Verpasste Debatte
„Unsere Mütter, unsere Väter“ in Deutschland und Polen
Magdalena Saryusz-Wolska, Carolin Piorun
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Abstract in English
Abstract
Der TV-Film Unsere Mütter, unsere Väter wurde als großes Medienereignis aufwendig inszeniert. Er erzählte die Geschichte einer Gruppe junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg und erhob den Anspruch, Tabus zu brechen und das Gespräch über die Vergangenheit in Gang zu bringen. Die gezielte Vermischung von Dokument und Fiktion sowohl im Film als auch in begleitenden Dokumentationen suggerierten Authentizität und Wirklichkeitstreue. Inhaltlich perpetuierte der Film aber weitgehend den deutschen Opfermythos, den schon das Nachkriegskino gepflegt hatte. Antisemitismus stellte er als Problem vor allem der polnischen Heimatarmee dar. Entsprechend heftig fiel die Kritik in Polen aus. Sowohl in Deutschland als auch in Polen blieb die Rezeption selbstbezogen, ein Dialog kam nicht zustande.
(Osteuropa 11-12/2014, S. 115132)
Volltext
Der TV-Film Unsere Mütter, unsere Väter wurde als großes Medienereignis aufwendig inszeniert. Er erzählte die Geschichte einer Gruppe junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg und erhob den Anspruch, Tabus zu brechen und das Gespräch über die Vergangenheit in Gang zu bringen. Die gezielte Vermischung von Dokument und Fiktion sowohl im Film als auch in begleitenden Dokumentationen suggerierten Authentizität und Wirklichkeitstreue. Inhaltlich perpetuierte der Film aber weitgehend den deutschen Opfermythos, den schon das Nachkriegskino gepflegt hatte. Antisemitismus stellte er als Problem vor allem der polnischen Heimatarmee dar. Entsprechend heftig fiel die Kritik in Polen aus. Sowohl in Deutschland als auch in Polen blieb die Rezeption selbstbezogen, ein Dialog kam nicht zustande.
Der Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter, den das ZDF zum 50. Jubiläum des Senders ausstrahlte, gehörte zu den Fernseh-Großereignissen des Jahres 2013. Die Produktion trat explizit mit dem Anspruch an, eine völlig neue Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg und die persönlichen Geschichten der Beteiligten zu präsentieren und damit das Gespräch zwischen den Generationen in Gang zu bringen. Darüber hinaus sollte sie offenbar auch länderübergreifend Wirkung entfalten – dafür spricht zumindest die Tatsache, dass sie drei Monate nach der Erstausstrahlung in Deutschland auch im ersten Programm des polnischen Fernsehens (TVP1) gezeigt wurde; danach lief sie auch in anderen Ländern, u.a. in Schweden und (unter dem Titel Generation War) in den USA, wo sie auf starke Kritik stieß. Dass die Serie gerade diesem „dialogischen“ Anspruch in eklatanter Weise nicht gerecht wurde, schlug sich auch in den zahllosen Medienreaktionen nieder. Aleida Assmann bezeichnet Unsere Mütter, unsere Väter in ihrem jüngsten Buch vielmehr gerade als Beispiel für eine „monologische Erinnerung“, die sich auf eigene Erfahrungen konzentriert und andere Perspektiven ignoriert.
Die Serie
Unsere Mütter, unsere Väter (Produktion: teamWorx / Nico Hofmann, Regie: Philipp Kadelbach, Buch: Stefan Kolditz) kostete insgesamt ca. 14 Millionen Euro. Wer so viel Geld in eine TV-Produktion investiert, will selbstverständlich kein Risiko eingehen. Der Film baut deshalb auf bewährte Narrationsschemata. Einer aus Hollywood importierten Grundregel entsprechend konzentriert sich die Handlung auf wenige Protagonisten, mit denen der Zuschauer sich identifizieren kann. Diese dürfen zwar gewisse Charakterschwächen aufweisen, ihr Handeln muss aber im Großen und Ganzen moralisch nachvollziehbar sein.
Der Dreiteiler erzählt die Kriegserlebnisse von fünf jungen Menschen: der beiden Brüder Friedhelm und Wilhelm sowie ihrer Freunde Charlotte, Greta und Viktor. Die Handlung beginnt 1941, und die Protagonisten werden vom Krieg „mitgerissen“: Friedhelm und Wilhelm kämpfen zunächst als Wehrmachtsoldaten an der Ostfront, doch dann desertiert Wilhelm und wird in eine Strafkompanie versetzt. Charlotte wird Sanitäterin; Greta, die davon träumt, ein Star zu werden, tritt als Sängerin an der Front auf. Der Jude Viktor flieht aus einem Transport nach Auschwitz und schließt sich der polnischen Heimatarmee an, wobei er seine jüdische Identität geheim hält. Nur Viktor, Charlotte und Wilhelm überleben den Krieg; Wilhelm erzählt die Geschichte der fünf Freunde aus seiner Perspektive aus dem Off.
Mit dieser Geschichte wollten die Macher von Unsere Mütter, unsere Väter laut eigener Aussage etwas grundlegend Neues versuchen: Bis dahin, so Produzent Nico Hofmann, dominierte der didaktische Blick auf diese Zeit. Wir haben jahrzehntelang mit einer unglaublichen Schuld-Sühne-Pädagogik gearbeitet. Die unmittelbar persönlichen Erinnerungen und Emotionen der Deutschen aber wurden ausgeblendet.
Dies behaupteten auch enthusiastische Vorankündigungen des Films in der Presse. Frank Schirrmacher etwa, einer der größten Befürworter dieser Produktion, rief zwei Tage vor der Ausstrahlung die Familien der Republik vor den Fernsehgeräten zusammen: „Wo immer möglich, sollten Eltern den ZDF-Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter zusammen mit ihren Kinder ansehen [. . .]. Und dort, wo es die Familiendemographie erlaubt, mit den Kindern der Kinder.“
Inhaltlich brachte Unsere Mütter, unsere Väter aber bei näherer Betrachtung wenig Neues: Unpolitische junge Menschen, die nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen und dennoch in den schrecklichen Krieg hineingezogen werden, waren bereits in den ersten deutschen Spielfilmen nach 1945 zu sehen. Beispiele sind etwa Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946), Helmut Käutners In jenen Tagen (1947) oder Wolfgang Liebeneiners Liebe 47 (1949, nach Wolfgang Borcherts Stück Draußen vor der Tür). In der Bundesrepublik führten mehrere Drehbuchautoren und Regisseure diese Tendenz fort: Helmut Käutner in Des Teufels General (1955), Falk Harnack in Unruhige Nacht (1958) oder Bernhard Wicki in Die Brücke (1959). Im Fernsehen tauchte dasselbe Narrativ bereits 1960 in der Mini-Serie Am Grünen Strand der Spree (1960, R.: Fritz Umgelter) auf und wird vom ZDF seit dessen Gründung drei Jahre später immer wieder aufgegriffen. Auch in jüngeren Filmen über den Zweiten Weltkrieg stehen oft mehr oder weniger unschuldige Männer und Frauen als Leidtragende des Krieges im Mittelpunkt. Beispiele für diese neue Welle sind etwa die TV-Filme Dresden (2006, R.: Roland Suso Richter), Die Flucht (2007, R.: Kai Wessel) oder Die Gustloff (2007, R.: Josef Vilsmaier) – die beiden erstgenannten ebenfalls von teamWorx produziert.
Die jüngste Rückkehr zur Kriegsthematik und der bereits in Filmen der Nachkriegszeit vorherrschenden Opferperspektive erklärt Christoph Classen mit den politischen Veränderungen in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung. Die politisch durch den links-rechts-Gegensatz strukturierte Auseinandersetzung über das nötige Maß an Abgrenzung vom Kommunismus einerseits und vom Nationalismus andererseits verlor durch den Zusammenbruch des Kommunismus an Bedeutung. [. . .] Geschichtspolitisch betrachtet, könnte man den neuen Opferdiskurs als die Rückseite einer Medaille verstehen, deren Vorderseite die vollständige Anerkenntnis der Verantwortung für die NS-Verbrechen als negativen Bezugspunkt der bundesdeutschen Identität abbildet.
Die meisten der großen Film- und Fernsehproduktionen, die das Schicksal der deutschen Zivilbevölkerung im Krieg thematisieren (wie etwa die Bombardierungen in Dresden oder die Vertreibung in Die Flucht und Die Gustloff) entstanden gut 15 Jahre nach der Wende. Vor allem die jüngsten dieser Filme sind als aufwendig hergestellte, kommerzielle Produkte weniger darauf ausgerichtet, eine kritische Diskussion auszulösen, als ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Helden, die vom Nationalsozialismus und vom Krieg bis zu seinem Ende begeistert gewesen wären, kämen als Identifikationsfiguren kaum in Frage, sie würden den Erfolg solcher Filme gefährden. Die Protagonisten von Unsere Mütter, unsere Väter sind folgerichtig als sympathische Mittzwanziger dargestellt, die mit der nationalsozialistischen Ideologie, dem Antisemitismus (einer von ihnen ist schließlich Jude) und den Grausamkeiten des Krieges nichts zu tun haben wollen. Einige Ausrutscher ändern wenig an dem positiven Gesamtbild: So möchte man sich die eigenen Eltern und Großeltern gerne vorstellen.
Erwartungsgemäß erreichte der Film in Deutschland sehr hohe Einschaltquoten von 20 bis 24 Prozent, das entspricht 6,57 bis 7,22 Millionen Zuschauer. In Polen erreichte jede der drei Episoden eine Zuschauerzahl von durchschnittlich drei Millionen, wobei die Einschaltquoten aufgrund der kleineren Gesamtpopulation wie in Deutschland zwischen 20 und 24 Prozent lagen. Der Grund für den polnischen Quotenerfolg war jedoch ein anderer als in Deutschland: Jenseits der Oder sorgte vor allem die kontrovers diskutierte Darstellung der Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) für Interesse an dem Film. Für beide Länder sind das zwar hohe Zahlen, jedoch keine Rekordbrecher (zum Vergleich: die Filme Dresden und Die Flucht erreichten in Deutschland Einschaltquoten von ca. 30 Prozent).
Das Medienereignis
Fernsehserien finden heute nicht mehr nur im Fernsehen statt. Als lang vorangekündigte Medienereignisse werden sie auf DVD und im Internet (legal oder auch nicht) angeschaut, sie haben Homepages, sie werden in Internetforen diskutiert und in den Printmedien besprochen; oft werden sie begleitet von zusätzlichen Materialien, Dokumentationen, Interviews etc., die Inhalte fließen von einem Medium ins andere.
Unsere Mütter, unsere Väter kann man als ein Paradebeispiel für diese Art „Konvergenzkultur“ beschreiben. Nach der Ausstrahlung präsentierten die größten deutschen TV-Sender Talk-Shows (u.a. mit Günter Jauch und Markus Lanz) zum Thema des Films. Zeitgleich mit der Premiere wurde eine DVD mit dem Film veröffentlicht, parallel war er über die Homepage des ZDFs zugänglich. Dort kann noch immer ein Motion Comic mit der Vorgeschichte zur Serie abgerufen werden, außerdem eine zweiteilige Dokumentation zu den historischen Hintergründen der Handlung, die in mehreren deutschen Sendern präsentiert wurde. Darüber hinaus verfügt die Serie über eine eigene App für Smartphones und Tablets. Die enthusiastischen Vorankündigungen der deutschen Presse (vor allem in der FAZ und im Spiegel) wurden zum wichtigen Bestandteil der Vermarktungsstrategie. Das Medienecho blieb nicht, wie in anderen Fällen, auf ein bestimmtes Segment von Öffentlichkeit begrenzt. Vielmehr reichte es von ausführlichen Kritiken in den Feuilletons der Qualitätszeitungen über zahlreiche Interviews und Talkshows mit den Machern und Zeitzeugen, beteiligten Schauspielern, Nachgeborenen etc. in Radio und Fernsehen bis hin zur Boulevardpresse und den Blogs im Internet. Die mittlerweile gängige Marketing-Strategie großer TV-Sender, fiktionales Geschichtsfernsehen zur Profilierung zu nutzen, indem die Ausstrahlung einzelner Produktionen als „Event“ inszeniert wird: selten ist sie so gut aufgegangen wie im Fall dieses aufwendig produzierten Mehrteilers.
Ähnlich groß war die Resonanz auch in Polen, wo die sehr heftige Kritik das Interesse der Zuschauer für die Serie eher geweckt hatte, statt sie von den Bildschirmen fernzuhalten. Schon nachdem die ersten negativen Reaktionen der polnischen Korrespondenten in Berlin bekannt wurden, tauchten im Internet (inoffiziell) polnische Untertitel zu der Fassung auf, die man in der ZDF-Mediathek herunterladen konnte. Viele Internetnutzer in Polen hatten den Film bereits längst gesehen, bevor er im polnischen Fernsehen gezeigt wurde, und fachten die Diskussionen an. Die polnische Ausstrahlung wurde ebenfalls von Begleitsendungen ergänzt, darunter Interviews und Kommentare von Publizisten, Historikern und Politikern.
Mit welchen Mitteln die in Unsere Mütter, unsere Väter dargestellte Geschichte als „wahr“ und „real“ präsentiert wurde, demonstriert die zweiteilige, unter der Leitung von Guido Knopp gedrehte Dokumentation, die die Serie begleitete. Fünf Zeitzeugen berichten darin von ihrem Leben, dabei sind ihre Biographien den Schicksalen der Protagonisten des ZDF-Dreiteilers zum Verwechseln ähnlich (allerdings hat der jüdische Zeitzeuge nicht in der AK gekämpft, sondern bei den mehrheitlich jüdischen Bielski-Partisanen). Zum Thema äußern sich auch Historiker, darunter Bogdan Musiał und Christian Hartmann, Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Das Ganze ist durchwoben einerseits mit Szenen aus Unsere Mütter, unsere Väter, andererseits mit Archivaufnahmen, letztere vorwiegend in Farbe, so dass sie sich kaum vom Filmplot unterscheiden lassen.
Der Dokumentarfilm soll so die fiktionale Erzählung des Films glaubwürdig machen: Die fiktionale Figur eines AK-Kämpfers sagt: „Juden ertränken wir wie Katzen“; unmittelbar im Anschluss erklärt der Historiker Hartmann, während des Krieges habe es in Polen viele Antisemiten gegeben usw.
Sowohl die Serie selbst als auch die Dokumentation darüber folgen den Prinzipien von Histotainment und Dokudrama. Die Filmemacher verwenden cliffhanger (das Beenden der Folgen im spannendsten Moment), emotionale Musik, unerwartete Wendungen in der Handlung und eine Verdichtung von Raum und Zeit: Obwohl die Protagonisten über halb Europa, von Berlin bis nach Smolensk, verstreut sind, begegnen sie einander erstaunlich oft. Gleichzeitig beansprucht der Dokumentarfilm das Gütesiegel einer „wahren Geschichte“ nicht nur für sich, sondern auch für den Spielfilm, den er begleitet und durch Archivaufnahmen und Äußerungen von Historikern legitimiert. Ähnliche „Authentizitätsstrategien“ – einmontierte Archivaufnahmen, Filmszenen, die quasi archivalisch inszeniert sind (Schwarzweiß statt Farbe), die kommentierende Stimme aus dem Off sowie eingeblendete Angaben zu Zeit und Ort des Geschehens – kommen aber auch in der Serie selbst zum Einsatz.
Diese Verquickung von Information und Unterhaltung stellt allerdings kein Novum dar. Seit den 1990er Jahren werden international immer mehr Spielfilme gedreht, die Anspruch auf Authentizität erheben und an diesem Kriterium auch gemessen werden. Die Macher berufen sich auf historische Quellen oder Berater und verwenden Archivaufnahmen, so dass die Genregrenze zwischen Fiktion und Dokumentation verwischt und der Spielfilm als historische Quelle inszeniert wird Das Erstaunliche an diesem Trend ist vielleicht jedoch weniger der Anspruch auf historische Faktizität als die entsprechende Rezeption. Vor allem die eher konservativen Feuilletons interpretierten die Spielfilme im hohen Maße als historische Realitätsabbildungen. Zentrales Thema dieser Filme sind meist das individuelle Verhalten und Fragen von Schuld und Verantwortung. Wie in Unsere Mütter, unsere Väter müssen die Hauptfiguren zur Identifikation einladen: Die wahren Täter bleiben „immer die anderen“.
Medienecho und öffentliche Diskussion
Die überdurchschnittlich zahlreichen Pressereaktionen sowohl in Deutschland als auch in Polen, wo der Film auf heftigen Widerspruch stieß, bilden einen festen Bestandteil des gesamten Medienereignisses Unsere Mütter, unsere Väter. Neben Rezensionen gab es vor allem im Internet zahlreiche Reaktionen. Der Begriff der „Debatte“ oder „Kontroverse“ lässt sich auf das mediale Umfeld des Films jedoch kaum anwenden, denn die Autoren diskutierten im Grunde nicht miteinander. Selten redeten in den letzten Jahren deutsche und polnische Publizisten so konsequent aneinander vorbei. Während in Deutschland anfangs eine „völlige Abwesenheit von Kritik“ vorherrschte, wurde der Film in Polen ausnahmslos angegriffen. Zu einem Meinungsaustausch kam es nicht.
In den meisten deutschen Medien wurde zunächst Begeisterung über Unsere Mütter, unsere Väter geäußert. „Die Produktion wurde praktisch in allen Medien von der Welt bis zur taz mehr oder minder überschwänglich gelobt“, konstatiert Classen. Die wohl enthusiastischsten Stimmen stammen aus den führenden deutschen Printmedien: Die FAZ fand Unsere Mütter, unsere Väter „grandios“ (Wolfgang Michal, 22.3.2013); der Spiegel stilisierte die Serie zum Kulminationspunkt der deutschen Vergangenheitsbewältigung (Roman Leick, 25.3.2013). Selbst prominente Historiker wie Hans-Ulrich Wehler bewerteten sie positiv (Die Welt, 22.3.2013). Mit am häufigsten wurde die angebliche Realitätsnähe des Films gelobt, die als erster Götz Aly hervorgehoben hatte (Die Zeit, 14.3.2014). Viele Rezensenten behaupteten – in beinahe wörtlicher Übereinstimmung mit den Formulierungen der Produzenten –, UMUV breche das Schweigen über die deutsche Vergangenheit und sei ein Meilenstein in der Aufarbeitung der Geschichte.
Auf Spiegel online (13.3.2013) schrieb Christian Buß in einer Vorankündigung des Films:
Die Scham lässt die Alten schweigen, deren Lebenslügen verbittern die Jungen. Wie wurden Mama und Papa, Oma und Opa Teil eines verbrecherischen Systems? Und wurden sie es aus Verblendung, aus Verführung, aus schierer Verzweiflung? Solche Fragen hat man nie gestellt, und wenn doch, dann hat man keine Antwort darauf bekommen: Hast du einen Menschen erschossen? Hast du einen Freund verraten? Hast du Sex mit einem Nazi-Bonzen gehabt? Und hat dir dieser Sex Spaß gemacht?
Buß pflegt genau die Rhetorik, die besonders in Polen angegriffen wurde: Unter den Fragen, die an die älteren Generationen hätten gestellt werden sollen, wird eine nämlich nicht genannt: „Warst du ein Nazi?“
Zu den wenigen kritischen Stimmen in deutschen Medien gehörte die des Historikers Ulrich Herbert:
Die fünf Protagonisten sind am Ende alle Opfer oder sie stellen sich gegen den Nazi-Staat: Wilhelm, der Offizier, desertiert und bringt seinen Vorgesetzten um. Friedhelm, ein zynisch gewordener Wehrmachtssoldat, erschießt am Ende einen SS-Offizier. Selbst als Charlotte eine Jüdin denunziert, tut sie es mit schlechtem Gewissen. Greta wird nach langer Haft wegen Wehrkraftzersetzung schließlich hingerichtet. So wären die Deutschen gern gewesen.
Als einer der wenigen Kritiker entlarvt Herbert das Schema der filmischen Narration und zeigt den Widerspruch zwischen dem Anspruch, eine „authentische“ Geschichte zu erzählen, und der Beschönigung, die die Serie tatsächlich betreibe. Obwohl andere Rezensenten gerade die „Wirklichkeitsnähe“ des Films gelobt hatten, blieb seine Kritik aber unbeantwortet.
Ähnlich wie Herbert argumentierten große Teile der polnischen Presse, die den Realitätsgehalt von Unsere Mütter, unsere Väter ebenfalls nicht sehr hoch einschätzte. Kritik an landeskundlichen Patzern – die Mitglieder der Heimatarmee im Film sprechen schlechtes Polnisch und essen völlig entgegen der polnischen Tradition zu Weihnachten Gans – spielte dabei noch die geringste Rolle. Schwerer wog, dass dieselben AK-Mitglieder im Film Anstalten machen, Viktor zu ermorden, als sie von seiner jüdischen Identität erfahren, oder etwa einen Zug nicht öffnen wollen, in dem Juden deportiert werden. Szenen wie diese waren für alle polnischen Kommentatoren inakzeptabel. Als „Schund“ bezeichnete die Gazeta Wyborcza den Film, und das Wochenmagazin Uważam rze sprach sogar von „propagandistischer Agitation, derer sich Goebbels nicht geschämt hätte“. Ausgelöst wurden all diese Vorwürfe im Übrigen nicht nur durch den Film selbst, sondern auch durch einen begleitenden Text in Bild, der zur Frage „Waren die polnischen Partisanen wirklich so antisemitisch?“ den Historiker Ralph Georg Reuth mit einer Reihe knapper, plakativer Erklärungen zitierte:
Bei den Partisanen in dem Film handelt es sich um Angehörige der sogenannten polnischen Heimatarmee, die für ein unabhängiges Polen kämpften.
Die Heimatarmee, deren Einheiten wie Partisanen-Verbände operierten, bestand aus polnischen Nationalisten.
Der Antisemitismus in ihren Reihen war extrem verbreitet. Überhaupt war der Antisemitismus in Osteuropa stark verbreitet, was den Nazis die Ermordung der europäischen Juden erleichterte.
In der Bild-Onlineausgabe wurde unmittelbar nach diesen Worten ein Link auf einen Brief des polnischen Botschafters an die Redaktion eingefügt, in dem dieser die Darstellung der AK korrigierte. Die Inhalte des Bild-Artikels wurden jedoch nicht revidiert. Doch auch ohne den Bild-Beitrag war die empfindliche Reaktion der polnischen Medien vorhersehbar. Bereits in dem vor der deutschen Erstausstrahlung geführten Gespräch der Zeit mit Nico Hofmann und Götz Aly tauchte die Frage nach den polnischen Antisemiten auf:
Interessanterweise tritt in diesen Filmen der Antisemitismus am stärksten bei den polnischen Partisanen hervor [. . .]. Kann der ahnungslose Zuschauer da nicht auf den Gedanken kommen, dass die Polen eigentlich so schlimm wie die Deutschen waren?
Ein weiterer Einwand gegen UMUV lautete, durch das Einsetzen der Erzählung im Jahre 1941 würden sowohl die Faszination der Deutschen für den Nationalsozialismus als auch die Verbrechen, die seit dem Beginn des Krieges 1939 verübt worden waren, ausgeblendet. Vor allem konservative Publikationen wie die Tageszeitungen Rzeczpospolita und Fakt sowie die Wochenzeitschriften Do rzeczy, Uważam rze und Tygodnik Powszechny erhoben teils schwere Vorwürfe. Bereits am 7. April, als die meisten Polen noch keine Gelegenheit gehabt hatten, den Film zu sehen, widmete Uważam rze dem Thema mehrere Seiten. Das Cover der Zeitschrift zeigte Angela Merkel in einem Sträflingsanzug hinter einem KZ-Zaun. Offensichtlich zog die Redaktion also Rückschlüsse von der Opferperspektive des Films auf die Haltung der gesamten deutschen Nation, der man eine Verwechslung von Opfern und Tätern unterstellte. So hieß es im Leitartikel von Leszek Pietrzak:
Unsere Mütter, unsere Väter ist ein weiteres Beispiel der bewussten Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs seitens der Deutschen. Das Ziel ist, die Verantwortung für den Beginn des Krieges und die in seinem Verlauf verübten Gräuel aus dem deutschen Bewusstsein auszuradieren. Durch diesen Prozess, der in Deutschland schon seit über 50 Jahren vonstattengeht, soll der Nationalstolz endgültig wiederhergestellt werden. Auch Joachim Trenker im Tygodnik Powszechny warf dem Film die Verwechslung von Opfern und Tätern vor, wenn auch in weniger radikalen Worten als Pietrzak, und die liberale Wochenzeitschrift Newsweek publizierte ein Interview mit dem Historiker Tomasz Szarota, der zum selben Schluss kam: „Aus der Serie folgt, dass der Ausbruch des Krieges die Deutschen zu Opfern machte – ohne dass der Regisseur hinzufügen würde, dass gerade die Deutschen diesen Krieg auch ausgelöst hatten.“ Szarota erkennt jedoch an,
dass in dieser Serie zum vermutlich ersten Mal in der deutschen Filmgeschichte Wehrmachtssoldaten als Kriegsverbrecher gezeigt wurden – das ist ohne Zweifel etwas Neues, und wir als Polen sollten die Bedeutung einer solchen Darstellung verstehen.
Stimmen wie diese, die auch die deutsche Perspektive berücksichtigen, gehörten im polnischen Medienecho zu den Ausnahmen. Anders als in den meisten deutschen Beiträgen, die das Geschichtsbild des Films als Sichtweise der Autoren oder allenfalls des ZDF behandelten, war dabei in der polnischen Presse immer wieder von der Sicht „der Deutschen“ die Rede. Hier und da wurde Unsere Mütter, unsere Väter gar als ein weiterer Bestandteil einer „bewusst geführten Geschichtspolitik“ entlarvt. Dies entsprach zwar vermutlich der Wahrnehmung der meisten polnischen Leser bzw. Fernsehzuschauer, die von der Rolle des ZDF und von einzelnen Filmautoren nur eine vage Vorstellung haben, doch solche Formulierungen trugen eher zur weiteren Aufheizung des Antagonismus und zu pauschalen Urteilen als zur Aufklärung bei.
In einer anderen Hinsicht war das polnische Publikum durchaus gut auf Unsere Mütter, unsere Väter vorbereitet, denn das Thema des einheimischen Antisemitismus wird in der polnischen Öffentlichkeit seit Jahren intensiv diskutiert. Jan Tomasz Grossʼ Buch Nachbarn (2000) über die Ermordung der Juden in der Kleinstadt Jedwabne 1941, dessen Publikation diese Debatte anstieß, ist nach wie vor umstritten, und Gross’ These von der Täterschaft der polnischen Einwohner hat zahlreiche Gegner. Das ältere und bislang dominierende Wahrnehmungsmuster, das Polen ausschließlich als Opfer des Zweiten Weltkrieges sah, ist durch die Debatte aber stark ins Wanken geraten. „Kein vernünftiger Mensch bestreitet, dass es in Polen ein Problem mit Antisemitismus gibt“, erklärt der Historiker Robert Traba dementsprechend in Zusammenhang mit Unsere Mütter, unsere Väter, wehrt sich aber gegen eine Verkürzung des Bilds von Polen „auf eine solche Haltung“. Die Heimatarmee war mit etwa 400 000 Mitgliedern die größte Widerstandsorganisation Europas. Zweifellos gab es in den Reihen dieser regulären Armee im Untergrund auch Antisemiten, andererseits organisierten und unterstützten einige Kompanien der AK Hilfsaktionen für Juden.
Dass in Unsere Mütter, unsere Väter „Partisanen nicht pauschal heiliggesprochen“ werden, wie Götz Aly im Gespräch mit der Zeit lobend hervorhebt, ist insofern sicher unproblematisch – problematisch ist dagegen, wenn in einem so umfangreichen Film über Deutsche im Zweiten Weltkrieg die einzigen Figuren, die antisemitische Überzeugungen äußern, ausgerechnet Polen und ausgerechnet polnische Widerstandskämpfer sind. Dazu kommt, dass der von Unsere Mütter, unsere Väter in erster Linie angesprochene durchschnittliche ZDF-Zuschauer in der Regel wohl wenig bis kein Vorwissen über die polnische Heimatarmee hatte, so dass die Eindrücke aus dem Film leicht als gültige Informationen hängenbleiben konnten – zumal dem Film von allen Seiten so viel Authentizität zugesprochen wurde. Selbst ein professioneller Historiker wie Hans-Ulrich Wehler fand offenbar nichts dabei, Spielszenen über AK-Mitglieder als historische Quellen zu behandeln. „Es war in Deutschland bisher noch nicht so bekannt, dass die polnische Partisanenbewegung in einem erstaunlichen Maße antisemitisch eingestellt war. Dazu gehört Mut, das auch mal darzustellen“, erklärte er gegenüber der Welt. Dass dieser angebliche „Mut“ im Nachbarland weniger geschätzt wurde, war vorprogrammiert. Nicht nur zeigt Unsere Mütter, unsere Väter auch Polen als Täter, der Film stellt darüber hinaus einen Angriff auf den Mythos der Heimatarmee dar, die im heutigen Polen – nach der Tabuisierung in der Volksrepublik – mittlerweile fast zu einer Art Nationalheiligtum geworden ist.
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Mehrheit der polnischen Öffentlichkeit protestiert, wenn ein Anstoß, den eigenen Antisemitismus aufzuarbeiten, ausgerechnet von einer deutschen Fernsehproduktion ausgeht. Dass die Macher des Films in einem knapp zwanzigminütigen Handlungsstrang gleich zwei für Polen sehr heikle Themen aufgreifen, beide Male mit einem eklatanten Mangel an Fingerspitzengefühl, hat eine sachliche und produktive Auseinandersetzung erschwert.
„Monologisches Erinnern“
Unsere Mütter, unsere Väter löste eher nationale Monologe als einen innerdeutschen oder gar internationalen Dialog aus. Vor allem zwischen deutschen und polnischen Pressestimmen (später auch amerikanischen, die hier jedoch nicht Thema sind) tat sich eine Kluft auf. In Deutschland bemühte sich so gut wie niemand, die Vorwürfe von polnischer Seite und die polnische Perspektive nachzuvollziehen. Anstelle einer „dialogischen Erinnerung“, die eine „dialogische Bezogenheit und gegenseitige Anerkennung und Anschlussfähigkeit nationaler Geschichtsbilder“ beinhalten würde, blieb die Rezeption in beiden Ländern überwiegend selbstbezogen. So konzentrierte sich etwa die polnische Kritik weitgehend auf die Szenen, deren Schauplatz in Polen lag. Bezeichnend ist im Übrigen auch, dass die Darstellung der Ostfront in Unsere Mütter, unsere Väter in keinem der beiden Länder viel kommentiert wurde. Dass der Film Russen und Ukrainer – pikanterweise im Einklang mit dem nationalsozialistischen Stereotyp – durchweg als ausgesprochen primitive Menschen charakterisierte, schien weder die deutsche noch die polnische Öffentlichkeit sonderlich zu stören. Folgerichtig wurden auch weder zu deutschen noch zu polnischen Diskussionen über den Film russische oder ukrainische Experten eingeladen.
Aleida Assmann kritisierte vor allem die deutsche Seite in dieser Auseinandersetzung:
Diese deutsche Gedanken- und Erinnerungslosigkeit schlägt sich auch in den Massenmedien nieder. Das ZDF-Epos zeigte zudem, wie unbewältigte Erinnerungsreste die Binnenkommunikation in Europa weiterhin stören und zurückwerfen. [. . .] Statt in Europa eine transnationale Dialogfähigkeit zu befördern – die ja durchaus entsteht und hoffnungsvolle Entwicklungen zeigt – können solche Irritationen dazu beitragen, die monologischen Gedächtnis-Konstruktionen der Mitgliedstaaten weiter zu verfestigen.
Die Interpretation von Geschichte durch die Massenmedien ist ein Teil der Erinnerungskultur. Dazu gehört auch die Produktion und Vermarktung von Geschichtsfilmen. Im Fall von Unsere Mütter, unsere Väter wurde der Film durch intensive Werbung auf verschiedenen Kanälen und durch umfangreiches Begleitmaterial zu etwas stilisiert, dessen Bedeutung über den Unterhaltungswert des Films hinausgehen sollte. Wie schon im Zuge anderer erinnerungskultureller Debatten oder Premieren von Filmen zur NS-Vergangenheit behauptete man, die Serie würde ein Tabu brechen, und überhöhte den ZDF-Streifen so zu einem geschichtspolitischen Akt, der angeblich eine Zäsur in der Vergangenheitsaufarbeitung der Bundesrepublik darstelle. Entsprechend groß war schon im Vorfeld das Interesse der Presse.
Die Wirkung des Films auf das polnische Publikum war bei all dem offenbar nicht bedacht worden. Auf die Empörung in Polen reagierte das ZDF mit einer Presseerklärung und „bedauerte“, entschuldigte sich aber nicht. Als „Entschädigung“ gab es nur die Produktion eines weiteren Dokumentarfilms in Auftrag. Andrzej Klamt und Alexander Berkel zeichneten darin ein „korrektes“, wenn auch ziemlich chaotisches Bild der deutschen Besatzung in Polen: In einer knappen halben Stunde berichteten sie von Razzien, Ghettos, Konzentrationslagern, Antisemiten, aber auch von Polen, die Juden halfen. Im Gegensatz zur ersten Begleitdokumentation zu Unsere Mütter, unsere Väter von Guido Knopp, die in mehreren deutschen Sendern wiederholt zu besten Sendezeiten ausgestrahlt wurde, zeigte das ZDF den Film von Klamt und Berkel allerdings nur einmal, und zwar um 23 Uhr 45.
Ein ähnliches Muster ließ sich auch schon in anderen deutsch-polnischen erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen beobachten, wie bereits die Diskussionen um Agnieszka Hollands Hitlerjunge Salomon im Jahr 1990 zeigten. Die Medien sind in diesen Debatten keineswegs nur neutrale Plattform, wie Maren Röger anhand des Themenkomplexes Vertreibung darlegt. Die Auseinandersetzung um dieses Thema eskalierte 2003, als das geplante Zentrum gegen Vertreibungen einen regelrechten deutsch-polnischen Medienkrieg auslöste. Röger konstatiert in diesem Zusammenhang frappierende Asymmetrien der Aufmerksamkeit: Die deutschen Medien hätten polnische Debatten weitestgehend ignoriert und Kritik erst sehr spät wahrgenommen. Ein Vergleich des Medienechos auf Unsere Mütter, unsere Väter mit Rögers Untersuchung zeigt, dass aus den früheren Kontroversen anscheinend keine Lehren gezogen wurden: Deutschland und Polen scheinen zumindest im Bereich der Film- und Fernsehproduktionen von einer Annäherung der Erinnerungskulturen nach wie vor weit entfernt zu sein. Ein kontroverser Film wie Unsere Mütter, unsere Väter hätte eine – wenn auch hitzige – Diskussion über Geschichte, Erinnerungskultur und nationale Perspektiven über die Grenze hinweg fördern können. Dieses Potential ist jedoch in nationalen Monologen versiegt.
· Carolin Piorun (1990), Studentin der Kultur- und Literaturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder
Magdalena Saryusz-Wolska (1980), Dr. phil., Kultur- und Filmwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften sowie am Institut für Gegenwartskultur der Universität Łódź
Von Magdalena Saryusz-Wolska erschien in Osteuropa: Der erste Holocaust-Spielfilm. Wanda Jakubowskas „Die letzte Etappe“, in: OE, 10/2012, S. 71–83.
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