationslinie treu: Seine Priorität ist die „Stabilität“ Russlands, die er durch Sanktionen und Bestehen auf der völkerrechtlichen Norm gefährdet sieht. Diese Stabilität in Russland, sei sie auch mit Strömen von Blut außerhalb Russlands erkauft, ist in den Augen des Deutsch-Russischen Forums, für das Platzeck als Vorsitzender spricht, das höchste Gut, geht es hier doch überhaupt nicht mehr um die Ukraine, sondern um deutsche Wirtschaftsinteressen in Russland.[4] Ganz nebenbei schleicht sich hier in die Rede des Demokraten die Botschaft des Systems Putin ein: „Wir sind alternativlos! Denn ohne uns keine Stabilität.“ Die Position, die uns Platzeck nahebringen will, steht in einer so langen wie eigentümlichen deutschen Nachkriegstradition der stabilitätsorientierten und ökonomisch auskömmlichen Kooperation mit Diktaturen – vom faschistischen Spanien über die Juntas in Chile und Argentinien bis zum boomenden China.
Historiker erklären die Ukraine-Krise
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der erste Osteuropahistoriker, der sich an prominenter Stelle zur Ukrainekrise äußerte, Jörg Baberowski war – derselbe, der 1998 in Osteuropa die Debatte über Sinn und Nutzen der Osteuropäischen Geschichte angestoßen hatte.[5] Damals hatte er mit der Äußerung provoziert, eigentlich könne das Fach, weil es durch die Zeitläufte historisch überflüssig geworden sei, nun mit regionaler Perspektivierung in der Allgemeingeschichte aufgehen.
Tatsächlich sind Baberowskis Einlassungen zur Ukraine der beste Indikator dafür, dass sich die Osteuropäische Geschichte teilweise selbst abgeschafft hat: abgeschafft als Disziplin von Spezialisten mit einem eigenen Ethos, das jeden Sprecher dazu verpflichtet, seine Aussagen auf Landeskenntnis, eigene Forschungsleistung sowie profunde Kenntnis der Forschungsliteratur zu gründen. Wohl wollte Baberowski provozieren, genauso wie ich jetzt provoziere. Was seine Aussagen aber so fatal machte, war nicht die Provokation als solche, sondern die konsequente Anwendung eines analytischen Doppelstandards zur Erklärung der ukrainisch-russischen Problematik – und das unter der Ankündigung, er werde jetzt mal den Deutschen die Ukraine erklären, nachdem alle anderen an dieser Aufgabe gescheitert seien.[6]
Darin ist ihm insofern Recht zu geben, als die wenigen deutschsprachigen Universitätslehrer, die Ukraine-Expertise besitzen, sich in der Krise nicht selbst zu Wort gemeldet hatten. Daher wurde Jörg Baberowski gefragt, der sich als Spezialist für Stalinismus- und Gewaltgeschichte der Sowjetunion einen Namen gemacht hat, jedoch nicht als Kenner der Geschichte der ukrainischen Nationsbildung oder der Sowjetukraine. Er hält diese Themen womöglich auch für irrelevant. Das ist sein gutes Recht. Das enthebt ihn aber nicht der Pflicht, die gewählten Analysestandards konsequent auf seinen Untersuchungsgegenstand anzuwenden. Der umfasste neben der Ukraine auch Russland. In Abwandlung des Horkheimer-Zitats über Kapitalismus und Faschismus könnte man zu diesem Fall sagen: „Wer von Russland nicht sprechen will, sollte von der Ukraine schweigen.“
In der Fehlannahme, der Kenntnisstand zur Geschichte der ukrainischen Nationsbildung sei noch jener der Nationalromantiker des 19. Jahrhunderts, so dass er diesem Zustand jetzt einmal ein Ende setzen müsse, unterzog Baberowski die ukrainische Nationsidee und den ukrainischen Staat als solchen einer Analyse, die jedem Anhänger der konstruktivistischen Schule eine Freude sein musste – mir natürlich auch, die schon als Doktorandin in den 1990er Jahren bei Diskussionen in der Ukraine Prügel für „konstruktivistische“, „föderalistische“, „drahomanovistische“ und andere linksabweichlerische Perspektiven auf die ukrainische Nationsbildung einstecken musste. Nur dass Baberowski seine Analyse mit der Schlussfolgerung beendete, die ukrainische Staatsidee sei künstlich, das ukrainische Staatsgebiet genauso instabil wie die Staatsidee und ohnehin erst von Stalin geschaffen; ferner wolle ein Teil der ukrainischen Bevölkerung diesen Staat ohnehin nicht, weil sie, wie auch der Großteil der Russen, an einem „imperialen Phantomschmerz“ leide und eigentlich eine sowjetische Identität habe. Der Historiker ließ schließlich den Ratschlag folgen, Ukrainer und Russen, Ost und West, sollten doch so zivilisiert auseinandergehen wie seinerzeit Tschechen und Slowaken.
Die Diagnose und dieser öffentlich vorgetragene Ratschlag offenbaren dreierlei: erstens die Ausblendung der Tatsache, dass sich die Ukrainer mit ihrer „19. Jahrhundert-Nation“ in bester europäischer Gesellschaft befinden, da die Herkunft aus dem nationalen Zeitalter nun einmal das Spezifikum der modernen Nationsideen ist.[7] Die ukrainische Nationsidee ist auf ähnlichem Wege zustande gekommen wie die tschechische, italienische, polnische, deutsche, finnische oder norwegische. Wie diese hat sie typische intellektuelle Vorreiter und historisch spätere Breitenwirkung, sie hat ihre Mythologien, inneren Widersprüche, Helden- und Schurkennarrative. Vor allem aber vergaß Baberowski, seine Werkzeuge aus der Kiste des Dekonstruktivismus auch auf den großrussischen Nationalismus und seine Mythologien anzuwenden, der sich gerade auf der Krim und in der Ostukraine gewaltsam breitmachte und sich von der Idee des Russländischen Imperiums ja gerade dadurch unterscheidet, dass er ethnozentrisch argumentiert. Aber der russische Mythos erscheint von jeder Analyse enthoben. Kiew sei nun mal der mythische Ur-Bezugspunkt der Russen – jener der Ukrainer offensichtlich nicht? – und das erkläre die russische Reaktion, die man gefälligst zu verstehen habe.
Zweitens ist Baberowski entgegenzuhalten, dass der diagnostizierte „Phantomschmerz“ bei den meisten Menschen in der untergegangenen Sowjetunion ganz gewiss kein imperialer ist, sondern ein sozialer. Drittens würde man die Ukraine, in der es bekanntlich keinen „östlichen“ russischen und „westlichen“ ukrainischen Landesteil gibt (auch wenn eine schlechte Kartographie in unserer Publizistik das immer wieder suggeriert) in den Bürgerkrieg treiben, wenn man eine Teilung nach Sprachzugehörigkeit vornehmen würde. Diese würde nämlich die totale Zerstückelung des Landes, die Teilung von Städten, Straßenzügen, Wohnungen und Familien erfordern – eine Entflechtung, die wir euphemistisch als „Repatriierung“ oder zynisch als „ethnische Säuberung“ etikettiert aus dem 20. Jahrhundert zur Genüge kennen.
Genau das will in der Ukraine bis auf kleinste Minderheiten auf Seiten ukrainischer Rechter und prorussischer Anschlussnationalisten im Donbass niemand.[8] Doch diese Möglichkeit einer Teilung zu suggerieren, hat Russlands Staatspropaganda in einigen Gebieten der Ukraine mal auf subtile, mal brachiale Weise jahrelang und – tragischer Weise – mit Erfolg betrieben. Sie hat den „Bürger“krieg nicht nur herbeigeredet und herbeigelogen, sie hat ihn schließlich, samt Akteuren und Waffen, sogar gleich mitgeliefert.
Der Fehler, die Sprachpräferenz, die „ethnische“ Zugehörigkeit und die politische Orientierung gleichzusetzen und die Mehrsprachigkeit oder situative Zweisprachigkeit der Menschen in der Ukraine zu ignorieren, hat in der Frühphase der Auseinandersetzung auch hierzulande zu der platten Fehlwahrnehmung geführt, dass es sich um einen ethnischen Konflikt handele. Diese Fehlperzeption war bis in unsere Regierungskreise zu beobachten und spielte letztlich dem russischen Eskalationsinteresse in die Hände. Denn wenn man, wie Vizekanzler Sigmar Gabriel, die Existenz von „Gebieten mit russischer Mehrheit“ [9] in der Ukraine zugrunde legt, dann kann man auch Russland ein legitimes Interesse am Schutz seiner „Landsleute“ zubilligen. Wer sich die Karte der Ukraine als zwischen ethnischen Gruppen geteilt vorstellt, der wird einer faktischen Teilung der Ukraine schließlich keinen Widerstand entgegensetzen. Jedoch gibt es keine politisch und sprachlich trennbaren Gebiete und auch keinen Schutzgrund. Abgesehen von der politisch törichten Gesetzesinitiative in der Kiewer Rada für ein neues Sprachgesetz nach der Flucht Janukovyčs, das jedoch durch das Veto des Interimspräsidenten verhindert wurde, gab es in der Ukraine keinerlei Versuche, den Status quo des Russischen anzutasten.[10]
Auch mit der sowjetischen Identität als Teilungskriterium der ukrainischen Gesellschaft ist es so eine Sache. Im Rahmen eines Forschungsprojekts habe ich monatelang in der ukrainischen Atomstadt Kuznecovsk gearbeitet – einer 1973 gegründeten kerntechnischen Werksstadt voller „Sowjetmenschen“, in der sich die Traditionen, sozialen Identitäten und Festkulturen der sowjetischen Ära mit jenen der postsowjetischen Ukraine genauso rätselhaft und unentwirrbar vermischen wie die russischsprachigen Techno-Migranten aus allen Ecken der untergegangenen Sowjetunion mit den polessischen Einheimischen. Die Kuznecovsker Ingenieure, IT-Leute und Turbinenmaschinisten, die in zweisprachigem Regime vier Kernreaktoren betreiben, möchten ganz gewiss nicht alle ihre Erfahrungen und Erinnerungen aus der Sowjetunion auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen. Doch auch unter diesen Leuten gibt es niemanden, der, mit Putin als Oberarzt, die Auflösung der Ukraine als Therapie für imperialen Phantomschmerz akzeptieren würde.[11] Vielmehr berichteten sie mir, mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen, wie ihre russischen Verwandten und Freunde ihnen am Telefon die Verhältnisse in der Ukraine erklären. Da sei gegen eine Mauer aus Propaganda und Vorurteilen nichts mehr zu machen.
Um zu verstehen, was die Ukraine heute zusammenhält und eben nicht auseinandertreibt – vorausgesetzt, man lässt die Ukrainer in sicheren Grenzen leben – reicht es nicht aus, die Menschen nach Sprachpräferenz zu klassifizieren. Um das zu leisten, muss man ihnen zuhören oder ihre Texte lesen. Die ukrainische Revolte vom Winter 2013/14 war zu erheblichen Teilen von russischsprachigen Ukrainern getragen. Und die Verteidiger der Ukraine sprechen heute genauso Russisch wie Ukrainisch. Anders noch als zu Zeiten der nationalen Volksbewegung Ruch der 1990er Jahre, die eindeutig ukrainischsprachig dominiert war und ein ausschließlich ukrainisches kulturelles Programm vertrat, haben wir es heute mit der Genese eines überethnischen Staatsnationalismus zu tun. Für diese ukrainische Staatsnation treten Menschen in Kiew, Dnipropetrovs’k, Charkiv und Odessa, Lemberg und Rivne, Černihiv und Poltava gleichermaßen ein. Warum nicht auch in Donec’k und Luhans’k – oder präziser, warum diejenigen, die dort für dasselbe Ziel eintraten, zum Schweigen gebracht oder vertrieben wurden, darauf wird noch zurückzukommen sein.
Dass dieser Nationalismus auch historische Wurzeln hat, und dass Zweisprachigkeit auch historisch sein Markenzeichen war – das hat Jörg Baberowski in Unkenntnis der Forschungslage verneint: „Kiew und Char’kov“ seien keine Zentren der ukrainischen Identitätsbildung gewesen, der ukrainische Patriotismus ein westukrainisches, gar westliches Konzept, das dem Rest des Landes künstlich aufgestülpt werde. Das gehe einher mit Holodomor-Opfermythologie und NS-Verharmlosung. Mit letzterem sprach Baberowski zutreffend die katastrophalen Folgen der Geschichtspolitik unter Präsident Viktor Juščenko an, als nationalistische antisowjetische Partisanen zu Nationalhelden erklärt und die historische Erinnerung der Sowjetukraine im Zweiten Weltkrieg, die vorher das hegemoniale Narrativ gewesen war, wesentlich in Frage gestellt wurde.[12] Das hat die Ukrainer tatsächlich gespalten – allerdings mehr zwischen den Generationen als zwischen Ost und West.
Hinsichtlich aller anderen Argumente muss man Baberowski jedoch energisch widersprechen. Das leisteten zwei Schweizer, der emeritierte Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler und der St. Gallener Slavist und Kulturwissenschaftler Ulrich Schmid in der Zeit und der Neuen Zürcher Zeitung höchst sachlich und besonnen, während ich mit einem Offenen Brief dagegenhielt.[13] Nach Baberowskis Lesart ist die ukrainische Nation ein westukrainisches Konstrukt. Das Gegenteil ist der Fall: Während in Galizien noch der russophile Klerus an der Spitze der ruthenischen Nationalbewegung von einer ostslavischen Kulturrenaissance unter Zar und Orthodoxie träumte, kamen sämtliche ukrainophilen Impulse, Sprachkodifizierungsprojekte und die intellektuellen Vordenker der Nationsbildung aus der russländischen Ukraine – genauso wie wegweisende Theoretiker einer demokratischen und territorialen Reform des russländischen Imperiums wie Mychajlo Drahomanov oder im 20. Jahrhundert der Nationalhistoriker Mychajlo Hruševs’kyj.[14] Auch in der Sowjetukraine überrascht immer wieder, wie viele Träger der modernen Nationsbildung – so in den Reihen der sogenannten „1960er“ – aus dem (Süd-)Osten der Ukraine und auch aus dem Donbass stammen; ein Beispiel ist der berühmte Dichter und Dissident Vasyl’ Stus.
Die Sowjetukraine hat eine ambivalente Geschichte, so wie Geschichte nie geradlinig, sondern häufig auch ironisch ist. Natürlich trifft es zu, dass die Angliederung der ehemals zu Polen gehörenden Gebiete unter Stalin eine wichtige Etappe in der Herausbildung des heutigen ukrainischen Staatsterritoriums war. Die gewaltsame Sowjetisierung und Kollektivierung in der Ukraine wiederum forderte Millionen Menschenleben. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere seit der Chruščev-Periode, waren die sowjetische Industrialisierung und die Urbanisierung auch Antriebsriemen der ukrainischen Nationsbildung. Es kam zur Herausbildung einer urbanen und trotz aller Repression erstaunlich lebendigen und polykulturellen ukrainischen Gesellschaft.
All das war – nach der vollständigen Vernichtung einer ganzen Generation ukrainischer Intellektueller, Wissenschaftler, Politiker, Verwaltungsfachleute, Ingenieure und Militärs im Großen Terror – der zweite Anlauf zur ukrainischen Moderne im 20. Jahrhundert. Natürlich war er sowjetisch! Und natürlich liegt die Zeit noch vor uns, in der ukrainische Historiker die Geschichte der Sowjetukraine mit diesen Ambivalenzen schreiben werden können, ohne Kolonialismus-Pathos, Russifizierungs-Axiom, Genozidvergleiche und Nationalkitsch – jüngere ukrainische Historiker haben damit bereits begonnen.[15] Aber warum die späte, die sowjetische Phase der Nationsbildung der Ukrainer als Argument herhalten soll, der ukrainische Staat von heute habe ein gemindertes Existenzrecht gegenüber dem russischen Staat von heute – das bleibt uns ein Rätsel. Wer den Deutschen die Ukraine zu erklären vorgibt und dabei eine Abwicklung der Ukraine als neoimperialen Kollateralschaden billigend in Kauf nimmt, der erklärt nichts – der kapituliert vor dem Aggressor.
Dabei böte die Ukraine in diesem Jahr dem Gewalthistoriker Baberowski mehr als genug Betätigungsfelder. Die auf der Krim und im Donbass aktiven Gewaltgemeinschaften und Gewaltunternehmer harren noch immer einer wissenschaftlichen Analyse. Im letzteren Fall haben wir es eben nicht mit einer aus fehlgeleitetem Antifaschismus und Proletenstolz gespeisten Revolte von Bergleuten und Stahlarbeitern gegen Kiew zu tun. Die kehren in diesen Wochen die Trümmer ihrer abgesoffenen Bergwerke und zerschossenen Fabriken zusammen und versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Wer im Donbass, der Heimat und dem politischen Stützpunkt von Viktor Janukovyč in das durch seine Flucht entstandene Machtvakuum gestoßen ist und heute Gewalt und Pseudostaatsgewalt ausübt, sind eben keine Kohlekumpel, sondern bewaffnete Akteure aus dem Dunstkreis des lokalen oligarchischen Racket-Kapitalismus und der von ihm gekauften Behörden, sowie Import-Gewalttäter aus den failed territories an der Peripherie der Russländischen Föderation.[16]
Diese Emissäre und Unternehmer der Gewalt, diese Söldner und Milizen, können aber nur so handeln, wie sie handeln, weil sie mit Wissen, Billigung und aktivem Eingreifen der russländischen Führung und ihrer Machtorgane dazu in die Lage versetzt und ausgerüstet wurden. Der Donbass ist bereits ein Gewalt- und Willkürraum; sein Hinterland aber, das Gewalt schafft und ermöglicht, ist Russland, mit einem Schwerpunkt im südwestrussischen Gebiet Rostov, in dem die durch russländische Kreiswehrersatzämter (voenkomaty) rekrutierten Kämpfer sich sammeln, in Ausbildungslagern instruiert werden, von wo dann auch ihre Versorgung und die Verstärkung durch reguläres Militär abgewickelt wird.[17]
Der Donbass ist dabei, ein Territorium nach dem Muster Transnistriens in Moldova oder Abchasiens und Südossetiens in Georgien zu werden – ein pseudostaatliches Gebilde, von niemandem diplomatisch anerkannt und notdürftig von Russland alimentiert, um die Ukraine zu destabilisieren und ihre Kräfte aufzuzehren. Geistig aufgerüstet wird dieses Zwischenreich durch die in Russland als neue Volksideologie propagierte Renaissance „konservativer Werte“, die sich im Wesentlichen auf Paternalismus, Primat der physischen Gewalt, Rassismus, Antirationalismus, Judenhass, orthodoxe Bigotterie und Heteronormativität reduzieren lassen.
Wer von Russland nicht reden will, sollte von der Ukraine schweigen: Diese Gemengelage aus grenzüberschreitender Gewalt, organisierter Kriminalität und lokalem Staatsverfall, überwölbt von rechten ideologischen Versatzstücken, geheiligt von Institutionen wie dem „starken Staat“ und dem Moskauer Patriarchat, bedarf der Erklärung und der klaren politischen Aussage. Aber Ross und Reiter zu nennen, davor schrecken offensichtlich selbst ausgewiesene Spezialisten zurück. Was im Donbass vor sich geht, wird von deutschen Historikerkollegen gern als bürgerkriegsartiger Konflikt oder Bürgerkrieg bezeichnet, was die Gewalt-Akteure im Dunkeln lässt und suggeriert, hier handle es sich um ein innerukrainisches Problem. Auch äußerten Kollegen sich mir gegenüber im Gespräch mit der Überzeugung, es sei nicht ihre Aufgabe, sich politisch zu äußern oder aus Historikersicht Aussagen über die Voraussehbarkeit dieser Entwicklung zu machen.[18]
In Deutschland arbeitende russische und ukrainische Kollegen wie Nikolaj Mitrochin und Andrij Portnov sind wesentlich thesenfreudiger und machen sich auch die Mühe, ihre Thesen durch minutiöse Recherche zu belegen. Ihre Analysen lassen nur einen Schluss zu: Die Ukraine-Krise ist in Wirklichkeit eine Krise Russlands, die auf dem Boden der Ukraine zum Ausdruck kommt. Wer alles mit geopolitischen ewigen Wahrheiten zu erklären versucht oder aber mit lokalen identitären Befindlichkeiten, die in der Ukraine zum Separatismus führten, der vermag nicht zu erkennen, wie wichtig die innenpolitischen Verhältnisse in Russland für diesen Konflikt sind. Denn es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen dem globalen Rohstoff-Preisgefüge, der Rohstoffrente für Russlands Eliten und die Gesellschaft sowie der sozialen Stabilität im Lande. Ferner gibt es historisch erklärbare Krisenbewältigungsstrategien und Machttechnologien, die in Russland zum Einsatz kommen, um Stabilität herzustellen. Die Integration nach innen und die Mobilisierung der Gesellschaft durch Kampagnen gegen vorgebliche äußere Feinde, und auch die gewalthaltige Ableitung inneren Aggressionspotentials gehören dazu.[19] Was sich vor Jahresfrist noch in xenophoben Pogromen gegen Kaukasier und Zentralasiaten, in Kampagnen gegen Kunst und in Prozessen gegen „Kirchenschänderinnen“ entlud, das hat jetzt mit dem Kiewer „Putsch“, den aus Moskauer Sicht die USA inszenierten, um die „russische Welt“ zugrunde zu richten, ein neues Betätigungsfeld.
Dass eine pluralistische, demokratische, mehrsprachige Ukraine mit EU-Orientierung und jüdischen Gebietsgouverneuren geradezu das Antiprojekt zu diesem russländischen Integrations- und Stabilisierungskonzept ist und folglich aus Sicht der Moskauer Machthaber eine tödliche Gefahr darstellt, liegt auf der Hand. Das und nicht die NATO-Expansion oder die Sorge um Angehörige „russischer Minderheiten“ ist das eigentliche Motiv hinter Russlands Aktionen in dieser Krise. Wie es eine Moskauerin im Sommer ausdrückte, eine der wenigen, die sich mit Blumen und Kerzen vor die niederländische Botschaft wagten: „Flugzeuge fallen vom Himmel, und die Umfragewerte Putins steigen.“ Und die Flugzeuge fallen vom Himmel, weil vorher die Umfragewerte gesunken sind, kann man hinzufügen.
Historische Sprechverbote
Die Kanalisierung von Aggression, ihre Umlenkung von innen nach außen, die Kampagnenpolitik und die Stabilisierung durch Mobilisierung der Gesellschaft gegen äußere Feinde – diese Strategien kommen in Russland nicht aus dem Nirgendwo. Sie sind in historische Kontexte eingebettet. Es handelt sich um seit dem Stalinismus bewährte polittechnologische Traditionen. Der überwölbende ideologische turn to the right wiederum, den wir seit Jahren in Russland beobachten, von dem aber kaum jemand in Deutschland reden mag, schöpft aus den vorrevolutionären Traditionen des Schwarzhunderter-Nationalismus. Stammen Anti-Amerikanismus und Kosmopolitenhatz aus den 1940er Jahren, so sind Antisemitismus und Ukrainophobie, die aktuell mit diesen beiden Strömungen zusammenfließen, wohlbekannte Versatzstücke des russischen Radikalnationalismus vor 1917 und des Weißen Terrors. Was heute die amerikanische Intrige ist, war damals die polnische oder die österreichische: die Verführung der biederen und auch ein bisschen primitiven Kleinrussen, denen finstere äußere Mächte einreden, Ukrainer zu sein, um so das große russische Volk zu schwächen.
Im Westen tendieren viele Interpreten der Situation in alter kremlastrologischer Tradition zu einer Personalisierung und Mythisierung des politischen Handelns in Russlands Präsidialverwaltung. Die Person Putin steht, unter Außerachtlassung der Gesellschaft, aus der er kommt, der Geschichte, die diese Gesellschaft prägte, und der Ökonomie, mit der ihre Eliten verquickt sind, im Mittelpunkt. Mitunter geht diese Personalisierung in Dämonisierung über. Das Reden vom zweiten Stalin oder Hitler ist dann nicht weit.[20] Der Konflikt in der Ukraine wird so in die Hirnwindungen des Diktators verlegt, aber nicht gedeutet und in sein historisches Umfeld eingebettet.
Die andere Fraktion – und zu ihr gehören einige einflussreiche deutsche Historiker – zieht es vor, historische Erklärungsversuche, Kontextualisierungen oder auch Vergleiche der russischen Politik mit historischen Vorbildern von vornherein zum Tabu zu erklären. Ein Beispiel für diese Position war die Reaktion auf die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 2014 auf der Westerplatte. Diese Rede wurde bezeichnenderweise in Polen mit großer Begeisterung aufgenommen; in Deutschland hingegen rief sie Historiker wie Norbert Frei, Ulrich Herbert und Andreas Wirsching auf den Plan, die Gauck vorwarfen, mit seinen Äußerungen zu „eskalieren“.[21] Seine klaren Worte „Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“ legten einen Vergleich Putins mit Hitler nahe. Wieder einmal wurden hier Vergleich und Gleichsetzung verwechselt. Auch Ute Frevert warnte am Vorabend des Historikertages mit Blick auf Russland vor „Vergleichen“.[22]
Was hatte Gauck eigentlich gesagt? Und wer eskalierte im Sommer 2014 in Osteuropa? War es Gauck? Oder nicht doch eher Russlands politische Führung? Das konnte angesichts der Besorgnis unserer Kollegen in Vergessenheit geraten, die der Meinung waren, Gaucks Worte hätten so nicht gesagt werden dürfen, „schon gar nicht auf der Westerplatte, nur 75 Jahre danach“ (Frei). Gauck jedoch hatte eigentlich nur ausgesprochen, dass es ein Tabubruch sei, heutzutage in Europa geltende internationale Grenzen zu missachten, ein Territorium eines anderen Staates zu annektieren:
Und es war ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert waren, dass am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird. Eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung. Ja, es ist eine Tatsache: Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent sind wieder in Gefahr.[23]
Weder hatte Gauck Hitler mit Putin gleichgesetzt, noch Russland mit NS-Deutschland. Wahrscheinlich war es ihm eher darum gegangen, die Perspektive der Ostmitteleuropäer im Mega-Jubiläumsjahr, in dem an gleich zwei Kriegskatastrophen Europas erinnert wird, zur Sprache zu bringen. Denn die Bewohner der Zone zwischen Oder, Düna und Don sind zum „Vergleich“ geradezu genötigt, wenn sie angesichts von Krim und Donbass erinnernd in die Vergangenheit schauen; nur vergleichen sie in einer erweiterten Perspektive. Denn ihnen fällt ja beim Stichwort Zweiter Weltkrieg nicht nur Hitler ein, den die Deutschen gewohnt sind, als Nullmeridian des historischen Navigationssystems anzunehmen. Sie denken auch an Stalin. Für sie sind der 1. September und der 17. September untrennbar miteinander verbunden. Sie denken die Westerplatte immer zusammen mit dem sowjetischen Einmarsch in die damals zu Polen gehörigen westlichen Territorien Weißrusslands und der Ukraine.
Das war der Beginn einer unsäglich blutigen Repressionsgeschichte, verübt von deutschen Nationalsozialisten und sowjetischen Kommunisten, die zunächst in Eintracht und Absprache gegen einen souveränen Staat in Europa vorgingen. Das macht einen Teil der kollektiven Erinnerung nicht nur der Polen, sondern auch der Ukrainer aus, die in diesem Krieg als „staatslose“ Gruppe mit noch komplexeren Verwerfungen konfrontiert waren: einerseits in die Rolle des Annexionsgrundes und -profiteurs gedrängt von Stalin, der die Intervention euphemistisch als Hilfe zur „Heimkehr“ der ostslavischen Brüder ins sowjetische Imperium darstellte und ostukrainische Spezialisten in die eroberten Territorien abordnete. Andererseits wurden die westukrainischen lokalen Eliten, genau wie die polnischen und jüdischen, Opfer von Erschießungsaktionen und Deportationen, sobald die sowjetische Repressionsmaschine in Ostgalizien anlief.
Das garstige #DankeFrauRibbentrop-Tweet, das ukrainische Aktivisten während des Putin-Merkel-Treffens in Brasilien im Juni 2014 verbreiteten, erklärt sich aus dieser Befindlichkeit, wieder zum Objekt von Eroberungs- und Teilungsabsichten zu werden, denen von Seiten westlicher Demokratien nichts – oder zu spät – etwas entgegengesetzt wird. Die Ukrainer waren erbost angesichts immer wiederholter „Besorgnis“ ohne Folgen, angesichts einer monatelangen verlogenen Äquidistanz, mit der deutsche und westliche Politiker „beide Konfliktparteien“ zur Mäßigung aufriefen. Aus ihrer Sicht hielt es Deutschland für wichtiger, den Kommunikationskanal zu Russland offen zu halten, als die Dinge beim Namen zu nennen, folglich auch das Gewaltgeschehen in der Ostukraine nicht einen Bürgerkrieg, sondern einen Krieg. Das #DankeFrauRibbentrop war ein böses Wort – aber es legt offen, woran sich die Osteuropäer westlich von Russland stoßen, wenn sie die deutsche Diskussion verfolgen. Es verweist auf das Lebensgefühl der Ukrainer: jenes der in der Geschichte des 20. Jahrhunderts unter die Räder Gekommenen und zwischen den Fronten Zermahlenen.[24]
Die Nachkommen dieser Menschen haben 2014 ihre korrupte Regierung zum Teufel gejagt – Verwandte und Nachkommen der Millionen von ukrainischen Zwangsarbeitern und Deportierten beider Systeme, der Zigtausenden von ukrainischen Sowjetsoldaten, die gegen Nazideutschland kämpften und in deutscher Kriegsgefangenschaft verreckten. Ihnen halten nun die Nachkommen der deutschen Täter vor, dass aber ein kleiner Teil der Revolte von Rechten getragen werde und ein kleiner Teil ihrer Landsleute im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaboriert habe.
Die Deutschen sind nicht nur besorgt über die Situation in der Ostukraine; ganz besonders besorgt sind sie über den Rechtsextremismus in der Ukraine, ohne aber jenen in Russland auch nur eines Wortes zu würdigen – obwohl auch dort Rechtsextreme hohe Ämter bekleiden und als Professoren und Staatsberater von Putins Gnaden ihr Unwesen treiben. Angesichts der geringen Stimmenanteile für rechtsextreme und rechtspopulistische Kandidaten bei den ukrainischen Wahlen von 2014 im Vergleich zu den europäisch-wohlanständigen Erfolgsquoten von Front National, Jobbik, des Vlaams Belang und jüngst auch der AfD – die wiederum von der Putin-Administration als Brüder im antieuropäischen und antiamerikanischen Geiste hofiert werden –, sollte man allerdings im europäischen Glashaus besser nicht mit Steinen werfen. Schon gar nicht bei uns. In Deutschland, wo eine Neonazi-Terroristengang jahrelang mordend durchs Land ziehen konnte, ohne daran von den Sicherheitsbehörden gehindert zu werden, hat der Verweis auf den ukrainischen Rechtsextremismus, der in keinem Beitrag fehlen darf, den schalen Beigeschmack der eigenen Exkulpation. So können wir auch hier einen Doppelstandard konstatieren. In Deutschland geht zwar ein Aufschrei durch die Feuilletons, wenn wer verdächtigt wird, in Putin den Hitler zu sehen. Aber im ukrainischen Nachbarn den Demjanjuk zu sehen – das ist konsensfähig.[25]
Geopolitischer Fatalismus und historische Teleologien
Das Denkverbot beim Vergleichen und die Einlassungen zu Russlands Bedrohungsgefühl haben eine gemeinsame Ursache: Es ist die Renaissance eines geopolitischen Fatalismus, der uns als Realismus verkauft wird. Hauptmerkmal dieses vermeintlichen Realismus ist das Denken in Einflusssphären, die als quasi-naturgesetzlich imaginiert werden. In dieser Optik wird die Ukraine ausschließlich als Objekt des Handelns mächtiger äußerer Kräfte und als territorialer Zankapfel wahrgenommen, aus dem sich – bedauerlicherweise, aber leider, leider nichts zu machen – der Stärkere dann eben das größte Stück herausbeißt. Es gibt Ursachen für diese Renaissance, die in unsere jüngere (Fach-)Geschichte zurückreichen.
Karl Schlögel nannte sie auf dem diesjährigen Historikertag, nicht ohne ein gerüttelt Maß an Selbstkritik: Man sei nach den Umwälzungen von 1989 bis 1991 euphorisiert und folglich blauäugig gewesen; man habe lange Zeit nicht beachtet, was sich in Russland und der Ukraine anbahnte. Daher stünden wir jetzt hilflos vor einem Scherbenhaufen, alles sei wieder vollkommen offen, und die Zukunft liege im Dunkeln. Dem ist zuzustimmen, wie überhaupt zu konstatieren ist, dass Schlögel einer der ganz wenigen Fachvertreter der klassischen – also auf Russland zentrierten – Osteuropäischen Geschichte als Disziplin ist, die ein mea culpa ausgesprochen haben und offen einräumen, dass sie die Ukraine bis vor kurzem entweder gar nicht oder nur durch die russische Brille wahrgenommen haben.[26]
In den 1990er Jahren, als die meisten der heute aktiven Osteuropahistoriker ihre Karriere begannen, saßen wir noch nicht im Dunkeln. Es galt die Doktrin von der geschlossenen, aber immerhin hellen Zukunft. Man sprach vom Ende der Geschichte und vom Sieg der Zivilgesellschaft in Osteuropa. Dies sah allenfalls noch Transformationsgeschichte vor und bedeutete auch für viele Standorte der historischen und vor allem der politikwissenschaftlichen Osteuropaforschung das Ende. Der Systemwettbewerb schien entschieden und die trügerische, von allerlei Forschungsprojekten begleitete Begeisterung über eine angebliche allseitige „Win-Win-Situation“ in West und Ost bei der „Transformation“ Osteuropas zu Demokratie, Menschenrechten, Marktliberalismus, EU und NATO ließ vergessen, dass massenweise Verlierer auf der Strecke blieben.
Ja, es gab Verlierer, aber wir haben sie uns weggelogen. Einen Teil dieser Verlierer hat Putin recht erfolgreich wieder aufgesammelt, oder er beabsichtigt das zumindest. Verlierer waren die Verarmten, Arbeitslosen und Deklassierten in den ganz und gar nicht demokratischen und zivilgesellschaftlich gereiften postsowjetischen Staaten. Für sie waren der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entlassung in den Wolfskapitalismus der 1990er kein Grund zum Jubeln, sondern eine persönliche und alltägliche Katastrophe. Damit ist nicht die Katastrophe des imperialen oder tschekistischen Selbstwertgefühls gemeint, die Herrn Putin und seine Nomenklatura bis heute in ihren Albträumen heimsucht.
Verlierer waren auch jene Länder, die, wie die Ukraine und Belarus, jenseits der neuen EU-Ostgrenze außen vor gelassen wurden. Die Ukraine als Land wurde nach wie vor nicht wahrgenommen und als Staat nicht für voll genommen. Das gilt für die westliche Perspektive fast ebenso wie für die russische. Die Ukraine war bestenfalls Schwarzarbeiterreservoir und Heimat potentiell gefährlicher Zuwanderer oder aber eine Black Box, in der Reaktorkatastrophen und Zwangsprostituierte produziert wurden. Was fast alle einte, war die Wahrnehmung, dass es sich bei der Ukraine um eine Übergangs- und Transitregion, ein Kunstgebilde handele, das insofern ein legitimes Objekt sei, es in die eigene Einflusszone zu ziehen. Was vor allem interessierte, war die Sicherheit der Gaspipelines, die über ukrainisches Territorium nach Europa führen. Exemplarisch für die Wahrnehmung der Ukraine als Transit- und Bedrohungsraum sind der Gasstreit und die „Visa-Affäre“, welche die 2000er Jahre prägten. Prinzipiell verstanden Beobachter aller Couleur die Ukraine jedoch, je nach Position, als legitimen Teil der russländischen Einflusssphäre oder als Spielfläche amerikanischer, europäischer und russländischer Ambitionen.[27]
Sämtliche Fehleinschätzungen der politischen, ethnischen und sozialen Gegebenheiten in der heutigen Ukraine gehen auf diese Denkfigur zurück. Man hat in Deutschland nie gelernt, die Ukrainer als Subjekte ihrer Geschichte wahrzunehmen, die ihre Geschichte selbst machen – wenn auch nicht aus freien Stücken. Es wurde nicht mit der Ukraine gesprochen, es ging immer nur „um“ die Ukraine „zwischen“ anderen Akteuren, um ihre Funktion in einem je nach historischer Perspektive polnisch-russischen, europäisch-russischen oder amerikanisch-russischen Verhältnis.[28] „Der Konflikt um die Ukraine“ titelte auch der Historikertag 2014 und suggerierte ebenfalls, dass da eigentlich nicht die Ukrainer in einem entscheidenden Moment ihrer Geschichte das Heft des Handelns in der Hand hatten, sondern ausschließlich äußere Kräfte an den Ukrainern zerrten. Diese Objektivierung des Großmachthandelns auf ukrainischem Territorium steht im seltsamen Gegensatz zur gleichzeitig zu beobachtenden Trägheit bei der Wahrnehmung und Benennung der russischen Interventionen auf ukrainischem Territorium.
Dieser geopolitische Fatalismus hat Folgen. Politische Konflikte zwischen Oben und Unten, zwischen Racketkapital und Bürgerprotest wurden zu ethnischen Konflikten zwischen Ukrainern und Russen fehlgedeutet; verzerrte politische Karten von einer angeblich in proeuropäischen Westen und prorussischen Osten „gespaltenen“ Ukraine in Umlauf gebracht. Nichts stimmt an diesen kognitiven Karten außer der Tatsache, dass sie mehr über unsere Zustände aussagen als über jene der Ukraine. Aber die Osteuropäische Geschichte hat wenig getan, um diese Karten neu zu zeichnen.
Der Bankrott der Linken
Die Ukraine-Krise hat ökonomische und soziale Ursachen, die in der östlichen Ukraine den Boden für die Festsetzung der Gewalt bereiteten – weniger kulturelle, sprachliche oder auf die Identität bezogene, an denen sich unsere Kulturwissenschaften bevorzugt abarbeiten. Haben wir womöglich auch deshalb bei der Vorhersage der Krise versagt, weil wir hinsichtlich Osteuropas nicht nur geschichts-, sondern auch gesellschafts- und wirtschaftsvergessen waren?
Wirtschaft und Gesellschaft des östlichen Europa, insbesondere die galoppierende Pauperisierung und Oligarchisierung der postsozialistischen Gesellschaft als Basis für gewalthaltige Konflikte, wären eigentlich ein willkommenes Betätigungsfeld für eine marxistische Analyse der Ukraine-Krise. Andrij Portnov hat darauf hingewiesen: Auch in anderen, stabilen ukrainischen Regionen gibt es Industriearbeiterstolz und russischsprachige Stadtkulturen; auch in anderen, beileibe nicht nur östlichen Regionen der Ukraine hatte die Bevölkerung jahrelang den Eindruck, von Kiew „nicht gehört“ zu werden. Doch nur im Donbass finde man jene spezifische Gemengelage aus Massenarmut, überalterter Industriestruktur und mafiösen Wirtschaftsakteuren, welche die staatlichen Strukturen gleichsam von innen aufgefressen hätten. Erst die Schaukelpolitik der lokalen Eliten aus Politik und Wirtschaft zwischen Kiew und Moskau habe die Voraussetzungen geschaffen, in denen der Milizenterror der Separatisten sich festsetzen konnte.[29]
Doch unsere Linken sind weder an den sozioökonomischen Verhältnissen in der östlichen Ukraine interessiert noch an einer mühseligen marxistischen Analyse der Produktivkräfte im Parallelogramm von organisierter Kriminalität, illegalem Kohleabbau, oligarchischer Realwirtschaft und korrupter Exekutive. Dieser extrem gewalthaltige lokale Staats- und Rechtszerfall lässt an lateinamerikanische Muster denken, so an das von der Narkomafia gebeutelte Mexiko.
Doch diese Feinanalyse und der transnationale Vergleich fehlen der Kapitalismuskritik im Globalisierungszeitalter. Für unsere Linken ist die Ukraine lediglich eine Funktions- und Projektionsstelle in einem manichäischen Weltverschwörungsbild. Deutsche linke Publikationen zur Ukraine zeichnen sich durch eine Schludrigkeit und intellektuelle Erbärmlichkeit aus, die ihresgleichen sucht. In Konkret brachte Erich Später es fertig, der Majdan-Revolte unter der diffamierenden Überschrift „Kriegsziel Rassestaat“ eine tiefe Verwurzelung in nationalsozialistischen Traditionen zu unterstellen – und das in einem Artikel, der mit keiner Zeile den heutigen Majdan behandelte, sondern einen Überblick über die integral-nationalistischen und faschistischen OUN-Strömungen der 1930er und 1940er Jahre gab.[30]
In der ostdeutschen Provinz, so auch in meiner Heimatstadt Leipzig, machen sich Lokalpolitiker der Linkspartei nicht einmal die Mühe dieser Lektüre – ihre Einlassungen wirken, als ob sie direkt vom Themenzettel des russischen Konsulats stammten.[31] Der Ex-Junge-Welt-Redakteur Jürgen Elsässer hingegen gibt inzwischen, neben dem Zentralorgan der Weltverschwörungstheoretiker Compact, auch Putin-Reden „an die Deutschen“ heraus. Solche bizarren Querfronten ad majorem gloriam Germaniae et Russiae wiederum manifestieren sich auch bei den aktuellen „Montagsdemonstrationen“ für „Frieden“.
Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza wiederum ist zu klug und zu redlich, um solchen Irrsinn gutzuheißen. Aber der Doppelstandard und der geopolitische Fatalismus beim Sprechen von Russland und der Ukraine, vor allem aber eine Übertragung des antifaschistischen sowjetischen Legitimationsmythos von 1945 auf das sich von rechts her integrierende heutige Russland findet sich auch in seinen regelmäßigen Zwischenrufen. Gremliza und andere linke Autoren sprechen gern vom Kampf der Imperialismen – des deutschen gegen den amerikanischen (sic!) in diesem Falle – „um“ die Ukraine und deren maximale Ausbeutung; ein russischer Imperialismus oder Neoimperialismus, gar russische ökonomische Interessen scheinen außerhalb der Vorstellungskraft. Russland bleibt jeder Analyse enthoben, existiert eigentlich nur als (positives) Klischee. Es wird vor allem als unter Attacke geratener globaler Gegenhegemon konzeptualisiert, der in Deutschland Zielobjekt einer beispiellosen Medienhetze geworden sei, gespeist vom alten Hass auf den Roten Oktober und vom Revanchismus der Deutschen, die den Russen den „kalten Arsch“ der Niederlage im Kolonialkrieg nicht verzeihen können.[32]
Dass der Rote Oktober als emanzipatorisches und internationalistisches Projekt tot und begraben ist und dass in Russland heute die widerwärtigsten Aspekte der alten Sowjetunion mit den widerwärtigsten Aspekten des alten Russland zusammenfließen – ganz im Sinne jener Think Tanks zwischen Seliger-See und Izborskij klub, die die Versöhnung von „Weiß“ und „Rot“ anstreben, scheint unseren Linken unbekannt.[33] Sie werden nicht stutzig, wenn die prorussischen Milizen im Donbass offenherzig erklären, sie kämpften gegen Faschismus und Judenmacht in Kiew, oder wenn maskierte Milizenführer auf Pressekonferenzen in Taliban-Diktion Frauen ohne männliche Begleitung den Besuch von Cafés verbieten, weil ihre Bestimmung es sei, den russischen „Herd“ und die russische Moral zu hüten.
Linke sollten als politisch denkende Menschen ferner bemerkt haben, dass „Faschismus“ in der osteuropäischen Polemik keine politische Analysekategorie darstellt, sondern eine Feindbezeichnung mit langer stalinistischer Tradition ist. „Faschisten“ waren stets am Werk von Berlin 1953 über Budapest 1956 bis nach Prag 1968. Faschist ist der „nicht Unsrige“. Darin ist auch schon der Antifaschismus der Putin-Administration und ihres Milizarms im Donbass umfassend beschrieben: ganz sicher ist das pluralistische ukrainische Projekt „nicht unseres“, ergo ist es faschistisch. Doch die Linken in Deutschland lesen weder Russisch noch Ukrainisch, sie reisen auch nicht nach Russland oder in die Ukraine. Die (ehemaligen) Linken wie Karl Schlögel oder Gerd Koenen hingegen, die das können und tun, publizieren seit Jahren sehr kluge Analysen des russischen Diskurses.[34]
Weil die Linken mit Querfront, Stalingrad-Erinnerung und Anti-Imperialismus voll ausgelastet sind, haben sie keine Zeit, die Ukraine zu analysieren – weder die ökonomische Basis noch den Überbau. Dabei wäre das ein lohnendes Unternehmen, so bei einer über den stalinistischen Faschismusbegriff hinausgehenden Sezierung des tatsächlichen rechten Potentials in der Ukraine, wie es sich etwa in den Freikorps-Ambitionen der Freiwilligenbataillone ausdrückt. Auch sollte man meinen, dass die nun den Ukrainern ins Haus stehende, als Europäisierung schöngeredete Deregulierung, die Privatisierung des Staatssektors und das Austeritätsdiktat oder die Persistenz oligarchischer Strukturen Themen für eine linke Analyse der Ukraine sein sollte. Aber hier herrschen, mit ganz wenigen Ausnahmen, Inkompetenz und Desinteresse auf ganzer Linie.[35]
Was tun? Die Aufgaben der Disziplin
Was ist zu bilanzieren? Die Ukrainekrise hat mehrere Tendenzen zu Tage gebracht – die Renaissance oder die anhaltende Wirkung des geopolitischen Fatalismus und des Denkens in Einflusszonen, bis in renommierte Historikerkreise reichendes, erstaunlich weit gehendes Verständnis für Russlands Politiker, die bisher unantastbare Werte relativieren oder vom Tisch wischen, sowie ein Aufblühen von Klischees, Verschwörungstheorien und fehlgeleiteter Verständigungspolitik mit Russland, welche Verständigung mit Beschwichtigung verwechselt. Der organisierten Produktion von Unsinn über die Ukraine, die von Mainstream bis ultralinks und ultrarechts fast alle Sparten abdeckt, hat die Osteuropäische Geschichte jedoch kaum etwas entgegengesetzt – einerseits, weil ihr qualifiziertes Personal fehlt, andererseits aber auch, weil die Leute, die hier Aufklärungsarbeit leisten könnten, vor allem eines tun: sie schweigen.
Gewiss, wir hatten inzwischen einige Seminare, Ringvorlesungen und Podien an den Universitäten. Was aber fehlte, war eine klare und notwendigerweise auch politische Sprache, die außerhalb des geschützten Raumes der Hochschule zu hören gewesen wäre. Unsere Disziplinvertreter meiden diese politische Sprache, weil sie anders ist als der akademisch-abwägende Duktus nach der Devise audiatur et altera pars, zu dem wir alle erzogen wurden. Wären da nicht einige engagierte Journalisten wie Konrad Schuller, die im deutschen Sprachraum Einiges wieder gutmachen, oder Solitäre wie die Emeriti Andreas Kappeler oder Gerhard Simon, dann sähe die Bilanz noch besorgniserregender aus.
Die Rechnung angesichts der fehlenden – oder politische Aussagen scheuenden – Expertise wird heute aufgemacht. Wir haben keine Antwort darauf, warum uns die Verlierer jenseits der EU-Ostgrenzen nie aufgefallen sind – aber nun fallen sie uns buchstäblich auf die kaltgewordenen Füße. Kriegstraumatisierte, die ihr Heil immer wieder im Söldnerdienst suchen, Deklassierte und Desillusionierte, die sich für einen Sack Kartoffeln ihre Stimme abkaufen lassen, Zukurzgekommene, die sich in Russland endlich wieder „von den Knien“ erheben wollen, Idealisten, die in der Ukraine einfach nur ihr Land verteidigen wollen und dabei selbst Unrecht tun. Verkrachte Existenzen, die zu Condottieri, aber auch Durchschnittsmenschen, die zu Helden wurden.
Uns fehlen nach zwei Jahrzehnten Rückbau unseres Faches die Historikerinnen und Historiker, welche die Ukraine kennen, ihre Archive und ihre Ambivalenzen. Wir haben kaum Personal, das neben dem Russischen auch das Ukrainische zumindest passiv beherrscht, Kontakte zu Kollegen unterhält sowie die Forschungsliteratur und den politischen Diskurs in diesem Land zur Kenntnis nimmt. Ein Ukraineschwerpunkt im eigenen Portfolio war und ist für junge Wissenschaftler immer auch ein Karriererisiko. Nach der Logik unserer Fachzuständigkeiten ist die Osteuropäische Geschichte nach wie vor russlandzentriert, die Ostmitteleuropastudien sind polen- oder böhmenzentriert. Wer sich auf die Ukraine spezialisiert, läuft Gefahr, in der Forschung und in den akademischen Netzwerken ein marginales Dasein zu fristen.
Dass die Ukraine historisch beides ist, Osteuropa und Ostmitteleuropa, wäre eine herrliche Chance für eine integrierte Osteuropaforschung. Die Räume und Geschichtsregionen im Inbetween werden in Sonntagsreden zur Transnationalität, Interdisziplinarität und postkolonialen Sensibilisierung unserer Forschung immer wieder beschworen. Aber in der Realität wird die Zuordnungsunschärfe zur Hypothek. Es gibt keine Universität mit osteuropahistorischer Abteilung, in der die Geschichte der Ukraine wirklich etabliert wäre. Wohl gibt es auf einigen deutschen bzw. deutschsprachigen Lehrstühlen Forscherinnen und Forscher, die sich mit ukrainischen Themen auseinandergesetzt haben. Aber bedauerlicherweise kam weder von diesen Kollegen in der Krise eine pointierte Aussage noch von den Russland-Experten, die das langsame Abgleiten des russischen Diskurses in rechte, russisch-nationale Sammlungsphantasien doch bemerkt haben müssen. Wer Augen hatte zu lesen, der konnte auch lange vor 2014 erkennen, dass die Ukraine ein Dreh- und Angelpunkt dieser Sammlungsphantasien war, und ihre Souveränität, verachtet als nedogosudarstvo, als „Nicht-Richtig-Staat“ oder „Unterstaat“, schon seit langem in Zweifel gezogen wurde.
Was wäre also zu tun? Aufgabe der Osteuropa-Historiker wäre es erstens, eine geschärfte Wahrnehmung der Ukraine als Subjekt der Geschichte zu entwickeln. Die Ukraine ist ein Kreuzungspunkt europäischer Kulturen. Das macht ihre Faszination und Stärke aus – aber sie ist vor allem erst einmal die Ukraine. Der kürzlich konstituierte deutsch-ukrainische Ausschuss des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands ist ein erster Schritt zu diesem Perspektivenwechsel.[36] Außerdem gilt es, die Geschichte der Ukraine – nicht als Ethnogeschichte der Ukrainer, sondern als polyphone Geschichte des Territoriums und Landes Ukraine – in unseren Fachcurricula und Forschungsprogrammen zu etablieren. Das ist einfacher, als vielleicht einige annehmen, denn diejenigen, die sich mit der Ukraine beschäftigen, haben auch der Geschichte Russlands und der Sowjetunion einen großen Dienst erwiesen, indem sie ukrainische Befunde imperialhistorischen und transnationalen Fragestellungen zugänglich machen. Im Prinzip wäre die ukrainische Geschichte leicht integrierbar in bestehende Studiengänge der Osteuropäischen Geschichte.
Vor allem hat aber die Osteuropäische Geschichte einiges an politischer Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie sollte dies durch Rationalisierung und historische Einordnung der aktuellen Geschehnisse tun, vor allem aber durch ein kritisches Auseinandernehmen der hegemonialen mentalen Kartographie des östlichen Europa, wie sie sich in Deutschland und Russland festgesetzt hat.
Außerdem sollten Vergleich und historische Kontextualisierung nicht tabuisiert, sondern gezielt eingesetzt werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Technologien autoritären Machterhalts im östlichen Europa in historischer Perspektive zu bewerten. Das würde sowohl den Dämon Putin als auch den zu bemitleidenden und zu beschwichtigenden Intensivtäter Putin, der je nach politischer Opportunität in der Ukrainekrise herbeizitiert wird, auf sein reales politisches Maß zurückführen.
Eine historische Einordnung würde vor allem eines zu Tage fördern: Russlands Präsident ist kein zweiter Stalin oder Hitler, sondern ein im System KGB sozialisierter autoritärer Staatschef, der auf historisch überlieferte Krisenbewältigungsformate zurückgreift, die in seinem soziopolitischen Milieu eingeübt und bewährt waren. Putin ist kein Verrückter, sondern er spielt auf der Klaviatur all jener Machtmittel, von deren zumindest kurzfristigem Funktionieren er sich im Laufe seines Werdegangs überzeugen konnte. Dazu gehören „hybride“ Kriegführung, Militärintervention und Annexion ebenso wie systematische Desinformation; dazu gehört auch die Instrumentalisierung von Kriminellen im Staatsauftrag, wie sie schon bei der Niederschlagung von Lagerrevolten in den 1940er und 1950er Jahren bewährte Praxis war und wie sie in Tschetschenien zur Auftragsverwaltung des Kadyrov-Clans geronnen ist. Dazu gehört auch die Technologie der Kampagnenpolitik, ob sie nun als konservative Renaissance daherkommt, als antiukrainischer „Russischer Frühling“ oder als Mobilisierung einer ausgeplünderten Gesellschaft gegen „Gay-ropa“ und innere „fünfte Kolonnen“.
Wenn Putin in der Kirche eine Kerze für Novorossija anzündet, diese nicht mit dem katharineischen Neurussland zu verwechselnde Fehlgeburt seines Russischen Frühlings, dann sollte man ihn nicht deswegen ernstnehmen und fürchten, weil er an Novorossija glaubt, wie Hitler an Großdeutschland bis zum Ural geglaubt hat. Man sollte ihn vielmehr ernstnehmen und fürchten, weil Novorossija nicht seine letzte Kampagne gewesen sein wird. Novorossija ist austauschbar. Aber es ist momentan nützlich. Deswegen propagierte das Putin-Regime dieses Gebilde so wie es die „Demokratische Volksrepublik Donec’k“ oder eine ähnliche Schimäre in Lugans’k propagierte, um nun je nach tagespolitischer Erfordernis auch ab und zu wieder von den Gebieten Donec’k und Lugans’k des Nachbarstaats Ukraine zu sprechen.
Putins Verhältnis zu solchen Gebilden und ihren Akteuren ist ein rein taktisches, genauso wie nach alter Geheimdienst-Tradition sein Verhältnis zur Wahrheit ein taktisches ist. Niemals würde dieser Präsident wollen, dass ihn auf diesem Felde nationalistische Volkstribunen und ihr chauvinistischer Straßenmob rechts überholen. Womöglich hat Putin keinen Sinn für ferne Ziele und keine echte Strategie für Russlands Zukunft; sonst hätte er sein Land nicht in die heutige Lage gebracht. Aber für das Nahziel, den Machterhalt, und für die Herstellung scheinbarer Stabilität angesichts schlimmerer Varianten, scheint die gewählte Taktik die brauchbarste und durch historische Erfahrung geheiligte und bewährte.
Im Moment ist das Mittel der Wahl die Destabilisierung der Ukraine. Wenn es der Machterhaltung dient, dann ist auch wieder ein Ausgreifen auf ukrainisches Territorium zu erwarten. Denn was der KGB-Mann nach Entlassung zahlreicher Berater gar nicht kann, das ist in Strukturen zu denken. Der imperiale „Die Krim ist unsere“-Jubel überdeckte für einige Monate, was Clinton schon seit langem weiß: It’s the economy, stupid! Dass im Zeitalter leitungsgebundener überregionaler Energieversorgung die Angliederung der Krim an die Ukraine keine Wodkalaune Chruščevs, sondern eine infrastrukturelle Notwendigkeit war, und dass, wer die Halbinsel heute versorgen und entwickeln will, dazu ukrainische Kraftwerke, ukrainische Wasserreservoirs, ukrainische Pipelines, ukrainische Waren und ukrainische Straßen braucht – das ist der Führung in Moskau mit der Ankunft der Herbststürme am Schwarzen Meer aufgegangen. Und es lässt in einem Milieu, in dem Kompromiss und geordneter Rückzug als Schande und Gesichtsverlust gewertet werden und in dem Publizisten schon nach neuen euphorisierenden Kriegszielen rufen, für die nahe Zukunft nichts Gutes erwarten.
Karl Schlögel sagte im September in Göttingen vor brechend vollem Hörsaal, dass wir nun nicht mehr zurück könnten hinter das Geschehene. Nun sei die Ukraine nicht mehr von unserer kognitiven Landkarte wegzudenken. Sehr bedauerlich ist, dass offensichtlich die Ukraine erst in Moskau von der Landkarte weggedacht werden musste, bevor sie in Deutschland Hörsäle füllt und Diskussionen über Sinn und Aufgaben der Osteuropäischen Geschichte befeuert.
[1] „Putins Vorgehen ist verständlich“. Helmut Schmidt über Russlands Recht auf die Krim, die Überreaktion des Westens und den Unsinn von Sanktionen. Die Zeit, 27.3.2014 – Helmut Schmidt wirft EU Größenwahn vor. Zeit-Online, 16.5.2014,
<www.zeit.de/politik/deutschland/2014-05/helmut-schmidt-ukraine-eu-weltkrieg>.
[2] Erhard Eppler: Putin, der Mann fürs Böse. Süddeutsche Zeitung, 11.3.2014. – Jens Jessen: Teufelspakt für die Ukraine. Die Zeit, 28.3.2014. – Erhard Eppler: Waffenruhe nutzen, in: Resonanzboden Echtzeit, 23.10.2014,
<www. resonanzboden.com/echtzeit/erhard-eppler-waffenruhe-nutzen >.
[3] Dazu die Erhebungen des Moskauer Levada-Zentrums und des Kiewer Internationalen Soziologischen Instituts: Nehatyvne stavlennja ukraїnciv i rosijan odne do odnoho vyroslo v razy, Ukraїns’ka Pravda, 17.6.2014, <www. pravda.com.ua/ news/2014/ 06/17/7029323/>. – Popry neohološenu vijnu RF stavlennja ukraїnciv do rosijan majže ne zminylosja. Ukraїns’ka Pravda, 4.10.2014, <www.pravda.com.ua/news/2014/10/4/ 7039772/>. – Stavlennja ukraїnciv do Rosiї bil’š pozytyvne, niž Rosija do Ukraїny – opytuvannja. Radio Svoboda, 7.10.2014,
<www.radiosvoboda.org/content/article/ 26624885.html>.
[4] Interview mit Matthias Platzeck im Deutschlandfunk, 17.11. 2014; Auftritt Platzeck in der Talkshow „Günter Jauch", ARD, 21 23.11. 2014
[5] Jörg Baberowski: Das Ende der Osteuropäischen Geschichte. Bemerkungen zur Lage einer geschichtswissenschaftlichen Disziplin, in: Osteuropa, 8–9/1998, S. 784–799.
[6] Jörg Baberowski: Zwischen den Imperien. Die Zeit, 13.3.2014.
[7] Andreas Kappeler (Hg.): Die Ukraine. Prozesse der Nationsbildung. Köln, Weimar, Wien 2011.
[8] Separatysts’ki nastroї pidtrymujut’ blyz’ko 20% žyteliv Donbasu. Ukraїns’ka pravda, 11.4.2014, <www.pravda.com.ua/news/2014/04/11/7022123/>. – Dzerkalo tyžnja, 7.10.2014, 26% žyteliv Donbasu xočut‘ nezaležnosti „DNR“ ta „LNR“, а 16% – pryjednannja do Rosiї, <http://dt.ua/UKRAINE/26-zhiteliv-donbasu-hochut-nezalezhnosti-dnr-ta-lnr-a-16-priyednannya-do-rosiyi-153094_.html>.
[9] Dauerdruck-macht-krank. Vizekanzler Sigmar Gabriel im Interview. Welt am Sonntag, 24.8.2014: „Die territoriale Integrität der Ukraine kann nur erhalten werden, wenn man den Gebieten mit russischer Mehrheit ein Angebot macht.“
<www.welt.de/print/wams/politik/article131531080/ Dauerdruck-macht-krank.html>.
[10] Manfred Sapper: Die russische Sprache wird zum Vorwand. Das Land mit der gespaltenen Zunge. Der Tagesspiegel, 31.3.2014, <www.tagesspiegel.de/kultur/die-russische-sprache-wird-zum-vorwand-das-land-mit-der-gespaltenen-zunge/9694814.html>.
[11] Anna Veronika Wendland: Es gibt noch Einheit in der Ukraine. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.3.2014.
[12] Wilfried Jilge: Nationalukrainischer Befreiungskampf. Die Umwertung des Zweiten Weltkrieges in der Ukraine, in: Osteuropa, 6/2008, S. 167–186. – Ders: The Politics of History and the Second World War in Post-Communist Ukraine (1986/1991–2004/2005), in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 1/2006, S. 50–81.
[13] Ulrich Schmid: Das ist eine Nation. Die Zeit, 20.3.2014. – Andreas Kappeler: Der grosse Bruder und die kleine Schwester. Neue Zürcher Zeitung, 19.3.2014. – Ders.: In Kiew entstand die Nation. Die Zeit, 3.4.2014. – Anna Veronika Wendland: Offener Brief an Jörg Baberowski,
<http://euromaidanberlin.wordpress.com/2014/03/25/ein-offener-brief-von-der-historikerin-anna-veronika-wendland/>.
[14] Anna Veronika Wendland: Die Russophilen in Galizien. Ukrainische Konservative zwischen Österreich und Rußland. Wien 2001.
[15] Vgl. die Diskussionen auf dem vor allem von jungen Fachvertretern genutzten, von Andrij Portnov begründeten Forum: <historians.in.ua>.
[16] Dazu minutiös und empirisch fundiert: Nikolay Mitrokhin: Transnationale Provokation. Russische Nationalisten in der Ukraine, in: Zerreißprobe. Ukraine: Konflikt, Krise Krieg. Berlin 2014 [= Osteuropa, 5–6/2014], S. 157–174. – Nikolay Mitrokhin: Infiltration, Instruktion, Invasion. Russlands Krieg in der Ukraine, in: Osteuropa, 8/2014, S. 3–16.
[17] Mitrokhin, Infiltration [Fn. 16].
[18] Panel „Der Konflikt um die Ukraine“. 50. Deutscher Historikertag, Göttingen, 24. Oktober 2014; Beitrag Tanja Penter zur Situation im Donbass.
[19] Lev Gudkov: Putinskij recidiv totalitarizma, in: Pro et Contra, Maj-Avgust 2014, S. 129–147, <http://carnegieendowment.org/files/ProEtContra_63_129-147.pdf>. – Nikolaj Petrov: Legitimität, Repression, Kollaps. Entwicklungsstadien des Putin-Regimes, in: Osteuropa, 8/2014, S. 85–94.
[20] Timothy Snyder: Putin’s New Nostalgia. The New York Review of Books, 10.11.2014; illustriert mit einer Hitler-Stalin-Karikatur,
<www.nybooks.com/blogs/nyrblog/2014/nov/10/putin-nostalgia-stalin-hitler/>.
[21] <www.sueddeutsche.de/politik/vorwuerfe-gegen-russland-historiker-werfen-gauck-eskalation-vor-1.2117747>. – <www.sueddeutsche.de/politik/weltkriegs-gedenken-und-ukraine-krise-aus-der-geschichte-lernen-1.2115983>.
[22] Siege und Niederlagen, Irrtümer und Erkenntnisse. Zum 50. deutschen Historikertag ein Interview mit Ute Frevert. Deutschlandradio, 21.9.2014.
[23] Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen 1939 am 1. September 2014 in Danzig/Polen, <www.bundespraesident.de>.
[24] Eine Gesamtdarstellung aus dieser Perspektive bietet das vielbeachtete Werk von Timothy Snyder: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin. München 2011.
[25] John [Ivan] Demjanjuk (1920–2012), als Angeklagter in Prozessen wegen Beteiligung am Massenmord an osteuropäischen Juden bekanntgewordener ehemaliger Angehöriger ukrainischer SS-Hilfstruppen im Vernichtungslager Sobibor. Demjanjuk war als Rotarmist in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und als „Hilfswilliger“ im Lager Travniki ausgebildet worden. Nach dem Krieg emigrierte er in die USA und wurde 1986 zunächst nach Israel (der dortige Prozess wegen Beihilfe zum Massenmord im Lager Treblinka endete mit Todesurteil, anschließender Revision und 1993 mit Freispruch wegen Verwechslung), dann nach Deutschland ausgeliefert. Der Münchener Demjanjuk-Prozess (2009–2012) war eines der am stärksten beachteten NS-Täter-Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte und das bisher einzige gegen einen nichtdeutschen SS-Hilfstruppenangehörigen.
[26] Karl Schlögel, Beitrag zum Panel „Der Konflikt um die Ukraine“. 50. Deutscher Historikertag. Göttingen, 24. Oktober 2014.
[27] Exemplarisch dafür ist die Ukraine-Kartographie im ansonsten innovativen Atlas du Monde diplomatique. – Anna Veronika Wendland: Ikonographien des Raumbilds Ukraine. Eine europäische Transfergeschichte, in: Peter Haslinger, Vadim Oswalt (Hg.): Kampf der Karten. Propaganda- und Geschichtskarten als politische Instrumente und Identitätstexte. Marburg 2012, S. 85–120.
[28] Exemplarisch für die Geschichtssicht „um“ die Ukraine ist der Titel, den Martin Aust seiner Monographie gab: „Polen und Russland im Streit um die Ukraine“. Konkurrierende Erinnerungen an die Kriege des 17. Jahrhunderts in den Jahren 1934 bis 2006. Wiesbaden 2009. Die Bilanz seiner Untersuchung hätte ebenso den Titel „Die Ukrainer im Streit um Polen und Russland“ hergegeben.
[29] Andrij Portnov, Beitrag zum Panel „Der Konflikt um die Ukraine“. 50. Deutscher Historikertag. Göttingen, 24. Oktober 2014.
[30] Erich Später: Kriegsziel Rassestaat. Die „westlich orientierte“ Opposition der Ukraine hat historische Vorbilder, in: konkret, 2/2014, S. 34–36.
[31] Beispielhaft die Facebook-Seite des Leipziger Linken-Stadtrats Alexej Danckwardt, der im Donbass den Kampf von „Genossen“ gegen eine faschistische Junta ausgemacht haben will.
[32] Exemplarisch: Hermann L. Gremliza: Der neue Zar und der Dreck. Hermann L. Gremliza über den deutsch-amerikanischen Krieg um die Ukraine, in: konkret, 10/2014, S. 9: „doch ewig reizt der koloniale Zugriff auf das russische Riesenreich, den das angestrebte Ende von Putins autokratischem Regime dem deutschen Europa in Aussicht zu stellen scheint . . . wären da bloß nicht die schreckenden Erfahrungen, die Väter und Großväter mit dem Bündnis von Iwan und Väterchen Frost in Stalingrad machen durften. Und demnächst ihre Kinder und Enkel in Buxtehude, im Hotel zum Kalten Arsch.“ – Florian Sendner: Die Drübertrampler, ebd., S. 40. Ein angekündigter Band mit konkret-Texten zur Ukraine, in dessen Vorbereitungsteam ich keinen Osteuropa-Spezialisten ausmachen konnte, ist in Vorbereitung und konnte leider noch nicht bewertet werden. – Vgl. auch Peter Strutinsky (Hg.): Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen. Köln 2014. Die Autoren wollen ebenfalls das westliche „Zerrbild“ Russlands geraderücken und die westlichen Interessen in der Ukraine offenlegen.
[33] Hans-Joachim Spanger: Unheilige Allianz. Putin und die Werte, in: Osteuropa, 1/2014. S. 43–62. Mein eigener Versuch, den Linken Putin-Russland als Verbündeten auszureden, hatte einen Shitstorm in der Kommentarspalte zur Folge; Anna Veronika Wendland: Für ein neues Land. Der Freitag, 11.4.2014, <www.freitag.de/autoren/der-freitag/fuer-ein-neues-land>.
[34] Gerd Koenen: Russland ist kein Bär, sondern eine Sau, die ihre Jungen auffrisst. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.9.2014. Verwiesen sei auch auf seine Monographie: Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900–1945. München 2005.
[35] Eine Ausnahme ist etwa Kateryna Mishchenko: Ein schwarzer Kreis, in: Juri Andruchowytsch (Hg.): Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Berlin 2014, S. 21–37.
[36] Dem Unterausschuss werden von deutscher Seite Guido Hausmann, Tanja Penter, Martin Schulze Wessel, Ricarda Vulpius und Anna Veronika Wendland sowie von ukrainischer Seiten Polina Barvinska, Jaroslav Hrycak, Jurij Šapoval, Igor’ Ščupak, und Serhij Stelmach angehören.
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