Naši – Die Putin-Jugend
Sowjettradition und politische Konzeptkunst
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Abstract
Seit Jahren ist die Putin-Administration bemüht, ihrer politischen Jugendarbeit ein modernes Image zu verpassen. Langfristiges Ziel ist die Schaffung einer patriotischen, regierungstreuen Jugendorganisation, die in der Gesellschaft für ein loyales politisches Klima sorgen soll. Nach den Mißerfolgen einer traditionellen Jugendpartei und der skandalträchtigen Bewegung Gemeinsamer Weg (Iduščie vmeste) wurde 2005 mit beträchtlichen finanziellen Mitteln die streng hierarchische Jugendorganisation der Unsrigen (Naši) ins Leben gerufen. Diese vereinigt Strukturen des sowjetischen Komsomol mit Aktivitäten, die deutlich von der dissidenten konzeptualistischen Kunst der 1970er und 1980er Jahre inspiriert sind.
(Osteuropa 5/2006, S. 518)
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Die Bol’ševiki erkannten sehr bald nach der Oktoberrevolution, daß für die Sicherung ihrer Macht die Indoktrination der Jugend eine entscheidende Rolle spielte. Bereits am 4. November 1918 fand die Gründungsversammlung des Leninschen Kommunistischen Jugendverbands der UdSSR (Vsesojuznyj Leninskij Kommunističeskij Sojuz Molodeži), kurz Komsomol statt. Der Komsomol war nach den gleichen Prinzipien wie die KPdSU strukturiert und galt gewissermaßen als Vorschule für die Partei. 1933 bekräftigte Stalin die Schlüsselposition der Jugend im gesellschaftlichen Prozeß: „Die Jugend ist unsere Zukunft, unsere Hoffnung. Die Jugend muß uns Alte ablösen.“ Allerdings war unter Stalin klar, daß die Werte und Geschmackspräferenzen der „Alten“ den Generationswechsel schadlos überstehen sollten. Eine nicht von oben gelenkte Jugendkultur, die sich an westlichen Stilrichtungen wie Jazz, Rock oder Pop orientierte, konnte sich deshalb erst in den 1950er Jahren entwickeln. Die sogenannten stiljagi hoben sich in Kleidung und Habitus deutlich vom offiziösen Design ab und reklamierten individuelle Gestaltungsräume für sich. Vom staatlichen Establishment wurden sie schnell als „dekadente Intellektuelle mit kleinbürgerlichen Neigungen“ abqualifiziert. Der Komsomol führte aktive Kampagnen gegen die stiljagi, in deren Verlauf auch Hosen und Haare der Nonkonformisten abgeschnitten wurden. Der ideologische Kampf gegen autonome Kulturansprüche der Jugendlichen wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten zu einem Dauerthema. Trotzdem erreichte die Anhängerschaft des Komsomol in den 1980er Jahren mit über 40 Mio. Mitgliedern einen Höchststand. Allerdings zeigten sich bereits während der Perestrojka erste Zerfallserscheinungen: Die Mitgliederzahl sank bis 1990 auf 30 Mio. Dazu kam die wachsende Konkurrenz von alternativen Gruppen. 1987 dominierte die sogenannte Neformaly-Debatte die gesellschaftliche Berichterstattung in den sowjetischen Medien. Gemeint waren damit informelle Vereinigungen, die sich außerhalb der Parteistrukturen für bestimmte Anliegen einsetzten. Diese Ziele mußten nicht unbedingt politisch sein, neformaly konnten sich auch einfach als Liebhaber einer Rockgruppe oder eines Musikstils zusammenschließen. Das Spektrum der neformaly war sehr breit und reichte von Heavy Metal über Hip-Hop bis zu den Hippies. Der Komsomol versuchte, Einfluß auf die neformaly zu nehmen und sie in seine eigene Organisation zu integrieren – allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Komsomol im Oktober 1991 selbst auf. Vier Jahre später wurde er als Kommunistischer Jugendverband der Rußländischen Föderation (Sojuz kommunističeskoj molodeži RF) wieder ins Leben gerufen; allerdings fristet er heute im politischen Leben Rußlands ein marginales Dasein. Immerhin gratulierte die Duma dem Komsomol am 10. Juni 1998 in einer großzügigen Interpretation der Faktenlage zum 80jährigen Jubiläum. Gleichzeitig gab sie in ihrer Verlautbarung mit dem Titel „Über das 80jährige Bestehen des Komsomol und über die Verwendung der Komsomol-Erfahrung in der Jugendarbeit“ der Hoffnung Ausdruck, daß die Traditionen des Komsomol weiterleben werden. Postsowjetische Jugendbewegungen Die Weiterexistenz des Komsomol auf einer Schwundstufe zeugt nur vom Bankrott der kommunistischen Ideologie, nicht aber von einem Ende der politischen Jugendarbeit in Rußland. Die Kreml-Führung weiß genau, daß ihre gesellschaftliche Akzeptanz und damit ihr politisches Überleben in erheblichem Maß von der Loyalität der jungen Generation abhängen. Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Vladimir Putin versucht, einen „jungen“ Ableger seiner Partei Einiges Rußland (Edinaja Rossija) mit einer traditionellen Organisationsform ins Leben zu rufen. Am 9. September 2000 wurde die Partei Jugendeinheit (Molodežnoe edinstvo) gegründet, die am 11. Oktober 2002 eine offizielle Kooperationsvereinbarung mit der Regierungspartei schloß. Allerdings zeigte sich bald, daß die erhoffte Breitenwirkung dieser Jugendpartei ausblieb. Daran hat auch die im November 2005 erfolgte sowjetnostalgische Umbenennung in Junge Garde des Einigen Rußland (Molodaja Gvardija Edinoj Rossii) wenig ändern können. Kremlnahe Polittechnologen faßten gleichzeitig unkonventionellere und effizientere Formen der politischen Jugendarbeit ins Auge. Im Juli 2000 wurde die Bewegung Gemeinsamer Weg(Iduščie vmeste) als regionale Organisation registriert, ein Jahr später als rußländische Organisation. Der Gemeinsame Weg erregte vor allem durch die zeichensetzende Inanspruchnahme des öffentlichen Raums Aufsehen. Im März 2000 wurde eine spektakuläre Demonstration auf dem Tverskoj-Boulevard organisiert: Moskauer Prostituierte gingen für den wegen einer Sexaffäre entlassenen Generalstaatsanwalt Jurij Skuratov auf die Straße. Am 7. November 2000 fand die erste Manifestation zur Unterstützung des Präsidenten statt. Es folgte 2001 der Aufbau eines kleinen „Gefängnisses“ mit einem „Häftling“ vor der US-Botschaft in Moskau, nachdem der ehemalige Kreml-Verwalter Pavel Borodin in New York unter Geldwäscheverdacht verhaftet worden war. Diese öffentliche Vorführung endete mit einer Zerstörung der amerikanischen Flagge. Berühmt geworden sind die Aktionen gegen den Schriftsteller Vladimir Sorokin: Im Juni 2002 wurde vor dem Bol’šoj-Theater in Moskau eine gigantische Toilette aufgestellt, in die Sorokins Romane geworfen wurden. Bereits im Januar 2002 hatte der Gemeinsame Weg eine „Bucheintauschaktion“ organisiert, bei der Sorokins „Pornographie“ gegen die „nützliche Literatur“ des sowjetischen Kriegsautors Boris Vasil’ev eingetauscht werden konnte. Die Invektive gegen Sorokin gipfelte in einer Pornographieklage, die vom Gemeinsamen Weg beim Moskauer Bezirksgericht eingereicht wurde und zu einer grotesken juristischen Begutachtung von Sorokins Prosa führte. Der Gemeinsame Weg erwarb in der Berichterstattung der Massenmedien bald den Beinamen „Putin-Jugend“, weil die Aktivisten in der Regel T-Shirts mit einem Putin-Porträt tragen. In Interviews haben die Verantwortlichen des Gemeinsamen Wegs eine finanzielle Unterstützung des Kreml stets abgestritten und auf das Sponsoring von Banken und Unternehmen verwiesen, die aber angeblich anonym bleiben wollen. Allerdings erhalten die Demonstrationsteilnehmer laut inoffiziellen Informationen 50 Rubel in die Hand; bei mehreren tausend Demonstranten ergeben sich Summen, die nicht durch einfaches Fundraising erwirtschaftet werden können. Im Jahr 2004 geriet der Gemeinsame Weg in eine Krise. Ein Kadermitglied wurde der illegalen Verbreitung von Pornographie-Videokassetten überführt, außerdem gab es finanzielle Streitigkeiten zwischen der Petersburger Sektion und der Moskauer Zentrale. Überdies scheint sich der Gemeinsame Weg vor allem mit der Klage gegen Sorokin aus der Gunst des Kreml katapultiert zu haben: Vor dem Hintergrund der im Westen stark kritisierten „Italianisierung“ des rußländischen Mediensystems war ein Gerichtsverfahren, das sich auf einen literarischen Text bezog, dem internationalen Renommee Rußlands durchaus abträglich und wurde oft mit der Wiedereinführung einer ideologisch motivierten Zensur in Zusammenhang gebracht. Vor diesem Hintergrund entschied der Kreml zu Beginn des Jahres 2005, den Gemeinsamen Weg durch eine neue Organisation mit dem Namen Unsere (Naši) abzulösen. Der eigentliche Grund waren aber die „bunten“ Revolutionen in Georgien und der Ukraine, deren Erfolg sich in erheblichem Maß einer politisch mobilisierten Jugend verdankte. Das Ziel der Transformation des Gemeinsamen Wegs in die Unsrigen besteht erklärtermaßen im Aufbau einer Massenbewegung, die bis zu 250 000 junge Menschen umfassen und ein regierungstreues politisches Klima für die Wahlen 2008 vorbereiten soll. Dieses Programm ist durchaus ambitiös, wenn man in Rechnung stellt, daß ein großer Teil der rußländischen Jugend sich kaum für Politik interessiert. Eine Umfrage der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM) im Juni 2005 ergab, daß die 18–35jährigen im Vergleich mit älteren Bevölkerungssegmenten sogar überdurchschnittlich oft eine apolitische Haltung einnehmen. Es wurden Fragen von verschiedener „Härte“ gestellt wie etwa „Glauben Sie, daß sich Menschen Ihres Alters für Politik interessieren?“ oder „Haben Sie mitunter den Wunsch, sich an Demonstrationen oder anderen politischen Aktionen zu beteiligen?“. Bei den Antworten schwankten die Ablehnungsraten zwischen 60 und 70 Prozent. Ein ähnliches Bild ergibt ein Blick auf das reale politische Engagement von 18–29jährigen: Im Dezember 1999 gehörten nur gerade 1,9 Prozent aller Jugendlichen einer politischen Partei und 1,3 Prozent einer Jugendorganisation an. Naši: Patriotismus und Putin-Kult Es wäre allerdings falsch, aus diesem Befund zu schließen, daß nationale Themen bei der Jugend auf keinerlei Resonanz stoßen. Im Gegenteil: Im Bewußtsein der jungen Generation gibt es eine deutliche Unterscheidung zwischen „Staat“ (gosudarstvo) und „Vaterland“ (otečestvo). Politische Partizipation an demokratischen Prozessen und emotionales Engagement für Rußland stellen zwei weitgehend getrennte Bereiche im Habitus der Jugend dar. Rußland erscheint im Bewußtsein der Jugendlichen im Vergleich zum Westen zwar oft als wirtschaftlich rückständig, zeichnet sich aber durch eine „höhere Kultur“ und „intensivere Gemeinschaft“ aus. Auf diese Weise läßt sich auch der auf den ersten Blick paradoxe empirische Befund erklären, daß die Jugendlichen zwar den staatlichen Institutionen kaum trauen, gleichzeitig aber mit hohen Zustimmungsraten Putin unterstützen. Putin ist es mithin gelungen, sich im öffentlichen Diskurs der Jugend als charismatischer Führer zu etablieren – dazu gehört nicht zuletzt seine sorgfältige Selbstpräsentation als Judokämpfer. Seine Autorität als Präsident speist sich nicht so sehr aus seinen staatsmännischen Leistungen, sondern ist vielmehr das Resultat von medienwirksamer Prestigeakkumulation in politikfremden Bereichen. Anders formuliert: Putin profitiert von einer diffusen patriotischen Grundstimmung, ohne gleichzeitig Verantwortung für die mangelhafte staatliche Verwaltung tragen zu müssen. Auf dieser Grundvoraussetzung baut die politische Strategie der Unsrigen auf. Die Jugendbewegung ist bisher vor allem durch die Organisation einer großen Parade zum sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes in Erscheinung getreten. Am 15. Mai 2005 versammelten sich über 50 000 Anhänger der Bewegung in einheitlichen T-Shirts auf dem gesperrten Leninprospekt, um die Veteranen des Großen Vaterländischen Kriegs zu ehren. Ähnliche Aktionen fanden auch in den Provinzstädten statt: In St. Petersburg wurden Kämpfe nachgestellt und eine Feldküche aufgebaut, in Voronež bildeten Jugendliche mit ihren Körpern die Jahreszahl 1945, in Novgorod fanden Konzerte statt, in Lipeck und Kursk wurden Exkursionen zu Kampfschauplätzen organisiert. Im Juli 2005 fand ein zweiwöchiges Lager am Seliger See bei Tver’ statt, an dem über 3000 Jugendliche teilnahmen. Der Stundenplan war dicht gedrängt mit Vorlesungen, Seminaren, Sportveranstaltungen und Exkursionen. Wie das Lagerprogramm stolz vermerkt, standen für Schlaf nur sechs Stunden pro Tag zur Verfügung. Wichtig war dabei ein Angebot an vorgefertigter Emotionalität, bei dem das Gruppenerlebnis für die Beteiligten wichtiger war als die politische Ideologie. Für die Aktionen der Unsrigen muß eine massive finanzielle Unterstützung durch die Administration des Präsidenten angenommen werden. Allein die Moskauer Mai-Demonstration und das Seliger-Lager kosteten nach Presseberichten über vier Millionen Dollar. Überdies empfing Präsident Putin nach dem Abschluß des Lagers persönlich eine Delegation von 56 „Kommissaren“ der Unsrigen auf seiner Landresidenz. Ein erstes Treffen mit dem Kader der Unsrigen hatte bereits am 1. Juni 2005 stattgefunden. Mit diesen persönlichen Kontakten erhält die Zusammenarbeit zwischen Putin und den Unsrigen eine neue Qualität. Während der Präsident vorsichtige Distanz zum Gemeinsamen Weg wahrte, verleiht er den Unsrigen eine Aura von offiziöser Anerkennung. Komsomol-Tradition: Ehrenkodex, Sowjetkult und „Antifaschismus“ Die Organisation der Unsrigen weist einige Ähnlichkeiten zum sowjetischen Komsomol auf. So greift etwa die Herrschaftsstruktur der Unsrigen deutlich auf die Komsomol-Hierarchie zurück. Die Jugendarbeit der Unsrigen wird von „Kommissaren“ auf verschiedenen Ebenen (Föderation, Region, Ort) geleitet. Außerdem ist eine Arbeitsteilung in verschiedene Sektoren vorgesehen: Organisation von politischen Veranstaltungen, Medienanalyse und schließlich sogar eine interne Polizei. Bezeichnenderweise ist es den Unsrigen untersagt, Journalisten Interviews zu geben. Es herrscht eine gewisse Art von „omertà“, die auch in der Satzung des Komsomol ihren Niederschlag gefunden hatte: Jedes Mitglied war zur Wahrung militärischer und staatlicher Geheimnisse sowie zu „politischer Wachsamkeit“ verpflichtet. Parallelen lassen sich auch bei der Ideologie der beiden Jugendbewegungen beobachten. Die Komsomolzen mußten „unablässig an der Steigerung des eigenen Bewußtseins arbeiten“, „Disziplin bei der Arbeit und im Staat“ wahren, „ehrlich und aufrichtig sein“ und „die erhaltenen Aufträge gewissenhaft ausführen“. Auch die Unsrigen verfügen über einen Kodex, der von den Mitgliedern „Patriotismus“, „strategisches Denken“, „gesellschaftliche Verantwortung“ und „Führungsqualitäten“ einfordert. Das ideologische Manifest der Unsrigen mündet in drei zentrale Ziele: die Bewahrung der Souveränität und der territorialen Integrität Rußlands, die Modernisierung des Landes und die Schaffung einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Der Text macht gleichzeitig klar, daß diese Ziele nur von Putin erreicht werden könnten. Die ganze Rhetorik der Unsrigen ist militarisiert; die Organisation hat sich ganz besonders dem Kampf gegen den „Faschismus“ verschrieben. Zwar steht in erster Linie Ėduard Limonov mit seiner Nationalbolschewistischen Partei (Nacional-Bol’ševistskaja Partija, NBP) im Visier der Unsrigen; gleichzeitig macht aber eine Broschüre mit dem Titel „Ungewöhnlicher Faschismus“ klar, daß auch liberale Politiker wie Irina Chakamada oder Grigorij Javlinskij für die Unsrigen „Faschisten“ sind. Bei diesem Kunstgriff läßt sich durchaus ein sowjetisches Deutungsmuster feststellen: Auch im sowjetischen Kontext war der Begriff „Faschismus“ eine politische Kampfvokabel, die je nach Belieben auf verschiedene Erscheinungen bezogen werden konnte. So wurde etwa 1936 im Kampf gegen die angebliche „trockistisch-sinovevistische Verschwörung“ auf die Hakenkreuzsymbolik zurückgegriffen. Eine Neuauflage sowjetischer Hermeneutik läßt sich auch im Geschichtsbild der Unsrigen beobachten. Für mehr als ein Jahrzehnt stellte der sogenannte Kratkij kurs aus dem Jahr 1938 die maßgebliche offizielle Lesart der sowjetischen Geschichte dar. Diese Geschichtsklitterung, die Stalin als Garanten des „richtigen Kurses“ ins Zentrum stellte, wurde bis zu dessen Tod in 300 Nachdrucken mit einer Gesamtauflage von 42,8 Mio. Exemplaren verbreitet. Die gesamte Darstellung des Kratkij kurs ist von einem Determinismus getragen, der in jedem historischen Ereignis einen Fingerzeig für die künftige Entwicklung erblickt. Das Schlußkapitel des Buchs bietet eine Zusammenstellung der Erkenntnisse, die man aus der Geschichte der Kommunistischen Partei gewinnen könne. Dabei wird kein Zweifel daran gelassen, daß die „Lehren“ aus der Vergangenheit nicht nur hinreichende, sondern auch notwendige Bedingungen für den weiteren Gang der Geschichte darstellen: Die Kraft der marxistisch-leninistischen Theorie besteht darin, daß sie der Partei die Möglichkeit gibt, sich in der jeweiligen Situation zu orientieren, den inneren Zusammenhang der rings um sie vor sich gehenden Ereignisse zu verstehen, den Gang der Ereignisse vorauszusehen und zu erkennen nicht nur, wie und wohin sich die Ereignisse gegenwärtig entwickeln, sondern auch, wie und wohin sie sich künftig entwickeln müssen. Natürlich in weit weniger dogmatischer Form, aber gleichwohl deutlich erkennbar ist auch das Geschichtsverständnis der Unsrigen von der Vorstellung bestimmt, daß man „Lehren“ aus der Geschichte ziehen könne. An der organisationseigenen Höheren Verwaltungsschule (Vysšaja škola upravlenija) arbeitet der revisionistische Historiker Andrej Petrovič Paršev, der hauptberuflich im Rang eines Obersten an der Grenzschutz-Akademie (Akademija pograničnoj služby) unterrichtet und sich beispielsweise für eine positive Neubewertung von Stalins Geheimdienstchef Lavrentij Berija einsetzt. Für die Unsrigen hat Paršev eine Broschüre mit dem Titel Der rußländische Weg (Rossijskij put’) verfaßt, die den Gang der russischen Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart auf knapp 100 Seiten ad usum delphini darstellt. Das Kernstück dieser Broschüre ist wie im Kratkij kurs das Schlußkapitel, in dem Paršev vier Krisenzeiten in der russischen Geschichte benennt und gleichzeitig auf vier Konstanten aufmerksam macht, die angeblich in einem kausalen Zusammenhang mit diesen Krisen stehen. Einen Niedergang der nationalen Größe Rußlands konstatiert Paršev während des Mongolenjochs, der Smuta, der Oktoberrevolution und in der heutigen Situation. Verantwortlich dafür sind laut Paršev folgende Faktoren: Schwächung der Zentralmacht, Dekadenz der Eliten, Entfremdung des Volks von der Macht und schließlich ausländische Einmischung. Die politischen Konsequenzen, die aus dieser Diagnose zu ziehen sind, liegen auf der Hand und laufen auf eine historiosophische Legitimierung von Putins populistisch-autoritärem Kurs hinaus. Ein ähnliches Geschichtsbild findet man beim kremlnahen Polittechnologen Gleb Pavlovskij, der am 18. Juni 2005 in St. Petersburg vor den Unsrigen eine Rede hielt. Darin kritisierte Pavlovskij den offiziellen Umgangston Rußlands mit den Nachfolgestaaten Lettland und Ukraine als zu „höflich“; gleichzeitig wagte er die Aussage, daß die Sowjetunion im 20. Jahrhundert „das konsequenteste antifaschistische Imperium der Welt“ gewesen sei. Den naheliegenden Einwand, daß der Ribbentrop-Molotov-Pakt kaum zu dieser Einschätzung passe, wischte er mit den Worten beiseite, dieses „in der Tat problematische“ Ereignis halte man den Russen mit trotziger Hartnäckigkeit vor. Auch das sowjetische Wirtschaftsmodell habe sich zwar als Sackgasse erwiesen, das heiße aber nicht, daß der Weg falsch gewesen sei. Rußland stehe seit je mit seinen weltverbessernden Visionen in Konkurrenz zu den USA, die von einem ähnlichen Missionsgedanken beseelt seien, aber natürlich ganz andere Rezepte predigten. Für Pavlovskij ist also – ähnlich wie für Paršev – nicht das Sowjetregime die Katastrophe, sondern sein Zusammenbruch. Die Ideologen der Unsrigen plädieren vor dem Hintergrund eines Staatsdarwinismus, der immer wieder die Schlüsselbegriffe „Konkurrenz“, „Überleben“ und „Sieg“ einsetzt, für eine Rückkehr Rußlands zum Supermachtstatus der Sowjetunion. Die Schlüsselthemen der Unsrigen sind aller Wahrscheinlichkeit nach das Ergebnis sorgfältiger polittechnologischer Überlegungen. Die Prominenz des Zweiten Weltkriegs entspricht dem Geschichtsbild einer Mehrheit der rußländischen Bevölkerung. In Serienuntersuchungen führte der „Sieg im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945“ jeweils mit deutlichem Vorsprung die Nennungen zur Frage nach den wichtigsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts für Rußland an (1989: 77 Prozent, 1994: 73 Prozent, 1999: 84 Prozent). An zweiter Stelle stand die Oktoberrevolution (1989: 63 Prozent, 1994 und 1999: 49 Prozent). Lev Gudkov hat bei der Analyse der nationalen Identität der rußländischen Bürgerinnen und Bürger darauf hingewiesen, daß sich dieses Selbstbild nicht als System bestimmter Merkmale beschreiben lasse und auch nicht auf persönlicher Erfahrung beruhe. Vielmehr sei die rußländische Identität eine „negative“: Sie konstituiere sich aus der Ablehnung des Fremden, Bedrohlichen, das für die eigene Misere verantwortlich gemacht werde. Dieser Prozeß beruhe nicht auf persönlicher oder kollektiver Erfahrung, sondern sei das Resultat einer kognitiven Sozialisierung – d.h. die Bewertungsmuster würden durch den öffentlichen Diskurs vorstrukturiert. Vor dem Hintergrund dieser Gegebenheiten erscheint die Verbindung von Kriegserinnerung und diskursiver Reanimation eines verschwommenen Faschismusbegriffs als geschickte PR-Strategie der Unsrigen. Die Jugendorganisation vereinnahmt jene Themen für sich, die ohnehin schon einen zentralen Ort im Bewußtsein der rußländischen Bevölkerung einnehmen. Gleichzeitig verleihen die Unsrigen ihren Mitgliedern eine nationale Identität, die hauptsächlich auf der Negation von „Feinden“ beruht. Dabei wird die komplexe politische Realität radikal auf zwei Pole reduziert: Dem verteufelten „Faschismus“ steht die Lichtgestalt Putin gegenüber, der mutig und entschlossen das Natterngezücht von links und rechts abwehrt. Dieses simple Orientierungsraster wird zur Grundlage der gesamten politischen Tätigkeit der Unsrigen. Es ist bezeichnend, daß das Manifest der Jugendorganisation fast vollständig auf Inhalte verzichtet. Man findet kein Wort zu Wirtschafts-, Sozial- oder Bildungspolitik, nur ein Bekenntnis zu Putin. Der Name des Präsidenten ist das einzige Programm. Putin erscheint als Garant der Abwehr aller fremden Einflüsse, die von den Unsrigen unter der Kampfparole „Faschismus“ zusammengefaßt werden. Gudkov weist darauf hin, daß die negative Identität der rußländischen Bürgerinnen und Bürger die Nachfrage nach „populistischen, pseudocharismatischen Figuren wie Putin“ erst hervorbringe. Politische Jugend und Konzeptkunst Nun wäre es allerdings verfehlt, aus diesen Strukturähnlichkeiten zu schließen, daß die Unsrigen nur eine Neuauflage des Komsomol darstellten. Einen wichtigen Unterschied zum Komsomol markieren nämlich die öffentlich inszenierten Aktionen der Unsrigen, die – wie bereits die Veranstaltungen des Gemeinsamen Wegs – deutlich von der Moskauer Soz-Art inspiriert sind. Daß mit Vladimir Sorokin ein Begründer des Konzeptualismus im Fadenkreuz der Attacken der Unsrigen steht, ändert nichts an der Tatsache, daß man die politischen Aktionen der Jugendorganisation als Konzeptkunst deuten kann. Im Zentrum der Soz-Art, die sich seit den 1970er Jahren in Moskau entwickelte, stand der Versuch, abstrakte Konzepte in ihrer Gegenständlichkeit sichtbar zu machen. Dabei orientierte sich die sowjetische Konzeptkunst an der westlichen Pop-Art: Andy Warhol hatte in seinen Kunstwerken die Überproduktion von Waren inszeniert und den Fetischcharakter der Konsumgesellschaft offengelegt. Die Moskauer Konzeptualisten versuchten demgegenüber, die Überproduktion von Ideologie in der Sowjetunion künstlerisch zu verarbeiten. Das grundlegende Verfahren sowohl der Pop-Art als auch der Soz-Art ist die Realisierung der Metapher. In der Soz-Art dominiert die ungebrochene Veranschaulichung ideologischer Inhalte: Die ursprüngliche Qualität des Gegenstands wird durch ein vom Künstler aufgesetztes Pathos des Ausdrucks überhöht. Dieser semantische Gestus wurde und wird oft als Satire mißverstanden. Der Soz-Art geht es allerdings um etwas anderes: Sie usurpiert gewissermaßen die expressive Energie, mit der ihre Objekte ideologisch aufgeladen wurden, und setzt sie für ihre eigenen, ästhetischen Zwecke ein. Die politische Konzeptkunst des Gemeinsamen Wegs und der Unsrigen bedient sich eines ähnlichen semantischen Gestus. Allerdings werden Zweck und Mittel vertauscht: Während die Soz-Art mit der Reinszenierung von politischen Zeichen einen künstlerischen Zweck verfolgt, eignen sich die postkommunistischen Jugendorganisationen die konzeptualistische Formensprache der Soz-Art an und machen sie einem politischen Ziel dienstbar. Deutlich zeigt sich dies etwa in der Toilettenschüssel-Aktion, die als Realisierung der Metapher „Sorokins Bücher sind Scheiße“ gedeutet werden kann. Die ästhetische Imitierung der Soz-Art kann aber auch komplexere Formen annehmen. Die kollektiven Aktionen der Unsrigen folgen einem ähnlichen Prinzip wie die berühmten Aktionen der Lianozovo-Gruppe, die in den 1960er Jahren in einem Moskauer Vorort ein Kunstreservat schuf. In beiden Fällen treten die beteiligten Personen nicht als schaffende Autoren auf, die einen bestimmten Sinnentwurf hervorbringen. Die Aktionskünstler sind vielmehr Teil des Kunstwerks selbst: Sie werden in eine bestimmte Konstellation gebracht und funktionieren gewissermaßen als Mosaikstein in einem Gesamtkunstwerk. Mit anderen Worten: Die Trennung zwischen Autor und Werk wird aufgehoben. Der Moskauer Kritiker Josif Bakštejn bringt diesen Zusammenhang auf die Formel: Um Künstler zu sein, muß man zu einer Figur werden. Diese Identifikation entspricht einem zentralen Inhalt der konzeptualistischen Ästhetik: Der Künstlerforscher steht nicht in einer nüchternen Distanz zu seinem Gegen-stand. Er versteht sich selbst als Teil jenes Sinnentwurfs, den er inszenieren, beschreiben oder analysieren will. Die kollektiven Aktionen der Konzeptualisten bringen alle Teilnehmer in eine Situation, in der auf anstürmende Zeichen reagiert werden muß. Oft handelt es sich dabei um ritualisierte Zeichen, politische Symbole, ideologische Bilder. Gleichzeitig bauen sie in ihre Versuchsanlagen auch Elemente ein, die die Verständlichkeit erschweren und dadurch den Kunstcharakter vom Inhalt des Dargestellten auf den Prozeß der Rezeption verschieben. Ein interessantes Beispiel bietet die Aktion „Losung“ („Lozung“, 1980) von Andrej Monastyrskij: An einem Waldrand wurde eine weiße Stoffbahn mit verhüllten roten Buchstaben aufgehängt. Erst als sich alle Aktionsteilnehmer in genügendem Abstand von der Stoffbahn befanden, wurde die Hülle entfernt. Die Buchstaben auf der Stoffbahn waren zu weit entfernt, um von den Beteiligten noch gelesen werden zu können. Diese Aktion inszenierte mithin das Eintauchen der Rezipienten in den Zeichenraum politischer Propaganda – dabei wurde aber paradoxerweise der zu kommunizierende Inhalt unverständlich. Derselbe Mechanismus läßt sich auch bei den Aktionen der Unsrigen zum sechzigsten Jahrestag des Kriegsendes beobachten: Wenn die Aktionsteilnehmer mit ihren eigenen Körpern die Jahreszahl 1945 bilden, bleibt die Gesamtaussage für sie selbst unlesbar. Anders als bei einer konventionellen politischen Demonstration „transportieren“ die Aktionisten nicht einen politischen Inhalt, sondern sie sind selbst das Zeichenmaterial dieses Inhalts. Bei der Jahreszahl 1945 kann man überdies kaum von einem Inhalt sprechen; es handelt sich hier um ein emotional aufgeladenes Symbol, dessen einzige Wirkung darin besteht, die Aktionsteilnehmer in einen von ihnen als wertvoll empfundenen Sinnzusammenhang zu bringen. Damit realisieren sie ihre Subjektivität in einem durchaus etymologischen Sinn: Sie unterwerfen sich einem Symbolgehalt, den sie selbst weder durchschauen noch kontrollieren. Die Anlage der Aktion macht gleichzeitig deutlich, daß sich die Inszenierung vor allem auf die in-group bezieht. Dieser Aspekt zeigt sich besonders deutlich in der Tatsache, daß die Zahl 1945 ja nicht nur von den Aktionisten selbst, sondern auch von den umstehenden Zuschauern nicht gelesen werden kann. Für die Entzifferung ist eine extreme Außenposition nötig, die nur von einem Hubschrauber eingenommen werden kann. Damit fällt die Kommunikation eines Inhalts an Außenstehende als Hauptzweck der Aktion weg. Im Zentrum steht vielmehr das Bewußtsein der Teilnehmer, in einem holistischen Sinnentwurf eine notwendige Funktion auszuüben. Eine wichtige Rolle spielt bei den politischen Aktionen der Unsrigen die Aneignung der kollektiven Wertschätzung, die in einem bestimmten Begriff steckt. Im vorliegenden Fall wird die symbolische Energie, die sich in Rußland mit dem „Sieg über den Faschismus“ verbindet, auf die Jugendbewegung umgeleitet. Im Grunde wird hier dasselbe polittechnologische Verfahren angewendet, auf dem auch Putins Popularität beruht: Erfolge aus emotional aufgeladenen Bereichen wie Sport oder Krieg werden in den aktuellen politischen Diskurs eingespielt und suggerieren dort genau jene Qualitäten, die eigentlich aus dem Ursprungsbereich stammen: Kraft, Zuversicht, zielgerichtetes Handeln. Dieser Übertragungsvorgang von symbolischer Energie aus einem Diskursbereich in einen anderen kann mit einem kantischen Begriff als „Subreption“ (wörtlich: Erschleichen) bezeichnet werden: Kant erklärt mit der Subreption das ästhetische Gefühl des Erhabenen, das sich nur scheinbar aus der „Achtung für das Objekt“ ergibt, in Wahrheit aber eine „Idee in unserem Subjekt“ bezeichnet. Subreption steht also für die Verschiebung einer emotionalen Empfindung, die eigentlich dem beobachtenden Ich zukommt, auf den beobachteten Gegenstand. Dem Objekt wird eine bestimmte Qualität zugeschrieben, die aber nicht in ihm, sondern im zuschreibenden Subjekt liegt. Kant erläutert diesen Prozeß im Hinblick auf das Gefühl des Erhabenen, das sich nur am Objekt (also etwa dem Anblick des Ozeans) entzünde, eigentlich aber die hohe Bestimmung der Menschheit meine. Diese Subreption zeigt sich explizit im Slogan der großen Moskauer Demonstration zum Jahrestag des Kriegsendes. Die Unsrigen stellten die Veranstaltung unter den Titel „Unser Sieg“. Damit wurde eine Leistung, die gar nicht der Jugendorganisation zu verdanken ist, für die eigene Positionierung in der Gesellschaft vereinnahmt. Recht besehen handelte es sich bei dieser großangelegten Aktion um eine diskursive Verschiebung, die mit einem quid pro quo operierte: Die eigene Sache, nämlich der Sieg über die „Faschisten“ Chakamada und Javlinskij, wurde als Zelebrierung des Sieges über die „deutschen Faschisten“ vor 60 Jahren inszeniert. Die Unsrigen appellieren an ein simples Geschichtsbild, das in seinen wesentlichen Zügen sowjetisch geprägt ist, und präsentieren sich selbst in einer Kontinuität, die von der rußländischen Gesellschaft sofort verstanden und auch akzeptiert wird. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die typologischen Gemeinsamkeiten der politischen Konzeptkunst der Unsrigen mit der Soz-Art der 1970er und 1980er Jahre auffallend sind. Allerdings gibt es auch einen gewichtigen Unterschied. Der entscheidende Punkt ist die Zugehörigkeit der Akteure zu verschiedenen Generationen. Während die Moskauer Konzeptualisten in der Sowjetunion sozialisiert wurden und das politische System aus eigener Erfahrung kannten, gehören die Aktivisten der Unsrigen zu einer Generation, die nicht mehr auf dasselbe soziale Gedächtnis zurückgreifen kann. Deshalb werden Reinszenierungen von sowjetischen Habitusformen von der jüngeren Generation in der Regel auch akzeptiert. Als prominentes Beispiel läßt sich die Wiedereinsetzung der Stalin-Hymne durch Putin anführen, aber auch der autoritäre Führungsstil des Präsidenten oder seine aggressive Tschetschenienpolitik gehören in dieses Kapitel. Ausblick Es ist schwierig abzuschätzen, ob die Unsrigen in Zukunft tatsächlich die vom Kreml erhoffte Breitenwirkung in der rußländischen Jugend erzielen können. Dafür spricht die ausgesprochen professionelle Struktur der Organisation, die über eine klare Hierarchie, ein weitverzweigtes Netz in allen Regionen und über beträchtliche finanzielle Ressourcen verfügt. Negativ hingegen sind die Erfolgsaussichten zu bewerten, wenn man in Rechnung stellt, daß es enorm schwierig sein wird, eine dauerhafte Bindung der Jugend an den rußländischen Staat zu erreichen. Das praktizierte „Kaufen“ von Aktivisten ist höchstens im Sinne einer Anschubfinanzierung plausibel – wenn es den Polittechnologen aus dem Kreml nicht gelingt, die pekuniäre Anbindung der einzelnen Jugendlichen an die Unsrigen mittelfristig durch eine emotionale zu ersetzen, droht bei der ersten Budgetkürzung der Zerfall der Organisation. Entscheidend für eine nachhaltige, wertprägende Beeinflussung der jugendlichen Befindlichkeit wird die Wirkungskraft der „Subreption“ sein, mit der die Unsrigen den Staat zum Vaterland umkodieren. Die Unsrigen sollen nach dem Kalkül des Kreml zur Keimzelle einer loyalen Grundstimmung in einer rußländischen Gesellschaft werden, die in einem unkritischen Patriotismus die Regierungspolitik bedingungslos unterstützt. In diesem Fall könnte die Schreckensvision des ukrainischen Autors Andrej Kurkov aus seinem jüngsten Roman Die letzte Liebe des Präsidenten wahr werden: Im Moskau des Jahres 2015 wird immer noch Putin regieren, und die Polittechnologen des Kreml werden die diffusen patriotischen Gefühle der Russen auf einen synkretistischen Komplex nationaler Überzeugungen richten, in dem etwa mit der Heiligsprechung Lenins durch die russisch-orthodoxe Kirche operiert wird.
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