Editorial
Weiterungen
Manfred Sapper, Volker Weichsel, Andrea Huterer, David Oberhuber
Abstract in English
(Osteuropa 2-3/2007, S. 56)
Volltext
Die Idee ist ambitiös. Die EU will mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik von der Barentssee im Nordosten über den Südkaukasus, den Nahen Osten bis zu den Maghreb-Staaten in Nordafrika einen Ring befreundeter Staaten ziehen sowie Sicherheit und Stabilität an den Außengrenzen schaffen. Die Idee ist gut. Die Nachbarschaftspolitik soll Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft im Umfeld der EU verbreiten. Die EU bietet den Nachbarn Anreize, auf ihre Vorstellungen einzugehen. Wer ihnen folgt und die Bedingungen erfüllt, wird honoriert. Wie gut diese Politik der Konditionalität funktionieren kann, hat die Osterweiterung gezeigt. Die EU stellte die Mitgliedschaft in Aussicht, und die Beitrittskandidaten in Ostmitteleuropa führten bemerkenswerte Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch. Über das Ergebnis besteht kein Zweifel: Die Erweiterung von 2004 ist der größte außenpolitische Erfolg der EU. Doch die Idee hat einen Haken. Das Zuckerbrot der Mitgliedschaft hält die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht mehr bereit. Die EU hat sie explizit als Alternative zur Erweiterungspolitik entwickelt und damit die Grenzen der eigenen Ausdehnung definiert. Nichtsdestotrotz kollidieren immer wieder die Interessen Rußlands und der EU im gemeinsamen Nachbarschaftsraum in Osteuropa. Das geschieht immer dann, wenn die Kernfragen des Politischen auf dem Spiel stehen: Wer ist eine Demokratie, wer ist der Souverän, wieviel Recht und Freiheit muß es sein? Politische Kräfte in der Ukraine, in Moldova oder in Georgien, die ihr Land langfristig gerne in der EU sähen, kritisieren die Nachbarschaftspolitik als ein Instrument der Exklusion. Zweifelsfrei bietet die ENP jedoch auch Anreize und Mittel, die auf die Inklusion der Nachbarn und ihre Mitwirkung in verschiedenen Politikfeldern der EU zielen. Fragt sich nur, ob diese Anreize attraktiv genug sind und den Interessen der Nachbarn entsprechen. Kritiker monieren, daß der Mangel an substantiellen langfristigen Vorteilen für die Partnerländer der entscheidende Konstruktionsfehler der Nachbarschaftspolitik sei. Ist diese Gleichzeitigkeit von Exklusions- und Inklusionsmomenten die Ursache, weshalb es der ENP bislang an Kohärenz fehlt? Die Stärken und Schwächen der Europäischen Nachbarschaftspolitik gehören auf den Prüfstand. Das ist die Aufgabe des vorliegenden Hefts. Neben theoretischen und systematischen Analysen der Integrationsdynamik der EU und der Handlungslogik der Nachbarschaftspolitik stehen Länderstudien, transregionale Untersuchungen sowie Politikfeldanalysen. Hier geht es etwa um Energiepolitik, Migration oder Inneres & Justiz. Diese Politikfelder werden auf ihren Stellenwert für die ENP und die Nachbarn befragt. Schließlich nehmen Praktiker unter die Lupe, welches Kooperationspotential die Nachbarschaftspolitik bietet. Denn eines ist unabhängig von ihrem Erfolg oder Scheitern sicher: Die Europäische Nachbarschaftspolitik bleibt nicht ohne Weiterungen für die Konturen und die Zukunft Europas.