Pflichtbewusst
Tschechen nach Afghanistan!
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Abstract
Alle ostmitteleuropäischen Staaten beteiligen sich am internationalen Einsatz in Afghanistan. Die Tschechische Republik verfügt sogar über eine eigene regionale Wiederaufbaueinheit (PRT) in der umkämpften Provinz Logar. Offiziell nennt die tschechische Regierung die gleichen Gründe für die Entsendung der Soldaten wie die anderen NATO-Staaten. Tatsächlich kann jedoch von einer Verteidigung tschechischer Interessen am Hindukusch keine Rede sein. Vielmehr geht es darum, die Tschechische Republik als einen zivilisierten Staat darzustellen, der mit seiner Präsenz in Afghanistan seine erfolgreiche Sozialisation in der westlichen Wertegemeinschaft unter Beweis stellt.
(Osteuropa 9/2009, S. 6576)
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Alle ostmitteleuropäischen Staaten beteiligen sich am internationalen Einsatz in Afghanistan. Die Tschechische Republik verfügt sogar über eine eigene regionale Wiederaufbaueinheit (PRT) in der umkämpften Provinz Logar. Offiziell nennt die tschechische Regierung die gleichen Gründe für die Entsendung der Soldaten wie die anderen NATO-Staaten. Tatsächlich kann jedoch von einer Verteidigung tschechischer Interessen am Hindukusch keine Rede sein. Vielmehr geht es darum, die Tschechische Republik als einen zivilisierten Staat darzustellen, der mit seiner Präsenz in Afghanistan seine erfolgreiche Sozialisation in der westlichen Wertegemeinschaft unter Beweis stellt. Die Tschechische Republik ist seit 2002 in den internationalen Einsatz in Afghanistan eingebunden. Die tschechische Armee entsandte zunächst militärtechnische Spezialisten und beteiligte sich dann an einer von Deutschland geführten regionalen Wiederaufbaueinheit (Provincial Reconstruction Teams, PRT). Seit 2008 operiert ein eigenes tschechisches PRT in der Provinz Logar im Bereich des von den USA geleiteten Regionalkommandos Ost. Die Motive, die die tschechische Regierung dazu bewogen, Truppen für die internationalen Einsätze, die von den USA geführte Operation Enduring Freedom und die von der NATO geführte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) zu entsenden, haben wenig mit der Situation in Afghanistan und den vermuteten Auswirkungen auf die Tschechische Republik zu tun. Ziel ist es vielmehr, die Tschechische Republik als verlässlichen NATO-Partner zu präsentieren, der das Gut Sicherheit nicht nur entgegen nimmt, sondern auch zur Verfügung stellt. Die Entscheidung für Logar als Standort des PRT ist hingegen ökonomischer Natur und hat viel mit den dortigen Kupfervorkommen zu tun. Nur eine sehr geringe Rolle spielten hingegen Überlegungen, die in Zusammenhang mit der Situation der Menschen in Afghanistan oder den Auswirkungen der politischen Entwicklung am Hindukusch auf die europäische und internationale Sicherheitslage haben. Besonders problematisch ist, dass die Regierung vom tschechischen Parlament erwartete, dass dieses der Entscheidung wegen der Bündnisverpflichtungen unhinterfragt zustimmen solle. AFGHANISTAN IST KEIN SPAZIERGANG Afghanistan ist eines der ärmsten und zugleich sicherheitspolitisch problematischsten Länder der Welt. Das abgelegene, geopolitisch isolierte Land grenzt an Pakistan und Iran sowie drei muslimische Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Das Land war im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder Ziel ausländischer Invasionen. Großbritannien führte 1838–1842 (Erster Anglo-Afghanischer Krieg), 1878–1880 (Zweiter Anglo-Afghanischer Krieg) und 1919 Truppen in das Land, konnte sich in den asymmetrischen Kriegen jedoch nicht entscheidend durchsetzen. 1919 erlangte Afghanistan die Unabhängigkeit. Der Widerstand der lokalen Stammesgemeinschaften gegen ausländische Intervention ist noch heute fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Afghanen. Diese Tradition ließ sich auch nach der sowjetische Okkupation 1979 mobilisieren. Nach einem zehnjährigen verheerenden Krieg, in dem die Sowjetunion nie die Kontrolle über das gesamte Land erlangt hatte, zog Moskau seine Truppen 1989 ab. Der erbitterte Widerstand gegen Invasoren in einem grausam geführten asymmetrischen Krieg ist somit zugleich historische Konstante und mobilisierender Mythos der afghanischen Warlords. Daher erstaunt, welcher Optimismus bei den USA und ihren Verbündeten ausbrach, nachdem sie Ende 2001 die Taliban gestürzt hatten. Inbegriff dieses Optimismus war das Wort vom „afghanischen Modell“. Gemeint war ein aufgrund großer technologischer Überlegenheit billiger und kurzer Krieg. Offiziell riefen die USA dann rasch das siegreiche Ende des Krieges aus. Übersehen wurde dabei, dass das zentrale Problem die dauerhafte Kontrolle über das ganze Land ist. Die Berge des Hindukusch bieten Rückzugsräume für den Widerstand, enge Täler machen die Kontrolle der Versorgungswege schwierig. Die meisten Angriffe auf die internationalen Truppen finden wie im Irak aus dem Hinterhalt statt. Die Zahl der Anschläge ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Sie fordern immer mehr Todesopfer unter den ausländischen Truppen. Der Afghanistan-Einsatz droht zu einem langwierigen Abnutzungskrieg mit unklarem Ausgang zu werden. „OPERATION ENDURING FREEDOM“ UND ISAF Die Intervention in Afghanistan war die erste militärische Reaktion der USA auf die Anschläge vom 11. September 2001, wobei man sich auf die Resolution 1368 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen berief, in der dieser die Anschläge als bewaffneten Angriff gewertet und an das in Artikel 51 der UN-Charta festgehaltene Selbstverteidigungsrecht erinnert hatte. Dies verstanden Washington und die den USA in der „Koalition der Willigen“ verbundenen Staaten als völkerrechtliche Legitimation für Militärschläge. Ziel der am 7. Oktober 2001 als Operation Enduring Freedom gestarteten US-amerikanischen und britischen Angriffe war die Ergreifung Usama Bin Ladins als Hauptverantwortlichen für die Anschläge in New York und Washington, die Ausschaltung seiner Terrororganisation Al-Qaida und der Sturz des in Kabul herrschenden Regimes der Taliban, das den Drahtziehern der Anschläge aus den Reihen der Al-Qaida Unterschlupf gegeben und sie finanziell und organisatorisch unterstützt hatte. Nach dem raschen Fall des Taliban-Regimes kamen bereits Anfang Dezember 2001 auf Einladung des Sonderbotschafters für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, auf dem Petersberg bei Bonn Vertreter verschiedener afghanischer Gruppierungen zusammen, um sich über die Zukunft des Landes zu verständigen. Unter erheblichem internationalen Druck einigten sich die Beteiligten auf eine Übergangsregierung und auf Hamid Karzai als Übergangspräsidenten. Um den politischen Wiederaufbau zu sichern, stellten zahlreiche Staaten Truppen für eine von der NATO geführte und durch den UN-Sicherheitsrat in Resolution 1386 legitimierte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) auf. Mitte 2009 waren 26 NATO-Staaten, einschließlich der Tschechischen Republik, und weitere 13 Länder an ISAF beteiligt, die insgesamt gut 50 000 Mann entsendet haben. Bis Oktober 2003 war das Einsatzgebiet der ISAF auf Kabul und die Umgebung der Hauptstadt beschränkt. Dann erweiterte der UN-Sicherheitsrat das Mandat auf das ganze Land. In dem Maße, in dem ISAF-Truppen jenseits der Hauptstadt stationiert wurden, nahmen auch die bewaffneten Auseinandersetzungen mit lokalen Widerstandsgruppen sowie die Anschläge auf die ISAF mit ferngezündeten Sprengfallen sowie durch Selbstmordattentate zu. Die Armee der Tschechischen Republik nimmt seit April 2002 an dem internationalen Afghanistaneinsatz teil. Im Rahmen von ISAF entsandte die tschechische Armee zwei Feldlazaretts, Sprengstoffexperten und weitere militärische Spezialisten. Von September 2004 bis März 2007 war auf dem Flughafen in Kabul ein Kontingent des meteorologischen Dienstes im Einsatz. Von 2007 bis Juli 2009 war darüber hinaus eine Sondereinheit der Militärpolizei in der Provinz Helmand im Süden Afghanistans für den Personen- und Objektschutz eingesetzt. Zwar handelte es sich in allen Fällen nicht um Kampf-, sondern lediglich um unterstützende Truppen. Gerade in diesen Bereichen kann die Tschechische Republik aber einen originellen Beitrag zu dem internationalen Einsatz leisten. Im Jahr 2004 und 2006 wurden zudem im Rahmen der Operation Enduring Freedom jeweils 120 Soldaten einer Spezialeinheit eingesetzt. DAS TSCHECHISCHE „PROVINCIAL RECONSTRUCTION TEAM“ Schon kurz nach dem Sturz der Taliban begannen die USA regionale Wiederaufbaueinheiten – sogenannte „Provincial Rekonstruction Teams“ – einzusetzen, die sowohl zivile als auch militärische Aufgaben haben. Sie standen zunächst unter US-Kommando, seit 2006 stehen viele PRTs auch unter dem Oberkommando der ISAF. Zur Zeit sind 26 PRTs in Afghanistan eingesetzt. Die Tschechische Republik sammelte in den Jahren 2005–2007 erste Erfahrungen mit dem Konzept der PRT, als Prag Soldaten in eine von Deutschland geleitete Wiederaufbaueinheit in Faizabad entsandte. Im März 2008 nahm das erste eigenständige tschechische PRT in der Provinz Logar im Bereich des von den USA geleiteten Regionalkommandos Ost der ISAF die Arbeit auf. Stationiert ist die Einheit auf dem Stützpunkt Shank nahe der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam. Der Aufbau der Einheit geht auf das amerikanische Konzept „Coalition Humanitarian Liaison Cells“ zurück, aus denen die ersten PRTs hervorgingen. Dies zeigt sich etwa daran, dass es einen militärischen und einen zivilen Teil gibt, wobei 269 Soldaten nur zehn Zivilisten gegenüberstehen, so dass die militärische Komponente deutlich überwiegt. Zunächst war allerdings ein wesentlich höherer Anteil der Zivilisten in dem tschechischen PRT von über 50 Prozent vorgesehen, da das ursprüngliche Konzept für den Aufbau des tschechischen PRT keine ernsthafte Analyse der Bedrohungslage enthalten hatte. Dahinter steckte die Annahme, dass eine klare Unterscheidung zwischen den Wiederaufbauteams der ISAF und den militärischen Einsätzen im Rahmen der Operation Enduring Freedom möglich sei. Genau diese Unterscheidung treffen aber die Aufständischen nicht. Sie greifen ausländische Zivilisten wie Soldaten gleichermaßen an. Einige tschechische Experten wie der ehemalige Sicherheitsberater des tschechischen PRT Libor Stejskal führen dies darauf zurück, dass die Kämpfer nicht in der Lage seien, zwischen der Wiederaufbaumission und dem Kampfeinsatz zu unterscheiden. Eine genaue Analyse spricht jedoch dafür, dass die Aufständischen die Ziele sehr genau auswählen. So geriet etwa im Mai 2007 der tschechische Chargé d’affairs in Afghanistan, Filip Velach, unter heftiges Feuer und konnte nur dank des Einsatzes seiner Bewacher sowie amerikanischer Einheiten entkommen. Spätestens da hätte klar sein müssen, dass die Unterscheidung zwischen dem Wiederaufbau Afghanistans und dem Krieg gegen den Terror kaum aufrecht zu erhalten ist. Denn gerade die Aufhebung dieser Trennlinie ist Ziel der Aufständischen, die die Auswirkungen von Anschlägen auf die öffentliche Meinung der Staaten mit Afghanistan-Kontingenten zum Bestandteil ihrer strategischen Erwägungen gemacht haben. Sie nehmen Zivilisten der PRTs sowie Diplomaten ins Visier, weil dies wunde Punkte der westlichen Regierungen sind, die unter wachsendem innenpolitischen Druck einen Rückzug vom Hindukusch beschließen könnten. Die tschechische Öffentlichkeit ist ebenso wenig wie die der anderen europäischen Staaten auf den Tod von Soldaten in Afghanistan vorbereitet. Hinzu kommt, dass es in der Tat eine problematische Verknüpfung der beiden Mandate gibt. So sprach der damalige Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop Scheffer, schon 2004 davon, dass der islamische Terrorismus in Afghanistan eine existentielle Bedrohung für den Westen sei, und wollte die ISAF-Mission als Teil der Vorwärtsverteidigung der NATO verstanden wissen. Tatsächlich übernahm die ISAF im Süden Afghanistans im Jahr 2006 die Aufgaben der im Rahmen der Operation Enduring Freedom agierenden amerikanischen Truppen. Auch die Bukarester Deklaration der NATO aus dem Jahr 2008 spricht davon, dass die ISAF die Aufgabe habe, „Afghanistan von der terroristischen Bedrohung“ zu befreien. Schließlich entsenden viele Staaten – darunter auch die Tschechische Republik – Soldaten unter ISAF- und OEF-Mandat, was jenen in die Hände spielt, die beide Einsätze als Teil eines einzigen westlichen Kreuzzugs sehen wollen. Obwohl die Kommandeure des tschechischen PRT betonen, dass ihre Tätigkeit im Rahmen der ISAF in erster Linie weder auf Okkupation noch auf Kampf gerichtet ist, sind bewaffnete Auseinandersetzungen nicht auszuschließen: ,,Wir kamen in Ihr Land, um Ihrer Regierung zu helfen und bessere Bedingungen für Ihr Leben zu schaffen. Wir wollen nicht töten, aber wir werden uns verteidigen, wenn es nötig ist.“ Das tschechische PRT legt großen Wert darauf, sich nicht in seinem Stützpunkt zu verschanzen, sondern Präsenz zu zeigen und bei den Patrouillefahrten Kontakt mit der Bevölkerung aufzunehmen, um deren Vertrauen zu gewinnen. Diese Patrouillen bringen aber Gefahren mit sich. Bis Anfang August 2009 hat die tschechische Armee drei Tote zu beklagen, von denen zwei bei Anschlägen ums Leben kamen. Bei einem Patrouillengang im Oktober 2007 wurde das tschechische PRT Ziel eines Angriffs, der sieben Verletzte kostete. Bei einem Raketenangriff auf den tschechischen Stützpunkt Ende September 2008 wurden darüber hinaus fünf Soldaten verletzt. Aufgaben Wie bei allen PRTs der ISAF hat auch das tschechische drei Aufgabenbereiche: die Unterstützung der Reform von Armee und Polizei, Hilfe bei der Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowie die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Die Kosten für die Aufstellung und Unterhaltung des tschechischen PRT beliefen sich bislang auf ca. 700 Millionen Kronen (27 Millionen €). Zu den zivilen Experten gehören u.a. ein Bauingenieur, ein Agrarexperte, ein Wasserwissenschaftler und ein Veterinär. Viele der Mitglieder des zivilen Teils haben früher für die größte tschechische Nichtregierungsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not) gearbeitet. Die praktischen Tätigkeiten des tschechischen PRT sind vielfältig. Im Bereich Sicherheit und gute Regierungsführung bildet das tschechische Team afghanische Polizisten aus, setzte fünf Kontrollposten der afghanischen Polizei entlang der Hauptstraße nach Kabul in Stand, baute ein Trainingszentrum für die afghanische Polizei und unterstützt unabhängige Medien in der Provinz Logar. Den Wiederaufbau des Schulwesens hat das tschechische PRT mit dem Bau einer gemischten Schule für 800 Mädchen und Jungen unterstützt. Bis Ende 2009 sollen acht weitere Schulen für insgesamt 12 000 Kinder renoviert bzw. gebaut werden, darunter zwei Mädchenschulen für über 400 Kinder. Im Gesundheitswesen hilft das tschechische Team beim Bau zweier Krankenhäuser, verteilt Medikamente, legt Blutbanken an, hat sieben Krankenwagen zur Verfügung gestellt und Solaranlagen auf Dächern von Krankenhäusern mit einer Neugeborenenstation gebaut, um eine ununterbrochene Stromversorgung für Brutkästen zu gewährleisten. In der Landwirtschaft verteilen die tschechischen Soldaten Saatgut und Düngemittel, bauen Keller für die Lagerung der Ernte, helfen bei der technischen Ausstattung von Milchsammelstellen und unterstützen Imker. Im Bereich Wasserinfrastruktur hat das tschechische Team den Staudamm in Surchab repariert und Reparaturen an traditionellen Bewässerungssystemen durchgeführt. Die militärischen Befehlshaber des tschechischen PRT sind sich einig, dass für den Erfolg der ISAF-Mission die Etablierung einer starken und effektiven Regierung mit funktionierenden Institutionen unabdingbar ist. Dies sehen tschechische Sicherheits- und Militärexperten als entscheidenden Schritt zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der afghanischen Bevölkerung. So erklärte der Kommandeur des tschechischen PRT, Oberst Ivo Střecha, ,,ich denke, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan erfolgreich sein kann. Der Fortschritt ist zu erkennen, in größerem Maße im Norden des Landes, aber auch im Süden, wo die Sicherheitslage schwieriger ist. Es bedarf noch einer besseren Koordinierung aller dort tätigen Akteure, einer weiteren Verbesserung der Arbeit der afghanischen Behörden, der Armee und der Polizei auf der zentralen und lokalen Ebene sowie mehr Transparenz bei der finanziellen Unterstützung, damit diese ihre Adressaten besser erreicht. Dies wird jedoch ein langfristiger Prozess sein.“ Gleichzeitig spricht die tschechische Erfahrung gegen den Versuch, eine Demokratie westlichen Typs nach Afghanistan zu exportieren, da diese den traditionellen afghanischen Formen der politischen Beratung (Schura) und Entscheidungsfindung in der lokalen Dschirga widersprechen. Die afghanischen Traditionen hätten, so Střecha, alle zu berücksichtigen: der Kommandeur, einfache Soldaten, die Kontakte zu den Menschen vor Ort aufnehmen, und auch beispielsweise ein Logistiker, der einen Liefervertrag mit einem lokalen Partner aushandelt. Ein Lächeln […] kann das Leben von Soldaten und zivilen Experten retten. „POLITISCHE DEBATTE“ A LA TCHEQUE Die Entscheidung über die Entsendung eines PRT nach Afghanistan fiel, ohne dass es darüber eine ernsthafte politische Debatte in der Tschechischen Republik gegeben hätte. Die von 2006 bis 2009 amtierende Mitte-rechts-Koalition – bestehend aus der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der christsozialen KDU-ČSL sowie den Grünen (SZ) – hielt sich bei der Begründung strikt an die offizielle NATO-Linie. Die zum Zeitpunkt der Formulierung des Mandats in der zweiten Jahreshälfte 2007 in den USA und anderen NATO-Staaten bereits heftig entbrannte Debatte über die Afghanistanpolitik und die Kriegführung der USA ging in keiner Weise in die Vorlage zur Erteilung des Mandats ein, die die Regierung dem Parlament präsentierte. So spielte etwa in der tschechischen Debatte eines der zentralen Probleme keine Rolle: der Umgang mit der pakistanisch-afghanischen Grenze, der sogenannten Durand-Linie, die aus 33 Millionen Paschtunen 13 Millionen afghanische und 20 Millionen pakistanische Staatsbürger macht. Auch die Auswirkungen der hohen Verluste unter der Zivilbevölkerung infolge von amerikanischen Luftschlägen und Operationen der Bodentruppen thematisierten die tschechischen Regierungsparteien nicht. Dass es keine Debatte über die Frage gab, ob die amerikanische Militärpräsenz in Afghanistan tatsächlich die Lösung eines Problem oder das Problem selbst ist, versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst. Statt konkrete Fragen der politischen und militärischen Entwicklung in Afghanistan sowie des Einsatzes tschechischer Soldaten am Hindukusch zum Gegenstand der Debatte zu machen, präsentierte die Regierung die Entscheidung über die Einrichtung des tschechischen PRT und die generelle Verlängerung des Afghanistan-Mandats als Grundsatzfrage der tschechischen Sicherheits- und Bündnispolitik. Eine Debatte über Sinn und Ziele der Operation in Afghanistan hat sie damit verhindert. Dies beklagte auch der stellvertretende Parlamentspräsident Lubomír Zaorálek (ČSSD) während der Parlamentsdebatte über die Regierungsvorlage zur Entsendung des tschechischen PRT Anfang Dezember 2007: „Diese Vorlage berücksichtigt in keiner Weise die Lage, in der sich die Tschechische Republik befindet […] Was ist Zweck [des Einsatzes], was sein Ziel, was wollen wir erreichen?“ Trotz großer Bedenken – die allerdings eher prozeduraler als inhaltlicher Natur waren – sprach sich ein Teil der Sozialdemokraten für die Annahme der Vorlage aus. Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses Jan Hamáček (ČSSD) etwa erklärte, die Regierung stelle ,,die Opposition vor vollendete Tatsachen, denn so wie [die Vorlage] formuliert ist, würde es, falls wir gegen eine der beantragten Missionen stimmen, bedeuten, dass der [tschechische Auslandseinsatz] nicht reduziert, sondern komplett gestrichen werden würde. Dies ist natürlich für eine verantwortliche Opposition problematisch. Daher habe ich zwar Vorbehalte […], dennoch […] unterstütze ich die Vorlage, denn sie steht für eine gewisse Kontinuität in der tschechischen Außenpolitik.“ So stimmte ein Teil der Sozialdemokraten mit den Fraktionen der Regierungskoalition, so dass 125 der 195 anwesenden Abgeordneten für die Vorlage und nur 54 – die Abgeordneten der kommunistischen KSČM sowie ein Teil der ČSSD – dagegen stimmten. War die Kritik der Opposition trotz der fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten im Jahr 2007 noch konstruktiv gewesen, so geriet die Abstimmung über die Verlängerung und Aufstockung des Mandats im Jahr 2008 und zu einem politischen Kuhhandel. Die ČSSD erklärte im Dezember 2008, sie werde dem Antrag der Regierung auf eine Aufstockung der Truppen für PRT in Logar um weitere 120 Soldaten nur zustimmen, wenn diese die geplante Einführung von Gebühren für Leistungen im Gesundheitswesen zurückziehe. Da die Regierung dies ablehnte, stimmten die KSČM und die ČSSD Mitte Dezember 2008 gegen die Vorlage, so dass sie nur 99 statt der benötigten 100 Stimmen erhielt und die Regierung das Mandat für eine Übergangszeit von zwei Monaten ohne Zustimmung des Parlaments verlängern musste. Was folgte, waren wüste Beschimpfungen zwischen Opposition und Regierung. Erst drei Wochen bevor das vorübergehende Mandat auslief, verlängerte es das Abgeordnetenhaus Anfang Februar 2009 bei einer erneuten Abstimmung mit knapper Mehrheit von 105 bei 100 benötigten Stimmen, da sich vier Abgeordnete der ČSSD und sieben Fraktionslose für die Vorlage der Regierung aussprachen. ZWEIFELHAFTE MOTIVE, PROBLEMATISCHES DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS Warum entsendet ein kleiner mitteleuropäischer Staat Soldaten an den Hindukusch? Die tschechische Debatte über den Einsatz hat gezeigt, dass Prag nicht fürchtet, von der Entwicklung in Afghanistan könne eine Bedrohung für die Tschechische Republik ausgehen. Manche behaupten daher, die Motive seien vor allem ökonomischer Natur. Dies trifft allerdings nicht zu. Wirtschaftliche Gründe waren lediglich für die Entscheidung von Bedeutung, ein PRT gerade in die Provinz Logar zu entsenden. Zunächst war die Provinz Baghlan vorgesehen gewesen, wo heute ein ungarisches PRT eingesetzt ist. Interviews mit hochrangigen Beamten des Außenministeriums sowie inoffizielle Regierungsdokumente deuten darauf hin, dass eines der Ziele des tschechischen PRT in Logar auch die Erschließung von Rohstoffen ist. Die Provinz verfügt über beträchtliche Kupferreserven, und die China Metallurgical Group plant eine Kupfermine im Bezirk Mohammad Agha. Für die These von den ökonomischen Motiven bei der Auswahl des Standorts spricht auch, dass das Industrie- und Handelsministerium sich vehement für Logar eingesetzt hatte. Die Öffentlichkeit nahm diese verborgenen Motive nicht wahr. Nur der Abgeordnete des Tschechischen Parlaments Václav Exner von der Komunistická strana Čech a Moravy (der Kommunistischen Partei Böhmen und Mähren) hatte in einer Rede der Abgeordnetenkammer darauf hingewiesen: „Wir reden von einer Provinz, in der die größte Kupfermine Afghanistans entstehen soll, und überlegen, wie daraus Profit zu schlagen ist.“ Für die generelle Entscheidung zur Entsendung von Soldaten nach Afghanistan spielten diese ökonomischen Motive allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ging es darum den Erwartungen der Bündnispartner zu entsprechen. Dies zeigt die Aussage der damaligen Verteidigungsministerin Vlasta Parkanová: Diese Vorlage entspricht eindeutig den militärischen und politischen Ambitionen der Tschechischen Republik und zeigt, dass [wir] Verantwortung übernehmen für unsere eigene Sicherheit und die unserer Verbündeten sowie für die Verteidigung gemeinsamer Werte und Interessen […] Im Oktober [2007] verabschiedete [die] parlamentarische Versammlung der NATO auf ihrer Plenarsitzung in Reykjavik zwei Resolutionen, in denen sie die Entschlossenheit zur Lösung der Situation in Afghanistan betont und die NATO-Staaten zu einem größeren Engagement auffordert. Es wird deutlich, dass hinter der Entscheidung der tschechischen Regierung zur Entsendung von Soldaten nicht eigene Überlegungen zur Bedeutung Afghanistans für die Sicherheit der Tschechischen Republik oder zur Verbesserung der Lage in dem krisengeschüttelten Land standen. Vielmehr hat die Regierung die Interessen und Wahrnehmungen der Bündnispartner übernommen, sie internalisiert und anschließend als eigene Motive ausgegeben. Worum es ging, war ein den Erwartungen der NATO und insbesondere der USA angemessenes Verhalten (logic of appropriateness). Die Tschechische Republik sollte als ,,gelehriger Schüler“ präsentiert werden, als ein Land, das nicht mehr ein ehemaliges Mitglied des Warschauer Paktes ist, sondern ein zivilisierter Staat, der mit seiner Präsenz in Afghanistan seine erfolgreiche Sozialisation in der westlichen Wertegemeinschaft unter Beweis stellt und das Gut Sicherheit nicht nur entgegen nimmt, sondern auch zur Verfügung stellt. Besonders problematisch an diesem Politikverständnis ist, dass das nationale Parlament in ihm nicht mehr der Ort der politischen Entscheidung ist. Die Regierung erwartete vielmehr, dass ihre Vorlage das Parlament automatisch passiert. Schließlich hätten ihr ja nicht nur die Exekutive, sondern auch die in die parlamentarische Versammlung der NATO entsandten tschechischen Abgeordneten bereits zugestimmt. Außenminister Karel Schwarzenberg etwa erklärte in der Debatte über die Verlängerung des Mandats für das tschechische PRT: ,,Das Ansehen der Tschechischen Republik in der Welt, ihre Verpflichtungen gegenüber den Verbündeten sowie die Sicherheit der Tschechischen Republik und unserer Verbündeten sollte nicht zu einem Thema werden, über das Opposition und Regierung streiten.“ Daher hielt die Regierung es auch nicht mehr für nötig, die Opposition an der konkreten Ausarbeitung des Mandats zu beteiligen. Die nationalen Parlamente werden so zu nachgeordneten Behörden degradiert, die auf internationaler Ebene getroffenen Entscheidungen nur noch ihren Segen zu geben haben. Aus dem Tschechischen von Karolína Jakubowska, Berlin Jan Eichler (1952), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für internationale Beziehungen (Ústav mezinárodních vztahů, ÚMV), Prag, und Dozent an der Prager Wirtschaftshochschule (VŠE) sowie an der Stredoeurópska Vysoká škola in Skalice, Slowakei Nik Hynek (1979), wissenschaftlicher Mitarbeiter am ÚMV, Prag, und Visiting Research Scholar am Saltzman Institute of War and Peace Studies, Columbia University, New York
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