Liberalisiert, monopolisiert, fixiert
Antinomien des Energiemarkts in Europa
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Abstract
Die Europäische Union definiert die energiepolitische Kooperation als einen Schlüsselbereich der Nachbarschaftspolitik. Seit 2006 versucht die EU, Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerb als Prinzipien der Energiepolitik auf den Nachbarschaftsraum auszudehnen. Damit hat sie eine energiepolitische und geostrategische Neuausrichtung vorgenommen. Allerdings stößt der Wettbewerb auf dem Energiesektor bereits in der EU an die Grenzen nationaler Souveränitätsansprüche. Der Ausbau energiepolitischer Beziehungen in der weiteren Region ist ein langwieriger, aber wichtiger Bestandteil einer im Entstehen begriffenen Energieaußenpolitik.
(Osteuropa 2-3/2007, S. 241256)
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Liberalized, Monopolized, Fixated
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Die Europäische Union definiert die energiepolitische Kooperation als einen Schlüsselbereich der Nachbarschaftspolitik. Seit 2006 versucht die EU, Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerb als Prinzipien der Energiepolitik auf den Nachbarschaftsraum auszudehnen. Damit hat sie eine energiepolitische und geostrategische Neuausrichtung vorgenommen. Allerdings stößt der Wettbewerb auf dem Energiesektor bereits in der EU an die Grenzen nationaler Souveränitätsansprüche. Der Ausbau energiepolitischer Beziehungen in der weiteren Region ist ein langwieriger, aber wichtiger Bestandteil einer im Entstehen begriffenen Energieaußenpolitik. 2006 rückte der Energiehandel zwischen der EU und Rußland in den Fokus der Öffentlichkeit und wurde zu einem eminent politischen Thema, das vor allem unter einem Aspekt diskutiert wurde: dem der Sicherheit der Versorgung. Schrittweise ist damit auch die Nachbarschaftspolitik für die EU zu einem wichtigen Instrument der Energiepolitik geworden, denn die Region spielt eine wichtige Rolle im Energiehandel. Die Länder liegen in der gemeinsamen Nachbarschaft der EU und Rußlands, des wichtigsten Energielieferanten. Diese Nachbarn sind damit wichtige Transitländer für die fossilen Brennstoffe Öl und Gas, auch aus dem Kaspischen Raum. Ziel der EU ist es, erstens durch einen gemeinsamen Markt mehr Energiesicherheit, auch in bezug auf Transitfragen, zu schaffen. Zweitens sollen gemeinsame Infrastrukturprojekte zu einer größeren Diversifizierung der Transportrouten und der Bezugsquellen beitragen. Drittens ist die Zusammenarbeit ordnungs- und strukturpolitisch relevant. Im Grunde versucht die EU seit über 15 Jahren, allerdings mit wechselnder Intensität, die internationalen Energiebeziehungen multilateral und kooperativ zu verregeln. Marktinstitutionen und das internationale Recht sind dabei die wichtigsten Instrumente. Rußland als entscheidender Counterpart im Osten scheint sich in zunehmendem Maße, zumindest rhetorisch, als „unverzichtbare Macht“ in den internationalen Energiebeziehungen zu präsentieren. Dabei kommt Rußland ein erhebliches ordnungspolitisches und ökonomisches Machtpotential in den regionalen und internationalen Energiebeziehungen zu. Denn in der Tat sind die internationalen Beziehungen in zunehmendem Maße durch Ressourcenfragen beeinflußt, da die Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen zu einem entscheidenden Macht- und Gestaltungsfaktor geworden ist. Gleichzeitig wächst den Produzentenländern auch ökonomische und finanzielle Macht zu. Die Frage, wo die „Petro- und Gasdollar“ reinvestiert werden, eröffnet auch politisches Kapital. Vor allem aber bietet die Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes in der EU nun auch die Möglichkeit, in Felder der Energiewirtschaft zu investieren, die der Förderung nachgelagert sind, so etwa in den Transport, den Vertrieb und die Weiterverarbeitung. Das eröffnete rußländischen Unternehmen die Möglichkeit, in angestammte Märkte der westlichen Konzerne zu expandieren. Das rußländische Unternehmen Gazprom hat diese rationale Strategie in den letzten Jahren im europäischen Binnenmarkt konsequent vorangetrieben und profitiert dabei vom eigenen Transportmonopol in Rußland. DIE EU-NACHBARSCHAFTSPOLITIK UND ENERGIEFRAGEN Energie ist ein Schlüsselbereich der Nachbarschaftspolitik. Die Aktionspläne sehen eine breite Kooperation in den Bereichen Energiedialog, Konvergenz der Energiepolitik, legale Harmonisierung, Teilnahme in EU-Energie-Programmen, erneuerbare Energien und regionale Kooperation sowie – mit der Ukraine und Armenien – nukleare Sicherheit vor. Ziel ist es, die Länder näher an die EU heranzuführen und den Partnerländern die Möglichkeit zu eröffnen, sich schrittweise und in längerfristiger Perspektive in den europäischen Binnenmarkt für Gas und Strom zu integrieren. Die Aktionspläne streben eine Kooperation in der Energiepolitik mit dem mittel- und langfristigen Ziel an, die Energiepolitik der Länder der Nachbarschaftsregion an die Inhalte, Struktur- und Ordnungsprinzipien der EU heranzuführen. Schrittweise soll eine Strukturreform umgesetzt werden, um Marktkonvergenz herzustellen. Um dies zu erreichen, sollen die Länder langfristig die Grundsätze des EU-Binnenmarktes und die Regulationsmechanismen der EU übernehmen und damit in die für die Gas- und Strommärkte zuständigen Regulationsforen integriert werden. Eine mögliche Teilnahme am Intelligent-Energy-Europe-Programme, das auf eine effizientere Energienutzung abzielt, ist anvisiert. Dazu sollen auch Maßnahmen umgesetzt werden, die die Preisverzerrungen abbauen und die Zahlungsmoral erhöhen. Die Transportnetze, ihre Instandhaltung, Reparatur und ihr Ausbau sind ein weiteres Kooperationsfeld, das auch die wichtigen Fragen der Transitregelung umschließt. Die Steigerung der Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energie sowie die sichere Nutzung der Kernenergie sind weitere zentrale Kooperationsfelder. Im Osten ist der Nachbarschaftsmechanismus aus energiepolitischer Sicht vor allem für die Ukraine und Moldova, Georgien, Armenien und Azerbajdžan relevant. Im Vordergrund stehen für diese Länder Fragen der Diversifizierung von Bezugsquellen, Transportrouten und Energieträgern. Mit dem energiereichen Azerbajdžan sieht die EU eine bilaterale Zusammenarbeit vor, die auch das staatliche Brennstoffenergiekomplex-Programm Azerbajdžans schrittweise an den Zielen der EU-Energiepolitik ausrichten soll. Auch hier ist graduelle Marktkonvergenz ein Ziel. Letztlich geht es in der EU-Nachbarschaftspolitik gerade in den Feldern regionale Zusammenarbeit, Ausbau der Energienetze und Marktkonvergenz implizit auch um das gemeinsame Verhältnis zu Rußland. Dabei baut die Nachbarschaftspolitik mit ihren Aktionsplänen auf bestehenden bilateralen und regionalen Initiativen auf. Sie ist nur ein Element in einem Mosaik aus Dialogen und weitreichender Kooperation bilateraler und multilateraler Natur. Mit der Ukraine wurde etwa im Dezember 2005 ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das als ein Hauptinstrument für die Ukraine gesehen wird. Daneben besteht auch mit Moldova ein bilateraler Dialog. Dagegen stellt die Baku-Initiative vom November 2004 einen multilateralen Mechanismus dar. Er umfaßt die Kaspische Region, die Schwarzmeerregion und die Nachbarländer. Rußland hat Beobachterstatus. Auf der zweiten Konferenz der Baku-Initiative Ende November 2006 wurde ein Fahrplan für die Konvergenz der Energiemärkte, größere Energiesicherheit, eine nachhaltige Energiepolitik und Investitionsfragen ausgearbeitet (siehe dazu Graphik 2 in Einschub II). Die Baku-Initiative wie die EU-Nachbarschaftspolitik sind eng an das TACIS-Programm INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) gebunden, das 1996/1997 entwickelt wurde und seit Februar 2001 als internationales Rahmenabkommen in Kraft ist. INOGATE zielt darauf, die Ressourcen des Kaspischen und Zentralasiatischen Raums an die europäischen Märkte zu binden. Unterzeichner des Vertrages sind 21 Staaten, darunter die südosteuropäischen Länder, die Länder des Schwarzmeerraumes, des Kaspischen Raums und auch Litauen, nicht aber Rußland. Im Rahmen von INOGATE wurden wichtige Transportrouten auf die europäischen Märkte festgelegt, Machbarkeitsstudien durchgeführt sowie Reparaturen an bestehenden Netzen, Speicherkapazitäten und Meßstationen finanziert. INOGATE dient damit dem Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN). Um es auf den Punkt zu bringen: Was die EU-Außenbeziehungen kennzeichnet, sind konzentrische innere und äußere Kreise, in denen die EU-Normen und Regelungen unterschiedlich gelten. Dieses Muster wird immer stärker auch auf die Energiepolitik übertragen. In den inneren Kreisen, bestehend aus Beitritts- und Kandidatenländern sowie der EFTA und insbesondere des 2004 in Kraft getretenen Europäischen Wirtschaftsraums, zu dem auch der wichtige Energielieferant Norwegen gehört, wird der acquis communautaire ganz bzw. zu circa 80 Prozent übernommen. Den nächsten Kreis bildet die am 1. Juli 2006 in Kraft getretene Energiegemeinschaft, der neben den Mitgliedsstaaten der EU auch die südosteuropäischen Staaten angehören. Wesentliche Elemente sind die Ausdehnung der Rechtsnormen und des freien Strom- und Gashandels sowie eine harmonisierte Nachfragesteuerung, die den Prinzipien der Energieeffizienz und Umwelt- und Klimaverträglichkeit folgt. Auch besteht die Möglichkeit einer gemeinsamen Energieaußenpolitik. Der Vertrag der Energiegemeinschaft sieht explizit eine mögliche Ausweitung auf die Türkei, Norwegen, Moldova und die Ukraine vor. Die Idee ist, den gemeinsamen Markt zu erweitern, eine rechtliche Grundlage im Sinne kommerzieller und ökologischer Normen zu schaffen, aber auch Anreize zu setzen, die Staaten des Kaspischen Raums, des Nahen Ostens und Nordafrikas über neue Infrastrukturprojekte an den europäischen Markt zu binden. Im äußeren Kreis befinden sich die Staaten der Nachbarschaft und Rußland. Hier ist legale Harmonisierung und Annäherung Verhandlungssache. Algerien als ein wichtiger Energielieferant ist in die Europäische Nachbarschaftspolitik und den Barcelona-Prozeß integriert. Mit Rußland werden vier gemeinsame Räume ausgehandelt, die das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzen sollen, das 2007 ausläuft. Das bestehende, bunte Mosaik soll dazu dienen, schrittweise einen stabilen Ordnungs- und Steuerungsrahmen und langfristig einen gemeinsamen Energiemarkt zu schaffen. EUROPÄISCHER HANDLUNGSBEDARF IM GLOBALEN SPANNUNGSFELD Ganz unbestritten besteht Handlungsbedarf. Die EU-27 ist weltgrößter Nettoimporteur von Energieträgern. Der Importbedarf bei Öl wird voraussichtlich von heute rund 82 Prozent auf über 93 Prozent und bei Gas von heute 57 Prozent auf 84 Prozent bis 2030 steigen, wenn kein konsequenter Umbau des Energiesystems erfolgt. Dieses vollzieht sich vor dem Hintergrund, daß der Weltenergiebedarf in den nächsten 25 Jahren um über 50 Prozent steigen könnte. Selbst bei einer konsequenten Diversifizierung im Energiemix sind die Substitutionsmöglichkeiten von Erdöl und Erdgas so, daß bei diesen Energieträgern im Hinblick auf die Herkunftsländer und die Transportwege diversifiziert werden sollte. Gleichzeitig ist der globale Klimawandel kein strittiges Phänomen mehr, sondern die neuesten Erkenntnisse ziehen einen klaren Handlungsimperativ nach sich, auch aufgrund der zu erwartenden Folgen für die Weltwirtschaft. Trotz dieser mehrdimensionalen Herausforderung im Hinblick auf eine preisgünstige, nachhaltige und sichere Energieversorgung ist die Versorgungssicherheit ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, was zu einer zunehmenden Politisierung der Energiebeziehungen führt. Insbesondere den fossilen Brennstoffen Öl und Gas gilt diese Aufmerksamkeit. Ihr Anteil am Energiekonsum in der EU beträgt 38 bzw. 24 Prozent. Zweifelsohne ist das zu einem Großteil ihrer immer noch strategischen Bedeutung geschuldet, aber eben nicht ausschließlich. Vieles speist sich auch aus dem Mythos der „Öl- und Gaswaffe“ als politischem Druckmittel, dessen mittel- und langfristige Effektivität jedoch – weil die Abhängigkeiten wechselseitige sind – bezweifelt werden muß. Dennoch wären kurzzeitige Wirkungen von Lieferstopps oder deren bloße Androhung fatal. Insbesondere auf internationaler Ebene ist spürbar geworden, daß der Energiehandel zunehmend unter politischen Vorzeichen analysiert und organisiert wird. Mit der Politisierung des Energiehandels werden zunehmend neorealistische Vorstellungen eines Nullsummenspiels und einer Konkurrenz um sich verknappende Ressourcen handlungsleitend. Abgesehen davon, daß die energiepolitische Agenda in sicherheitspolitischen Kategorien analysiert und die Versorgungslage als wachsende Konkurrenzsituation interpretiert wird, spielt auch die generelle Krise der multilateralen Kooperation eine Rolle, die zunehmend durch eine multipolare (Un-)Ordnung ersetzt wird. Dem politischen Trend eines neorealistischen Mächtegleichgewichts entspricht auf wirtschaftlicher Ebene die Abkehr von multilateralen Abkommen zu bilateralen Abkommen. In der wachsenden Konkurrenzsituation geht es vor allem um den exklusiven, nationalen und/oder firmeneigenen Vorteil beim Zugang von Ressourcen. Die EU setzt dieser Entwicklung eigene multilaterale Struktur- und Ordnungsmuster entgegen und steht somit vor der Herausforderung, daß auf der einen Seite die internationale Verflechtung im Energiesektor sehr hoch ist, auf der anderen Seite aber der Handel zwischen unterschiedlich strukturierten – liberalisierten und staatlich hoch regulierten – Märkten realisiert werden muß. Das heißt, daß der Energiehandel im EU-Binnenmarkt (unterschiedlich) liberalisiert ist, während er in Rußland in hohem Maße staatlich reguliert ist und auf dem Gasmarkt das rußländische Unternehmen Gazprom über das weitgehende Transportmonopol verfügt. Das bedeutet aber auch, daß unterschiedliche Akteure auf den Märkten agieren, die von privaten, multinationalen Unternehmen über vollständig staatlich kontrollierte Unternehmen bis zu den Regierungen der ressourcenreichen Staaten reichen. Auch die Preisbildung ist unterschiedlich. Mal handelt es sich um Marktpreise, mal um staatlich regulierte und subventionierte Preise. Das Prinzip der Reziprozität, also des wechselseitig garantierten und diskriminierungsfreien Zugangs zu den Märkten und der Infrastruktur, ist daher auf internationaler Ebene nicht gegeben. Gleichzeitig ist die Energiewirtschaft durch einige Besonderheiten charakterisiert: Die Leitungsgebundenheit bei Strom und (Trocken)Gas, die geringe Marktflexibilität im Hinblick auf Markteintritts- und Marktaustrittsmöglichkeiten für dritte Akteure sowie die Größenvorteile, nach denen eine große Firma ein Gut unter Umständen effizienter bereitstellen kann als viele kleine Firmen, begünstigen eine Monopolbildung und eine vertikale Integration über alle Produktionsstufen hinweg. Für die europäische Energiepolitik, einem Feld geteilter Zuständigkeit, leitet sich ein dringlicher Handlungsbedarf ab, der aber in dem gerade skizzierten Spannungsfeld definiert werden muß. Rußland ist hierbei der zentrale Gegenpart, wenn es um die Frage der Spielregeln in Europa und dem Raum der ehemaligen Sowjetunion geht, denn die Region liegt sowohl im Einflußraum der EU als auch Rußlands. DIE EU UND DIE ENERGIEPOLITIK: ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN? Die Energiepolitik in der EU bietet ein außerordentliches Beispiel für ein Politikfeld, in dem seit 2004 und verstärkt seit 2006 sowohl Vertiefung als auch Erweiterung auf der Agenda stehen. Das macht die Energiepolitik als ein auch global immer wichtiger werdendes Politikfeld zu einem wichtigen Testfall für die stufenweise europäische Integration und den Aufbau energiepolitischer Institutionen. Der EU kommt aus normativer Sicht auch deswegen global eine Vorreiterrolle zu, weil sie kontinuierlich bestrebt ist, die drei klassischen Ziele der Energiepolitik – Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit – auszugleichen. Dabei hat die EU bisher vor allem eine auf Nachfragesteuerung orientierte Energiepolitik betrieben, die im internationalen Vergleich bei allen Mängeln in der Umsetzung vorbildlich anmutet, indem sie an den Prinzipien der Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit des Energieverbrauchs ausgerichtet ist. Die Rolle der Politik muß in der konkreten Ausformulierung und Umsetzung dieser drei Ziele bestehen. Der Politik obliegt es also vor allem, den Ordnungsrahmen zu definieren, denn im liberalisierten Markt der EU sind es vorwiegend privatwirtschaftliche Unternehmen, die in der Energiewirtschaft und im engeren Energiehandel tätig sind. Da jedoch auf dem europäischen Binnenmarkt für Strom und Gas immer noch erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und außerdem auf den internationalen Märkten Regierungen und Staatsunternehmen zentrale Akteure sind, kommt der Politik eine eminent wichtige Rolle zu, die nicht allein den Marktakteuren überlassen werden kann. Insofern sind die verstärkten Initiativen der EU in der Energiepolitik eine nachholende Entwicklung, da die Schaffung des Binnenmarktes für Strom und Gas zunehmend auch eine Regulation, Koordination und Kombination von Energie-, Innen- und Außenpolitik verlangt. Die EU-Politik einer marktwirtschaftlichen Steuerung und internationalen Verregelung des Energiehandels basiert jedoch auf der Umsetzung auf den unterschiedlichen Steuerungsebenen – der internationalen, der regionalen und der nationalen Ebene. Die EU bietet also mit ihrer ausgewogenen und nachfrageorientierten Politik ein Gegengewicht zum vorherrschenden internationalen Trend, der seit 2003/2004 verstärkt die Energiesicherheit in den Mittelpunkt rückt, geopolitischen Konfliktszenarien Vorschub leistet und dadurch die anderen Ziele einer nachhaltigen und preisgünstigen Energieversorgung vernachlässigt. Allerdings alarmierte der Gasstreit zwischen Rußland und der Ukraine im Januar 2006 die EU, da es auch im EU-Markt zu Druckabfällen im Pipelinesystem kam. Während in der Vergangenheit die Zuverlässigkeit Rußlands als Energielieferant gerade von der deutschen Seite betont worden war, gerieten nun die rußländischen Öl- und Gasimporte in den kritischen Hauptfokus der EU. Der belarussisch-rußländischen Energiestreit im Januar 2007 verstärkte diesen Effekt noch. Schon im März 2006 hatte die Kommission mit einem neuen Grünbuch reagiert. Im Januar 2007 veröffentlichte sie ein ganzes Energiepaket weitgehender Forderungen, das auf Basis der Diskussionen um das Grünbuch erarbeitet worden war. Auf der Pressekonferenz ging der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, soweit, eine weltweite postindustrielle Revolution zu fordern, an deren Spitze sich die EU stellen sollte. Die Kommission fordert nicht nur einen umfassenden Wettbewerb und die Schaffung eines echten Binnenmarktes als ein Mittel, um niedrigere Preise zu erzielen, sondern auch mehr Solidarität zwischen den Mitgliedsländern, was wiederum beides als Beitrag zu mehr Energiesicherheit gesehen wird. Der Ausbau grenzüberschreitender Strom- und Gasnetze und funktionierender Handel erleichtern es nämlich, eventuelle Lieferausfälle aus Drittländern durch Importe aus anderen EU-Ländern zu kompensieren. Insofern ist die neue Energiepolitik der EU nicht nur ein Beitrag zur Lissabon-Strategie, sondern sie steht auch in der Tradition der Solidargemeinschaft und des Stabilitäts- und Friedensprojekts der europäischen Vergemeinschaftung. Darüber hinaus regt die Kommission eine Energieaußenpolitik an, die vor allem in der Nachbarschaftsregion darauf zielt, eine paneuropäische Energiegemeinschaft zu schaffen. Neben diesen auch legitimatorischen Aspekten der Solidargemeinschaft bedeutet die starke regionale Schwerpunktsetzung auch eine wichtige strategische Akzentverschiebung. Eine neue Vorlage der Kommission und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, zu einer auf die Energieinteressen der EU ausgerichteten Außenpolitik verweist explizit auf die geopolitische Dimension der Energiesicherheit. Damit wird die regionale Dimension, die die Nachbarschaftsregion umschließt, zu einem Schwerpunkt. In dieser Konsequenz ist das neu. Die Energiesicherheit ruht danach auf zwei Säulen: auf der Diversifizierung und funktionierenden Märkten. Die EU möchte zunächst den Prinzipien Transparenz und verbesserter multilateraler governance regional Geltung verschaffen, denn sie sieht gemeinsame Handels-, Transit- und Umweltregeln sowie harmonisierte und letztlich integrierte Energiemärkte als ein Mittel an, um Stabilität und Prosperität in der weiteren Region zu schaffen. Außerdem strebt die EU die Konvergenz bei der Regulierung an, um das Investitionsklima zu verbessern und eine gleiche Ausgangslage bei der Marktöffnung, dem Wettbewerb und im Umweltschutz zu herzustellen. Die EU verfolgt damit eine Politik, die eigenen Ordnungsmuster und -strukturen in konzentrischen Kreisen zu exportieren. So ist es vorgesehen, den Binnenmarkt auszudehnen, indem der Vertrag zur Energiegemeinschaft langfristig auch auf wichtige Länder des Europäischen Wirtschaftsraums und der Nachbarschaftspolitik angewandt wird. Die EU bietet den osteuropäischen Ländern damit einen alternativen Ordnungs- und Integrationsrahmen. Das ist aus zweifacher Hinsicht von zentraler geostrategischer Bedeutung. Erstens strukturiert Rußland als größter Energielieferant den Raum der gemeinsamen Nachbarschaft über bilaterale und exklusive Verträge, die wegen der Machtasymmetrien vor allem nach rußländischen Interessen ausgehandelt werden. Wegen der fundamentalen ordnungspolitischen Unterschiede zwischen der EU und der rußländischen Regierung im Hinblick auf die Rolle von Markt und Staat, Liberalisierung und Regulierung, Bilateralismus und Multilateralismus entstehen konkurrierende Ordnungsstrukturen und Ordnungsmuster. Zweitens hat im Vergleich zu den 1990er Jahren seit 2003 eine Akzentverschiebung in der EU-Politik stattgefunden, die den Entwicklungen in den Governance-Strukturen der internationalen Energiebeziehungen weg von einem von den Konsumenten dominierten Markt hin zu einem von den Produzentenländern strukturierten Markt sowie der gestiegenen Bedeutung von Erdgas Rechnung trägt und nun mit der Schaffung einer paneuropäischen Energiegemeinschaft einen geo-(energie)ökonomischen und -politischen Ansatz verfolgt. Der Grund für die nun deutliche regionale Ausrichtung liegt darin, daß der politische Ansatz der 1990er Jahre, auf Markt- und Rechtsinstitutionen, multilaterale Kooperation und Internationalisierung der Energiemärkte zu setzen, weitgehend gescheitert ist. Der Energiecharta-Vertrag von 1994, der 1998 in Kraft getreten ist, und die Verhandlungen um das Transitprotokoll sowie die Nicht-Ratifizierung durch Rußland, aber auch das Fernbleiben der USA und Norwegens liefern dafür nur ein beredtes Beispiel. Dagegen hat sich der Trend zur Ausbildung von Regionalmärkten und machtpolitischen Einflußbereichen auch wegen der wachsenden Konkurrenz um die Öl- und Gasressourcen sowie wegen der Leitungsgebundenheit von Erdgas verstärkt. Eine von der EU in Auftrag gegebene Studie hat deswegen die Gefahr der Blockbildung von Zentren und Peripherien ausgemacht, die mit anderen Blöcken um Ressourcen (und Märkte) konkurrieren. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben der EU, die Marktposition durch die Schaffung einer pan-europäischen Energiegemeinschaft zu verbessern, strategisch wie politisch (zumindest nicht un)problematisch. Die zentrale Frage lautet, wie eine regionale Energiegemeinschaft entstehen kann, die nicht unilateral ausgerichtet und exklusiv ist, sondern der normativen Idee einer Markt- und Solidargemeinschaft Rechnung trägt – gerade im Hinblick auf Chancengleichheit und soziale Aspekte beim Verbrauch von Energieressourcen. ENERGIEPOLITIK ZWISCHEN EUROPÄISIERUNG UND NATIONALEN INTERESSEN Bei der stufenweisen Schaffung einer paneuropäischen Energiegemeinschaft spielt die Nachbarschaftsregion eine wichtige Rolle. Gleichzeitig hat die Energiepolitik eine hohe Wertigkeit, Symbolkraft und Schnittmengen mit anderen Politikfeldern, so daß hier tatsächlich nicht nur ein Potential für verstärkte Zusammenarbeit, sondern auch für mögliche spill-over-Effekte liegt. Doch ein Blick auf die Realität zeigt, wie groß die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist. In der außenpolitischen Dimension der EU-Energiepolitik liegen wohl die weitestgehenden Neuerungen der letzten Monate. Zwar erkennt die Europäische Kommission noch immer das legitime Recht jedes Mitgliedslandes an, eigene Außenbeziehungen zu unterhalten, um die Versorgung sicherzustellen und den Energiemix selbst zu bestimmen, aber im gleichen Atemzug mahnt sie eine stärkere Koordination und Kohärenz bei der internationalen Energiepolitik an – nicht ohne Grund. Viele Mitgliedstaaten sehen Energiepolitik als nationales Vorrecht und sind kaum bereit, hier Souveränität an die EU abzugeben. Einerseits werden in der EU die Rufe nach einer gemeinsamen Energiepolitik immer lauter, andererseits zelebrieren die nationalen Regierungen gerade in der Energiepolitik staatliche Souveränität und nationalen Egoismus. Diese Einschränkungen von Markt-Gemeinsamkeit und Solidarität haben Implikationen für die Nachbarschaftspolitik, auch weil sie auf Grundprobleme verweisen. Die Liberalisierung der Märkte und die Schaffung von Wettbewerb implizieren auch eine veränderte Rolle des Staates im Energiesektor. Da dem Sektor hohe gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Bedeutung zukommt, sehen viele Länder diese Veränderungen als bedeutsamen Verlust der nationalstaatlichen Souveränität. Deswegen ist die Energiepolitik in der EU ein hart umkämpftes Politikfeld. So kritisiert die EU-Kommission auch die unzureichende Integration der Strom- und Gasmärkte der Mitgliedsländer, einen zu hohen Konzentrationsgrad in der Energiewirtschaft und die bei den Verbrauchern zu gering ausgeprägte Bereitschaft, ihr Versorgungsunternehmen zu wechseln, als zentrale Wettbewerbshindernisse. Zudem sind die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern auch deswegen so hoch, weil die meisten von ihnen einen minimalistischen Ansatz bei der Umsetzung der Direktiven der Kommission verfolgen. So schwankt der Anteil, den die drei größten Stromerzeuger bzw. Großhandelslieferanten für Gas am jeweiligen Markt haben, zwischen 100 Prozent und 30 Prozent. Viele Regierungen der EU-Mitglieder haben die Schaffung von Regulierungsbehörden zur Kontrolle der Strom- und Gasleitungen, der Netztarife und des freien Zugangs von Dritten zu den Netzen sowie die Entflechtung der Transportsparte von den anderen Bereichen lange verzögert. Dieses ist auch damit zu erklären, daß die Rolle des Staates in der Wirtschaft in den Mitgliedsländern unterschiedlich definiert wird. So steht die EU-Politik vor der Herausforderung einer effizienten Regulierung, die das Entstehen eines funktionierenden Marktes und effektiven Wettbewerbs trotz der Widerstände in der Energiewirtschaft und den Mitgliedsländern ermöglicht. Angesichts der offensichtlichen Lobbymacht der Unternehmen und der zum Teil immer noch bestehenden staatlichen Verfügungsrechte gestaltet sich diese Regulierung als schwierig. Denn mit dem verstärkten Wettbewerb haben die großen europäischen Energiekonzerne nicht nur begonnen, ihre Marktmacht durch Zusammenschlüsse und Übernahmen, sondern auch durch den Ausbau neuer Geschäftsbereiche und Auslandsbeziehungen zu konsolidieren. Ein Teil der Strategie der Energiekonzerne war es, die Aktivitäten in Osteuropa, Nordafrika und Lateinamerika auszubauen, um gleichzeitig die eigene Position auf dem europäischen Markt zu festigen. Auf der anderen Seite haben die Energiekonzerne in ihren angestammten nationalen Märkten bei den Regierungen erfolgreich Lobbying betrieben, um ihre geschützte Stellung so lange wie möglich als Startvorteil zu erhalten. Zudem weist etwa die Ministererlaubnis zur Übernahme von Ruhrgas durch die E.On auf das gesteigerte politische Interesse der deutschen Bundesregierung unter Gerhard Schröder hin, einen international potenten und konkurrenzfähigen Energiekonzern zu schaffen, wobei diese Politik aber keine Ausnahme darstellt. So machte auch der spanische Ministerpräsident Rodríguez Zapatero im Laufe der E.On-Endesa-Übernahmeangebote kein Hehl daraus, daß er an der Bildung eines „nationalen Energiechampions“ interessiert sei. Die großen westeuropäischen Konzerne haben ihre Marktmacht auch in den neuen Mitgliedsländern ausgebaut, indem sie Anteile an dortigen Verteilungs- und Transportunternehmen übernommen haben. Damit hat eine deutliche Konsolidierung der sogenannten Down-Stream-Aktivitäten stattgefunden. Diese umfassen den Transport der Energie, die Weiterleitung, den Vertrieb und die Versorgung von Groß- und Endkonsumenten, die sich zwar auf der einen Seite durch die bereits erwähnten Besonderheiten der Energiewirtschaft erklären lassen, auf der anderen Seite aber erst aus nationalen Egoismen, der unzureichenden Regulierung und einer zu laschen Umsetzung der Wettbewerbspolitik auf nationaler und EU-Ebene resultieren. Dies wirft für den gemeinsamen Markt wie für eine solidarische Energiegemeinschaft große Probleme auf – vor allem im Hinblick auf die Konsequenzen einer Preisbildung. RUßLANDS ROLLE: KONKURRENT UND PARTNER Der Konsolidierung der Unternehmen im Down-Stream-Markt der EU entspricht auf der Lieferantenseite, im Up-Stream-Bereich, für Erdgas eine 87-prozentige Marktdominanz von vier Konzernen. Da Rußland der wichtigste Öl- und Gaslieferant mit 27 Prozent und 24 Prozent des Gesamtverbrauchs in der EU ist, ist der rußländische Konzern Gazprom der wichtigste Partner der europäischen Erdgaskonzerne. Dieser Aspekt ist ganz zentral für die Herausbildung von Marktmacht und Preisbildung. Rußland ist auch der entscheidende Counterpart im Hinblick auf politische Ordnungsfragen, Pipelinetrassen und die angestrebte Diversifizierung, denn in zentralen Ordnungsfragen gehen die Strategien der EU und Rußlands auseinander. Die Harmonisierung der Märkte im Hinblick auf Reziprozität beim Zugang zu Märkten und Infrastruktur und ausländische Investitionen sind regelmäßig und in unterschiedlichen Foren die zentralen Themen. Hauptstreitpunkt ist das Transportmonopol von Gazprom. Dieses Monopol berührt auch die Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern, denen es bisher an Exportalternativen außerhalb des rußländischen Territoriums mangelt. Rußland hat langfristige Lieferverträge mit den zentralasiatischen Staaten geschlossen, auch um damit freiwerdendes rußländisches Gas teuer in die EU zu verkaufen. Das Transportmonopol von Gazprom, das unter Protektion der rußländischen Regierung steht, widerspricht Markt- und Wettbewerbsprinzipien sowie der Idee gleicher Spielregeln. Eine Reziprozität im Hinblick auf Markt- und Netzzugang ist nicht gegeben, denn während der rußländische Gasmarkt für westliche Konzerne nur für exklusive Joint Ventures und damit sehr begrenzt offensteht, sehen sich Regierungen der Mitgliedsländer und die Europäische Kommission mit dem Paradoxon konfrontiert, daß Vertreter aus Rußland zunehmend Doppeltstandards und Abwehrmechanismen beklagen, wenn in der EU Abwehrreaktionen auf rußländische Geschäftsaktivitäten gestartet werden. In den ungleichen Ausgangsbedingungen liegt in der Tat ein Regulierungsproblem des Wettbewerbs. Angesichts der aktuellen Entwicklungen muß darüber nachgedacht werden, in die Antimonopol- und Kartellüberprüfung auch die Aspekte der unterschiedlichen Markt- und Verfügungsverhältnisse einzubeziehen. Die Tatsache, daß sich bislang die Abstimmung zwischen den EU-Mitgliedern schwierig gestaltete und einige Länder lieber eigene bilaterale Strategien verfolgten, leistete der klugen Geschäftsstrategie der Gazprom Vorschub. So ist die Nord Stream Pipeline durch die Ostsee nicht nur ein vielzitiertes Beispiel dafür, daß exklusive Package-Deals zwischen Unternehmen multilaterale Kooperationen erschweren können, sondern das Problem besteht auch darin, daß sich europäische Energiekonzerne ihre Marktstellung in der EU durch exklusive Deals mit Gazprom als Hauptgaslieferanten sichern. Die Geschichte der Nord Stream Pipeline legt einige Grundprobleme offen. So hat der Tausch von Unternehmensanteilen, dem die E.On Ruhrgas im Zuge des Deals um die Nord Stream und das Gasfeld Južnoe Russkoe zustimmten, dazu beigetragen, Gazproms Position auch im Erdgastransit in der EU zu festigen. E.On hat Gazprom im Gegenzug für die Anteile am Gasfeld Anteile an den ungarischen Gesellschaften Foldgaz Storage, Foldgaz Trade und E.On Ungarn überlassen. Dies hat für den Wettbewerb dann weitreichende Folgen, wenn Down-Stream-Unternehmen (mit einer konsolidierten Marktmacht) strategische Unternehmensallianzen mit den Up-Stream-Konzernen wie Gazprom eingehen. Die Strategien der Unternehmen sind rational, aber die Konsequenzen für das Gemeinwohl und die Gesamtprosperität sind problematisch für die Gesellschaft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit, da die Energiepreise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steigen. Durch diese exklusiven Firmendeals entsteht eine vertikale Integration über mehrere Produktionsstufen vor allem im Transport und in der Verteilung hinweg. Das ist nicht nur dem von der EU angestrebten Wettbewerb und der Entflechtung der einzelnen Produktionsstufen sehr abträglich, sondern hat auch problematische Folgen für die Gaspreise. Gleichzeitig werden über diese exklusiven Firmendeals auch Fakten geschaffen, die die finanzielle Realisierung von Pipelineprojekten wegen der zu erwartenden geringeren Marktanteile erschweren. So hat die ungarische MOL auch vor kurzem einen exklusiven Deal mit Gazprom unterzeichnet. Dies ist nicht unbedenklich, zumal Ungarn am strategisch wichtigen Nabucco-Projekt beteiligt sein wird, das eine Alternativroute für Gas nach Europa bedeutet. Gazprom nutzt die Liberalisierung des EU-Gasmarktes und der Netze, indem es nun direkt Endverbraucher nicht nur in Deutschland, Österreich und Großbritannien, sondern mit langfristigen Verträgen auch in Italien und Frankreich beliefern wird. Problematisch ist die präemptive Stoßrichtung dieser Strategie: Je mehr der EU-Gasmarkt durch rußländisches Gas saturiert ist, desto weniger attraktiv wird der Markt für alternative Lieferanten – auch wegen der Höhe der Investitionskosten für notwendige Infrastrukturprojekte. Zudem trägt der Direktverkauf von Gazprom an Endverbraucher in der EU nicht zum Wettbewerb auf dem europäischen Gasmarkt bei, sondern konterkariert ihn. Natürlich hat dies Implikationen für die Nachbarschaftsraum, ebenso wie das rußländische Vorgehen in diesem Raum auf die EU zurückwirkt. Der Kreml und die rußländische Regierung haben Gazprom in den letzten Jahren vor allem dabei unterstützt, in neue Exportpipelines und die Konsolidierung der Marktposition im In- und im Ausland zu investieren. In den wichtigen Transitländern der gemeinsamen Nachbarschaft verfolgte Gazprom vor allem die Strategie, die wichtigen Transportrouten zu kontrollieren oder unter (Teil)Kontrolle zu bekommen, aber auch in den Vertrieb dort einzusteigen. So wurde der Gasstreit mit der Ukraine im Januar 2006 genutzt, um durch die Bildung der RosUkrĖnergo in den Vertrieb einzusteigen. Der Gasstreit mit Belarus im Dezember 2006 endete mit der Übernahme von 50 Prozent des belarussischen Pipelinebetreibers Beltransgaz. Damit kontrolliert Gazprom die wichtige Jamal-Pipeline mit, über die circa 22 Prozent der rußländischen Gasexporte nach Europa laufen. Dies hatte Gazprom seit Jahren angestrebt. Das legitime Unternehmensinteresse von Gazprom, auch im postsowjetischen Raum höhere Gaspreise zu erzielen, geht mit einer Strategie einher, im Gegenzug für weiterhin günstige Tarife für ehemalige Sowjetrepubliken Zugang zu Transportnetzen zu bekommen. Durch diese Strategie ist es Rußland gelungen, ein Quasi-Monopol für die europäische Versorgung mit Erdgas aus dem Osten zu erhalten und auszubauen. Während also die EU bestrebt ist, eine Entflechtung des Transportnetzes als Grundvoraussetzung eines Wettbewerbs durchzusetzen, verfolgt Rußland die gezielte Strategie, auch den Transportsektor zu monopolisieren und schrittweise einzugliedern. Eine Ratifizierung des Energiecharta-Vertrags durch Rußland liegt nach Bekunden der rußländischen politischen Führung in weiter Ferne. Es gibt aber noch ein weiteres Problem. Wegen der hohen Investitionen in strategische Projekte, der Übernahme von 50 Prozent plus eine Aktie im Sachalin-2-Projekt von Royal Dutch/Shell, Mitsui und Mitsubishi im Dezember 2006 oder der Übernahme von 72 Prozent der Sibneft’ durch Gazprom fehlen nun Investitionen zur Erschließung neuer Felder und zur Instandsetzung der Gasinfrastruktur in Rußland, aber auch in neue Technologien zur Energieeinsparung. Dieses wird in den nächsten Jahren zu einem zentralen Problem werden. Bereits jetzt verweisen die Internationale Energie Agentur und rußländische Experten auf die Gefahr eines Gasdefizits in Rußland. Was die Ausgestaltung der Energiegemeinschaft betrifft, hat die EU großen Nachholbedarf. Und das Verhältnis zu Rußland muß ein zentraler Bezugspunkt sein. MARKT-GEMEINSAMKEIT ZWISCHEN DEN NACHBARN: CHANCEN UND GRENZEN Zwar ist die Idee einer paneuropäischen Energiegemeinschaft nicht neu, aber die heutige Konzeption der EU mit den langfristigen Zielen, einen gemeinsamen Markt und eine Energiegemeinschaft aufzubauen, enthält mit ihrer regionalen Ausrichtung und der Anordnung in konzentrischen Kreisen klare geostrategische Elemente. Die EU hat die Bedeutung der Nachbarschaftsregion gestärkt und damit den politischen Kurs einer Internationalisierung korrigiert. Deutlichstes Beispiel ist, daß die EU nun wieder auf langfristige Lieferverträge als ein Instrument setzt, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit der EU mit den Nachbarn im Osten ist auch deswegen wichtig, um eine geschlossene Verhandlungsmacht und Marktmacht zu bekommen und die Diversifizierung des Erdgas- und Erdölbezugs voranzutreiben. Bei der Umsetzung einer solchen legitimen Strategie stellt sich die Frage, wie eine regionale Energiegemeinschaft entstehen kann, die nicht einseitig und exklusiv ausgerichtet ist, die normative Idee einer Markt- und Solidargemeinschaft umsetzt und Rußland einbezieht. Es gilt zu bedenken, daß in der EU nicht nur kein Konsens darüber besteht, welches Verhältnis zu Rußland gepflegt werden soll, sondern daß Rußland und die EU in der Energiepolitik antagonistische Ordnungsmodelle verfolgen, was auch zu einer Konkurrenz der Modelle im gemeinsamen Nachbarschaftsraum führt. Hierin liegt eine besondere Brisanz, denn die Nachbarländer im Osten stehen in einem sehr engen Abhängigkeitsverhältnis, wenn es um rußländische Energielieferungen geht. Um die Abhängigkeit von Rußland zu reduzieren, sind Partner für Reformen und den Umbau des Energie(bezugs)systems notwendig. Für die Ausdehnung einer Energiegemeinschaft in den Nachbarschaftsraum hat das Implikationen, von denen zwei im Vordergrund stehen: Chancengleichheit und Solidarität. In den Ausführungen wurde gezeigt, daß die von der Politik intendierten Wirkungen im Hinblick auf einen funktionierenden Binnenmarkt nicht immer griffen. Dafür sind vor allem Marktverzerrungen, energiewirtschaftliche Besonderheiten und Regulationsversagen verantwortlich, in deren Folge sich die Strom- und Gaskonzerne im Down-Stream-Sektor sehr stark konsolidiert haben. Gleichzeitig tragen die strategischen Allianzen dieser Unternehmen mit Gazprom dazu bei, daß Joint ventures viele nachgelagerte Wertschöpfungsstufen kontrollieren. Für die intendierte Marktpreisbildung ist das hoch problematisch. Die Entwicklungen in der EU müssen daher ein Warnsignal für eine zu schnelle und forcierte Liberalisierung in nationalen Märkten sein, in denen die staatlichen Handlungskapazitäten durch die Transformation geschwächt sind. Die Erfahrungen in der EU haben gezeigt, daß der Politik eine wichtige Rolle zukommt und daß die Privatisierung und Liberalisierung in solch zentralen Politikfeldern, die lange Staatsaufgaben waren, an Grenzen stößt. Vor diesem Hintergrund muß auch über eine verbesserte und effektivere Regulation in der EU nachgedacht werden, was erst dann einen „Export“ dieser Regeln erlaubt. In Transformationsländern konstituiert sich nationale Souveränität in vielen Bereichen neu. Dem Energiesektor als strategischem Sektor kommt dabei eine zentrale Rolle zu, zumal politische Fehler in der Energiepolitik mit hohen ökonomischen und sozialen Kosten verbunden sind. Gleichzeitig dominieren in diesen Ländern starke Partikularinteressen, die sich häufig um den Energiesektor gruppieren und von den Liefer- und Geschäftsbeziehungen mit rußländischen Unternehmen profitieren. Dennoch sollte im Hinblick auf den Erhalt von angestammten Energiekonzernen der Eindruck, daß hinter den Instrumentarien der Nachbarschaftspolitik vor allem das Interesse der westlichen Konzerne zu Übernahme steht, auch wegen der Legitimation des Gesamtprojektes vermieden werden. Gleichzeitig gibt es gewichtige ökonomische und soziale Argumente, die für eine sehr langsame Liberalisierung und Heranführung an den europäischen Markt sprechen, denn ein transnationaler Energiehandel würde wohl schnell zu höheren Energiepreisen führen. Dieses Argument ist eng mit dem zweiten Aspekt, der Solidarität, verbunden. Die Energiepreise stehen im Zentrum gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Überlegungen. Auf der einen Seite sind regulierte Energiepreise nicht nur politisches Kalkül, sondern in den Transformationsländern auf der Ebene der privaten Haushalte auch ein soziales Gebot. Dazu sagen die Aktionspläne der Nachbarschaftspolitik wenig. Auch hier gilt es, den Eindruck zu vermeiden, daß die EU auf Preisliberalisierung vor allem deswegen drängt, um Wettbewerbsvorteile für energieintensive Wirtschaftszweige abzuschaffen. Auf der anderen Seite schaffen höhere Energiepreise einen Anreiz zu mehr Effizienz im Verbrauch. Die vorangegangenen Überlegungen belegen, daß die nachfrageorientierte und nachhaltige Energiepolitik der EU von herausragender Bedeutung ist. Hier liegen die entscheidenden Potentiale einer ersten Stufe der Zusammenarbeit mit der Nachbarschaftsregion. Im Moment verbaut die beinahe schon reflexartige Fixierung auf die Versorgungssicherheit bei fossilen Brennstoffen alternative Entwicklungspfade, die auf mehr Effizienz, den Ausbau alternativer Energiequellen und damit auch auf die Evolution eines kleinteiligeren, dezentralen Energiesystems setzen. Man kann von einem beinahe inhärenten Konservatismus in der Energiewirtschaft sprechen, der sich daraus speist, daß sich aus den technischen Besonderheiten der Leitungsgebundenheit der Kraftwerksparks Größenvorteile ergeben haben. Hier ist die Politik gefordert, wegen der langfristigen Investitionszyklen im Energiesektor einen neuen Rahmen für eine Transformation des Energiesystems zu ziehen. Und hier liegen auch die großen Potentiale der Nachbarschaftsenergiepolitik. Inwieweit eine Integration in den Binnenmarkt gelingt, ist fraglich. Das politische Kunststück wird es nicht nur sein, eine konfliktträchtige Integrationskonkurrenz mit Rußland zu vermeiden, sondern auch die Nachbarländer flexibel an die EU heranzuführen, den energiepolitischen Ordnungsrahmen zu exportieren, ohne gleichzeitig eine volle Mitgliedschaft offerieren zu können und zu wollen.
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