Titelbild Osteuropa 11-12/2006

Aus Osteuropa 11-12/2006

Kampf der Rechten und Gerechten
Die politische Rhetorik der Kaczyńskis

Andrea Huterer

Volltext als Datei (PDF, 336 kB)


Abstract in English

Abstract

Die Sprache der Brüder Lech und Jarosław Kaczyński eignet sich dazu, das Weltbild des Präsidenten und des Premierministers Polens zu analysieren. Diese Sprache enthält Schlüsselwörter und nutzt Verfahren, die polarisieren, diskreditieren und ausgrenzen. Die Ironie besteht darin, daß die manichäischen Redefiguren, Feindbilder und Insinuationen der Kaczyńskis in der Tradition des kommunistischen Denkens stehen, das zu überwinden die Politiker beanspruchen. Mehr noch: die Metaphern und Techniken der Sprache der Kaczyńskis stammen aus dem klassischen Arsenal der manipulativen Rhetorik, das bereits Adorno in seinen Studien zum autoritären Charakter offengelegt hat.

(Osteuropa 11-12/2006, S. 53–68)

Volltext

Am Abend des 26. September 2006 schockierte der polnische Fernsehsender TVN die Öffentlichkeit mit geheimen Videoaufnahmen. Sie zeigten zwei Staatssekretäre der national-konservativen Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) bei dem Versuch, die Sejm-Abgeordnete Renate Beger von der linkspopulistischen Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) mit lukrativen Postenangeboten abzuwerben. Dieser Vorgang war insofern besonders pikant, als sich die Partei des Premierministers Jarosław Kaczyński und seines Zwillingsbruders Lech Kaczyński, des polnischen Staatspräsidenten, seit Jahren als diejenige politische Kraft im Lande geriert hatte, welche Staat und Gesellschaft endlich von Korruption und Filz der postkommunistischen „Dritten Republik“ säubern und eine moralisch genesene „Vierte Republik“ (IV Rzeczpospolita, kurz IV RP) schaffen werde. Nach ihrer Interpretation fand die PiS-Führung bei ihrem Regierungsantritt im Herbst 2005 eine Dritte Republik vor, die lediglich der Fassade nach eine Demokratie war. Hinter dieser Fassade habe ein Kartell, ein informelles Beziehungsnetz (układ) postkommunistischer Eliten und marktliberaler Neureicher seit dem Zusammenbruch des Kommunismus eine von Korruption geprägte Privatisierung betrieben, sich auf Kosten der kleinen Leute bereichert und in den Schlüsselpositionen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenistet. Infolgedessen sei der Staat in den letzten Jahren zu einem „postkommunistischen Monstrum“ verkommen. Die Enttarnung und Entmachtung des „Kartells“, Dekommunisierung, Elitenwechsel, „moralische Revolution“, Reparatur (naprawa) und Gesundung (sanacja) des Staates – dies sind in den Augen der PiS-Führung die unabdingbaren Voraussetzungen für die Schaffung einer an Haupt und Gliedern erneuerten „Vierten Republik“. Die Rhetorik der Kaczyńskis: Spiegel autoritärer Tendenzen? In der Kritik der regierenden Rechten am Zustand der Dritten Republik wittern Skeptiker einen „Angriff auf die Fundamente der freiheitlichen Demokratie in Polen“. In der Tat lassen sich aus dem politischen Programm der Kaczyńskis, an dessen Umsetzung sie seit ihrem Machtantritt arbeiten, durchaus autoritäre Tendenzen herauslesen. Ein „starker Staat“ mit einer straff hierarchisierten und politisierten Verwaltung; ein ausgedehnter Repressionsapparat und polizeiliche Sonderheiten zur Korruptionsbekämpfung, die der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind; Sonderkommissionen mit nahezu unbegrenzten Ermittlungsbefugnissen; staatliche Kontrolle der Medien; die Besetzung des Verfassungsgerichts mit politisch genehmen Richtern – all dies kann man mit einiger Berechtigung als schleichende Entwicklung zu einer Herrschaftsordnung deuten, die durch eine „Schwäche wirkungsvoller institutioneller Sicherungen und Gegenkräfte gegen die Exekutive“ sowie durch einen „stark eingeschränkten Pluralismus in der Politik“ gekennzeichnet ist. Läßt die Sprache der Kaczyńskis Rückschlüsse darauf zu, wie ernst diese Gefahr zu nehmen ist? Mit anderen Worten, ist die Rhetorik der PiS-Führung ein Spiegel autoritärer Tendenzen? Wenn wir davon ausgehen, daß der Autoritarismus sich durch Denk- und Verhaltensmuster auszeichnet, die sich gegen Liberalismus, Pluralismus und Individualismus richten, so haben wir die Sprache der Kaczyński-Zwillinge nach Indizien für solche antiliberalen, antipluralistischen und antiindividualistischen Denkschemata zu untersuchen. Um es vorwegzunehmen: Die politische Rhetorik der Kaczyńskis zeugt von einer Weltsicht, in der demokratische Werte und Spielregeln wie Meinungspluralismus, politischer Interessenausgleich durch konstruktiven Dialog und Toleranz gegenüber Einstellungen und Verhaltensweisen, die von der Norm abweichen, keinen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Die politische Rhetorik beruht auf Schlüsselwörtern und Kommunikationsstrategien, die darauf abzielen, den politischen Gegner auszugrenzen, zu diskreditieren, ja zu dämonisieren. Teilweise greifen die Kaczyńskis dabei auf Mittel zurück, die an die manipulative Rhetorik in autoritären Regimen erinnert. Drei wichtige Elemente einer solchen Rhetorik sind die dichotome Aufteilung der Welt in „wir“ („die Guten“) und „sie“ („die Bösen“), die Schaffung von Feindbildern und die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Schwarz-Weiß-Malerei und Schaffung von Feindbildern Die Rhetorik der Kaczyńskis spiegelt ein Weltbild, in dem es nur Schwarz und Weiß gibt, das „keine Nuancen und keine Komplikationen zuläßt“. Die holzschnittartige Reduktion einer komplexen Wirklichkeit auf ein Freund-Feind-Schema kommt dem Bedürfnis des einfachen Wählers entgegen, eine zunehmend fragmentierte und individualisierte Welt gedanklich zu ordnen, die Schaffung von Feindbildern wirkt gemeinschafts- und sinnstiftend. Solidarisches Polen vs. postkommunistisch-liberales Polen Das Freund-Feind-Denken der Kaczyńskis findet seine Ausprägung in ihrer Antithese eines „solidarischen“ (Polska solidarna) und des „liberalen“ Polen (Polska liberalna). Im Parlaments- und Präsidentschaftswahlkampf 2005 diente diese Antithese der PiS-Führung dazu, sich als Vorkämpfer eines sozial gerechten, „solidarischen Polen“ zu stilisieren, während sie den Hauptkonkurrenten, die liberal-konservative Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, PO), als Vertreterin eines „liberalen Polen“ egoistischer Wirtschaftsinteressen darstellte. Nachdem die Sondierungsverhandlungen zur Bildung einer Regierungskoalition zwischen PiS und PO Ende Oktober 2005 gescheitert waren, verschärfte sich der Ton zwischen den politischen Gegnern. Die Kaczyńskis, der Notwendigkeit enthoben, der auf den möglichen Regierungspartner Rücksicht zu nehmen, starteten nun weitaus hemmungslosere rhetorische Attacken gegen die Liberalen. Seither werden sie nicht müde, die Platforma Obywatelska als Verteidigerin der Interessen des postkommunistischen Interessennetzwerks (układ) zu diskreditieren: Eigentlich planten wir, die Vierte Republik mit der Platforma Obywatelska zu errichten. Aber selbst wenn deren Führer dieses Ziel ernstnahmen, so übten sie auf dem Schlachtfeld Verrat. Die Platforma […] verteidigt das Interessenkartell (układ interesów), das in Polen seit einigen Jahren herrscht. Damit ist die PO im ideologischen Koordinatensystem der Kaczyńskis zumindest vorläufig in die Reihen des politischen Hauptfeindes eingeordnet, den die beiden Brüder bevorzugt als układ (Plural układy) bezeichnen. Die Frontlinie verläuft nach Darstellung der PiS-Führung klar zwischen dem „solidarischen“ PiS-Polen und dem „postkommunistisch-liberalen Lager“. „Lumpenliberale“ In einer Rede vor dem polnischen Sejm am 14. März 2006 machte Jarosław Kaczyński den „Liberalismus“ mitverantwortlich für den Machterhalt des „alten Systems“, der „Postkommunisten“ nach 1989: Es gab ein mächtiges Kartell (układ) der kommunistischen Nomenklatura und der damit verbundenen Privilegien der verschiedensten Art, darunter in riesigem Umfang ökonomische Privilegien […] Es gab auch […] ein immenses Maß an […] krimineller Pathologie, […] verbunden mit Korruption, mit der Struktur des Staatsapparats, mit dessen Kriminalisierung, mit der Situation in den Geheimdiensten. Und damit […] muß eine starke Macht kämpfen. Warum hat das Solidarność-Lager diese Macht nicht errichtet? […] Einer der wesentlichen Gründe war, daß die postkommunistischen Kräfte und […] ein Teil der Kräfte, die aus dem Solidarność-Lager hervorgegangen waren, sich schnell auf einer Ebene trafen, auf der es sich kooperieren ließ. Und diese Ebene war eine spezifische Spielart des Liberalismus. Diese Ebene war der Lumpenliberalismus (lumpenliberalizm). Mit dem Ausdruck lumpenliberalizm (oder auch lumpenliberałowie, „Lumpenliberale“) nutzt der PiS-Vorsitzende bewußt die Assoziation des marxistischen Lumpenproletariats (lumpenproletariat), um die Anhänger des Liberalismus zu diskreditieren. Das Wort „Liberale“ erhält die Konnotation einer degenerierten gesellschaftlichen Schicht. Kaczyński suggeriert, daß die postkommunistisch-liberalen Eliten ebenso unproduktive, schmarotzende Mitglieder der Gesellschaft seien wie die marxistischen „Lumpenproletarier“. Dabei stellt er die Dinge jedoch insofern auf den Kopf, als Marx und Engels mit Lumpenproleriat eine unter dem Proletariat stehende Gesellschaftsschicht ohne Klassenbewußtsein bezeichneten, während Kaczyński unter lumpenliberałowie im Gegenteil die oberste Schicht, die Geld- und Bildungseliten, versteht, vaterlandslose Gesellen, denen es an nationalem Bewußtsein mangele. Die Bezeichnung lumpenliberałowie gewinnt zudem dadurch einen negativen Beigeschmack, daß es sich um ein deutsches Lehnwort handelt. Für die Kaczyńskis umfaßt der „Liberalismus“ (bzw. das, was sie darunter verstehen) zwei Komponenten: zum einen eine ökonomische und zum anderen eine moralische. Nach ihrer Definition beschreibt das Wort sowohl einen unsozialen, korrupten, geld- und machthungrigen Kapitalismus als auch moralische Freizügigkeit, sexuelle Permissivität und Werterelativismus, wie die Fortsetzung des obigen Zitates zeigt: [Der Lumpenliberalismus] erlaubte es zum einen, auf mißbräuchliche Art und Weise eine kapitalistische Wirtschaft zu errichten, und zum anderen, mit der ernsthaftesten Miene zu behaupten, daß die Freiheit in Sexshops liege, ja daß Freiheit hauptsächlich in diesem Milieu angesiedelt sei … So tragen nach Auffassung der Kaczyński-Zwillinge „die Lumpenliberalen“, die sie vor allem auch im Umfeld der PO sehen, dazu bei, die sittlichen Grundlagen der polnischen Gesellschaft und den Katholizismus des polnischen Volks zu untergraben. Das Wesen des Lumpenliberalizm besteht für den PiS-Vorsitzenden darin, verschiedene Mißbräuche zu rechtfertigen. Dieses Wesen gibt am besten und kürzesten die Formel wieder: Die erste Million muß man stehlen. Diese Ideologie bezog sich [in den 1990er Jahren – A.H.] auch auf eine spezifisch verstandene Sphäre der Freiheit insbesondere in Fragen der Moral. Diese Tradition, die eine Art Antikultur bildete, war die mächtigste ideelle Botschaft jener Zeit, was auf das polnische gesellschaftliche Leben eine verheerende Wirkung hatte. Das Milieu, das heute die PO bildet, hat – vielleicht nicht direkt, aber doch durch seinen öffentlich präsentierten Lebensstil – sehr zur Verbreitung dieser Ideologie beigetragen. Dies ist ein klassisches Beispiel, wie ein wertfreier Begriff der politischen Ideengeschichte – Liberalismus – zu einem negativ besetzten Kampfbegriff umgedeutet wird. „Falsche Eliten“ vs. „einfaches Volk“ Die „schlechten“ Liberalen sind in den Augen der PiS-Führung Teil einer Elite, die sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ihre Beziehungen und Privilegien für ihre eigenen Zwecke und zum Schaden des Gemeinwesens zunutze gemacht habe. Im Februar 2006 gebrauchte Jarosław Kaczyński in einer Rede vor dem Sejm für diese Transformationselite der Dritten Republik die Bezeichnung łże-elita (falsche, Pseudo-, Scheinelite). Seither wird dieser Ausdruck, ebenso wie der Plural łże-elity, von den Vertretern der PiS regelmäßig dazu benutzt, um ihre Gegner zu diskreditieren. Nach Auffassung der Kaczyńskis ist mit ihrem Machtantritt die Zeit gekommen, die Herrschaft dieser „falschen“ Geld- und Bildungseliten durch die Herrschaft der „richtigen“ abzulösen, durch die Eliten des „wahren“, patriotischen und gläubigen Polen, der „Vierten Republik“. Daß sich diese aus den eigenen Reihen rekrutieren, versteht sich von selbst. Dieselbe Verachtung für PiS-kritische Eliten kommt in wykształciuchy „Intelligenzler“ zum Ausdruck, einer pejorativen Form des Wortes wykształceni, gebildete Menschen (zu (wy)kształcić, ausbilden). In die innenpolitische Polemik eingeführt durch Innenminister Ludwik Dorn, geistert der Ausdruck durch die Medien und wird von der PiS-Spitze gebraucht, um ein formales Expertentum zu bezeichnen, für Vertreter der Bildungseliten, die auf Menschen ohne Hochschulbildung herabschauten, selbst aber kein Verständnis für das Konzept der Vierten Republik mitbrächten. Der PO als Repräsentant der „Scheineliten“ und Oligarchen stellen die Kaczyńskis die PiS als eine Partei gegenüber, die dafür kämpfe, daß „der polnische Staat ein Staat der Polen werde, ein Staat der polnischen Bürger, der einfachen Polen“. Bei Wahlveranstaltungen bedienen sich die Kaczyńskis mit Vorliebe einer propagandistischen Technik, die Theodor W. Adorno bei seiner Analyse der Sprache faschistischer Agitatoren als „Einfache-Leute-Trick“ bezeichnet: Sie schmeicheln dem kleinen Mann, indem sie sich leutselig und bescheiden geben und das Bild „vom einfachen, unverbildeten Mann mit gesundem Menschenverstand“ pflegen. Indem sie die Tugenden des „kleinen Mannes“, etwa Genügsamkeit, Ehrlichkeit, Anstand und Festigkeit im Glauben preisen, wecken sie Nähe, Wärme und Vertrautheit, was sich auch in der PiS-Parole „Näher am Volk“ (Bliżej ludzi) spiegelt. Ein Beispiel ist die Ansprache des Premiers bei einer PiS-Kundgebung in der Danziger Werft am 1. Oktober 2006. Das war eine für die PiS-Spitze kritische Situation, denn kurz zuvor war der Versuch, die Sejm-Abgeordnete Beger zu bestechen, bekanntgeworden: In dieser schwierigen Situation […] bedarf es einiger Worte. Hier […] müssen wir Kraft schöpfen, müssen wir Glauben schöpfen, denn der Glaube ist unsere einzige Kraft. Denn wir haben ja kein großes Geld in unserem Rücken, wir haben keine großen Fernsehsender, keine mächtigen Institutionen. Wir haben allein den Glauben und die Überzeugung, daß wir für die richtige Sache streiten. Wenngleich die „Einfache-Leute“-Rhetorik nicht zwangsläufig auf eine autoritäre Tendenz des Redners schließen läßt, so ist eine solche Tendenz nach Adorno doch in ihr angelegt, denn: Wann immer sich eine Gruppe unter dem Slogan versammelt, „nur schlichtes Volk“ zu sein […] ist sie bereit, über jene herzufallen, gegen die ihre Aggression gelenkt wird. Adorno weist zudem darauf hin, daß sich unter der „Tünche demokratischer Gleichheit, hinter Leutseligkeit und Bescheidenheit […] eine Antiintellektuellenhaltung“ verberge. Einem solchen Image versucht Jarosław Kaczyński entgegenzuwirken. So erklärte er auf dem Parteitag im Juni 2006, die PiS sei tief mit der „intellektuellen Tradition Polens“ verbunden. Er bot an, an einem „republikanischen“, auf Werten basierenden Polen mitzuarbeiten, in dem die Intellektuellen – anders als in der liberalen, individualistischen Gesellschaft des Postkommunismus – ihre gesellschaftliche Rolle wahren könne. Kampf zwischen Gut und Böse – Parallelen zur kommunistischen Propanda Die Auseinandersetzung zwischen ihrem eigenen Lager und dem politischen Gegner ist für die Kaczyńskis mehr als ein politischer Richtungsstreit. In ihren Augen spielt sich vielmehr in Polen ein moralischer Kampf, ein Kampf zwischen den Mächten des Guten und jenen des Bösen ab. In ihrem manichäischen Weltbild gibt es keine Versöhnung zwischen den Fronten, sondern nur einen Sieg der einen oder der anderen Seite, wobei Jarosław Kaczyński keinen Zweifel aufkommen läßt, daß die richtige am Ende siegreich dastehen werde: „Ich bin überzeugt, daß Polen nicht auf den alten Weg zurückkehren wird, sondern daß wir siegen.“ In diesem Kampf geht es nicht darum, welche Seite die richtigen Argumente hat, wer sachlich richtig liegt. Vielmehr genügt es, gegen die PiS und ihre Politik zu sein, um von den Kaczyńskis zum Feind erklärt zu werden. Dabei setzt die PiS ihre Interessen mit denen Polens bzw. des polnischen Volkes gleich. Nach ihrer Darstellung dient das, was für die Partei und ihre Regierung gut sei, auch dem Wohle Polens. Umgekehrt unterstellen sie allen, die die Ziele und Methoden der PiS kritisieren, daß sie Polen schaden wollten. Bezeichnend ist die Aussage von Jarosław Kaczyński vom Februar 2006. Im Zusammenhang mit den Plänen der PiS, eine Kommission für Recht und Gerechtigkeit (Komisja Prawdy i Sprawiedliwości) einzurichten, um die großen Skandale der Dritten Republik zu untersuchen, wandte er sich an die Opposition: Wer dagegen stimmt, wird sich damit ganz offen dazu bekennen, daß ihm nicht an der Aufdeckung der Wahrheit liegt, daß er also auf irgendeine Weise in dieses Netzwerk (układ) verstrickt ist, das in Polen existiert. Kritische Beobachter des politischen Geschehens sehen in dem manichäischen Weltbild der Kaczyńskis, indem sie einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen „wir“ und „die anderen“ (my – oni) schaffen, bedenkliche Parallelen zur offiziellen Propaganda in der Volksrepublik. In der Danziger Werft, wo 1980 die Solidarność-Bewegung ihren Anfang genommen hatte, scheute der PiS-Vorsitzende nicht davor zurück, all diejenigen, die sich nicht mit seiner Partei solidarisch zeigten, mit Exponenten des alten Regimes gleichzusetzen. In Anspielung auf das gewaltsame Vorgehen der kommunistischen Staatsmacht gegen streikende Arbeiter nach der Verhängung des Kriegsrechts erklärte er: Ich, sehr geehrte Damen und Herren, habe hier an diesem Orte einige Wochen verbracht […] und ich erinnere mich daran, wer damals auf welcher Seite war. Wir stehen hier, wo wir auch damals standen. Sie stehen dort, wo die ZOMO [bewaffnete Eliteeinheiten der Polizei, A.H.] stand. Auch die Wortwahl der PiS-Führer erinnert in vieler Hinsicht an die der kommunistischen Machthaber, die all diejenigen, welche die Partei nicht unterstützten, als „Volksfeinde“ und „Schädlinge“ brandmarkten und ihnen vorwarfen, sie „störten“ und „sabotierten“ den Aufbau des Sozialismus. Ganz ähnlich wiederholen die Kaczyńskis wie ein Mantra, daß dem postkommunistisch-liberalen „Kartell“ (układ) daran gelegen sei, die „moralische Revolution“ und die „Reparatur“ des Staates, an der die PiS arbeite, zu behindern und damit Polen einen immensen Schaden (szkodzenie) zuzufügen. Ein Werbespot, der Leute der PiS dabei zeigt, wie sie „Polens Haus renovieren“ und von allen Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger und Konkurrenten reinigen, endet mit den Worten „Bitte nicht stören“ (Prosimy nie przeszkadzać). Der Literaturhistoriker Michał Głowiński stellt hierzu fest: Hinter diesem scheinbar sanften Hinweis verbirgt sich ein ganzes ideologisches System, das nicht viel mit einer demokratischen Vision der Welt zu tun hat. Der, der die Aktionen nicht als gut und die einzig richtigen betrachtet, der sich nicht für die lancierte Richtung des Wandels ausspricht, ist kein Gegner, mit dem man sich streiten und diskutieren kann. Er ist seinem Wesen nach ein Schädling, und als Schädling ein Feind. Das Wort „przeszkadzać“ bezieht sich im Grunde auf alle Ideen und Handlungen der Opposition. […] es ist schlicht und ergreifend ein Zitat aus der Propaganda der PRL. […] Wir bauen hier eine neue, herrliche Welt […] und „sie“, die anderen, stören uns dabei […]! Die Auseinandersetzung zwischen dem eigenen und dem gegnerischen Lager wird von Jarosław Kaczyński gar zu einem Kampf auf Leben und Tod stilisiert. In einem Interview im Herbst 2006 erklärte er, man werde bald sehen, wer das Wohl Polens will und wer dieses alte System verteidigen wird. Der, der es verteidigen wird, ist ein Todfeind (wróg śmiertelny) Polens, daran kann kein Zweifel bestehen. Sprache des Kampfes, Sprache der Aggression Überhaupt spielt die Metaphorik des Kampfes bzw. des Krieges eine zentrale Rolle in der Rhetorik der Kaczyńskis. In unzähligen Variationen findet man in ihren Reden und Interviews eine Interpretation der inneren Situation Polens nach dem Schema: Der Feind fühlt sich durch unsere Politik in die Enge getrieben, daher attackiert er uns noch heftiger als zuvor; aber wir werden nicht zulassen, daß er Polen schadet, wir werden uns verteidigen und zum Gegenangriff übergehen. So bezeichnete Jarosław Kaczyński z.B. die Tatsache, daß ein Video von den Abwerbungsgesprächen mit der Abgeordneten Beger hergestellt und veröffentlicht worden war, nicht nur als „Provokation“ (prowokacja), sondern auch als „Konterattacke“ (kontratak) der Vertreter des alten Systems, die ihre im Schwinden begriffene Macht wiederherstellen wollten. In einem Interview mit der Tageszeitung Rzeczpospolita drohte er an, seine Regierung werde „im Namen der Verteidigung der elementaren Interessen Polens“ zum Gegenangriff übergehen (kontratakować). Im Bilde blieb der PiS-Vorsitzende auch, als er im Sejm Vertreter der Jurisdiktion als „Verteidigungsfront der Verbrecher“ (front obrony przestępców) brandmarkte. Kritiker und Gegner sehen sich von den Kaczyńskis in einer teilweise recht aggressiven, drastischen Sprache beschimpft und diffamiert: Die Skala der Epitheta reicht von „Halunke“ (łobuz) über „Heuchler“ (hipokryta) bis hin zu „Schädling“ (szkodnik), die Liste der Vorwürfe von „Unterstellung“ (insynuacja) über „Lüge“ (kłamstwo) und „Verrat“ (zdrada) bis hin zum „Verbrechen“ (zbrodnia) an der Demokratie. Angriffe ad personam ersetzen somit sachliche Argumente. Układ – Instrumentalisierung eines Phantoms Der Verbalradikalismus der Kaczyńskis ist kein Zufall, denn die Botschaft, die die PiS-Führung an die Gesellschaft sendet, lautet: Wer den Feind besiegen will, muß radikal, kompromiß- und rücksichtslos vorgehen. Es geht darum, das Wahlvolk propagandistisch auf die angekündigte „moralische Revolution“ und die „Reparatur des Staates“ vorzubereiten und die damit verbundenen Schritte – Lustration, personelle Umbesetzungen, Installierung von PiS-Kadern auf wichtigen Posten, verstärkte staatliche Kontrolle etc. – zu rechtfertigen. Diese Rechnung geht um so besser auf, je gefährlicher und unberechenbarer der Feind erscheint. Die Kaczyńskis haben zu diesem Zweck das Bild eines verdächtigen, die Grundlagen von Staat und Gemeinwesen untergrabenden „Kartells“ (układ) kreiert, das sie mit einem an Obsession grenzenden Eifer kolportieren. Das Schlüsselwort układ fehlt praktisch in keinem Interview und keiner Rede. Der Ausdruck układ (von układać, [an]ordnen, zusammenstellen) deckt ein breites semantisches Feld ab: Es kann sowohl „System“ wie auch „Übereinkunft“ bedeuten, aber auch ein informelles Beziehungsgeflecht, ein Netzwerk von Seilschaften, Filz und Klüngel bezeichnen. Die Kaczyński-Brüder bezeichnen damit zumeist ein von ihnen postuliertes postkommunistisch-liberales Syndikat bzw. Schattenregime. Da der układ nach ihrer Interpretation jedoch das gesamte polnische Gemeinwesen umfaßt, findet man in ihren Aussagen auch verschiedenartige „Unterkartelle“, Cliquen und kriminelle Strukturen. In synonymer oder ähnlicher Bedeutung verwenden sie szara sieć (graues Netz), czworokąt (Viereck) zur Bezeichnung eines Syndikats, das Teile von Politik, Business, Geheimdiensten und organisiertem Verbrechen umfaßt, und UBekistan für den angeblichen Schattenstaat, den der ehemalige kommunistische Geheimdienst UB (Urząd Bezpieczeństwa) errichtet habe. Vage wie er ist, eignet sich der Begriff układ dazu, Ängste zu schüren und gleichzeitig die PiS als die gradlinig agierende Schutzmacht zu verkaufen, die das „solidarische“ Polen vor den dunklen Machenschaften dieser Kräfte schütze. Der układ dient als „Meta-Feindbild“, das sich je nach politischer Konjunktur auf verschiedene Gegner (Liberale, Transformationsgewinner, Postkommunisten, Medien, die Nationalbank usw.) anwenden bzw. ausdehnen läßt. All das erinnert unwillkürlich an Carl Schmitts „Begriff des Politischen“, wonach die kategorische Unterscheidung von Freund und Feind Grundlage jedes politischen Handelns sei. Der öffentliche Feind ist nach Schmitt derjenige, der per autoritativer Setzung als Feind bestimmt wird. Ordnung wird bei Schmitt durch den Souverän hergestellt, der u.U. zu ihrer Sicherung einen Gegner zum Feind erklären kann, den es zu bekämpfen oder gar zu vernichten gilt. Sicherlich nicht zufällig haben die Kaczyńskis zur Bezeichnung des Hauptfeindes ihrer Partei und ihres Landes ein Wort gewählt, das die Assoziation des künstlich Geschaffenen hervorruft: das „System“. Dieses „System“ bildet einen negativen, technizistischen Gegenpol gegen die romantisch-organizistische Vorstellung eines „polnischen Volkes“ als einer historisch gewachsenen, geistig-kulturellen Gemeinschaft, eines polnischen Staates, der eine organische Einheit seiner Bürger verkörpert. Diese organizistische Staatsauffassung spiegelt sich auch in dem von den Brüdern gerne verwendeten Bild eines tödlich erkrankten („pathologisierten“) Staates, der durch sanacja („Gesundung“) geheilt werden müsse. Andeutungstechnik Die Kaczyńkis bedienen sich in Interviews gerne der Taktik, die Existenz einer Verschwörung und deren mögliche Teilnehmer anzudeuten, jedoch nichts Genaueres darüber zu sagen. Die Methode der Andeutung und Unterstellungen wenden sie vor allem immer dann an, wenn sie sich in die Defensive gedrängt fühlen. So machte Jarosław Kaczyński als Drahtzieher der Bestechungsaffäre im Herbst 2006 sofort die Vertreter des alten Systems („UBekistan“) aus. Auf die Bitten, seinen Verdacht zu konkretisieren, reagierte der PiS-Vorsitzende mit vagen Andeutungen einer Verbindung zwischen PO und „UBekistan“: Aber ich weiß nicht, was für Beziehungen zwischen der Platforma und der Welt des „UBekistan“ es gibt. Und da ich es nicht weiß, werde ich dazu auch nichts sagen. Vizepremier und Innenminister Ludwik Dorn übernahm die – durch keine Fakten gestützte – Interpretation seines Chefs und vermutete zwar keine „zentral koordinierte Verschwörung“, so doch „das Bestehen eines gewissen Übereinkommens“ zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen, „denn der układ fühlte sich bedroht“. Bezeichnend war sein Zusatz: „… viele unserer Gegner – wobei ich hier nicht auf Einzelpersonen, sondern nur auf etwas verweise, was man enigmatisch [sic!] układ nennen kann – fühlt eine Bedrohung politischer, vor allem aber strafrechtlicher Natur“. Diese Technik des „Ich weiß es, aber ich sage es nicht“ kann man als bewußt eingesetzte PR-Strategie deuten, die es Jarosław Kaczyński erlaubt, sich als allwissenden Führer und rettende Lichtgestalt zu stilisieren, die allein all die dunklen Mächte und Machenschaften kenne und zu gegebener Zeit zum Wohle der Gesellschaft gegen sie vorgehen werde. Die skizzierte kommunikative Technik entspricht ziemlich genau einem der rhetorischen Tricks, die Theodor W. Adorno als Teil einer „Terrorstrategie“ in der Rede autoritärer Demagogen identifiziert: „die Suggestion geheimnisvoller Gefahren, die nur der Redner kennt“. Die psychologische Wirkung dieser „Andeutungstechnik“ liegt auf der Hand: Der Reiz der Andeutung wächst mit ihrer Vagheit; sie […] regt zu Spekulationen aller Art an, die noch gesteigert werden, weil die Massen […] gern wissen möchten, was hinter der Bühne vorgeht. Zudem sind sie geneigt, die anonymen Prozesse, denen sie unterworfen sind, in personalistische Begriffe von Verschwörungen, Komplotts böser Mächte, geheime internationale Organisationen und dergleichen umzusetzen. […] Diese Disposition hilft, die Andeutungstechnik zu etwas durchaus nicht Harmlosem zu machen. Ihr gefährlicher Aspekt besteht vor allem in einem irrationalen Anwachsen von Prestige und Autorität des Redners. […] Er weiß, was die anderen nicht wissen, und diesen Unterschied betont er, indem er niemals präzise sagt, was er noch wieviel er weiß. Stets reserviert er für sich einen Überschuß an Kenntnis, der Ehrfurcht einflößt und dazu im Publikum den Wunsch weckt, daran teilzuhaben. Verwaltung von Ängsten, Administration durch Krisen Teil derselben Strategie der Kaczyńskis ist es, die gegenwärtige innere Lage Polens als krisenhaft darzustellen und die PiS als diejenige Kraft zu stilisieren, die als einzige das Land aus dieser Krise herausholen könne. Auch diese „Verwaltung von Ängsten und Administration durch Krisen“ ist auch aus der Praxis autoritärer Regime bekannt. Ein Musterbeispiel ist Jarosław Kaczyńskis Rede im Sejm am 17. Februar 2006, als er eine Bilanz der ersten 100 Tage der PiS-Regierung (damals noch mit Kazimierz Marcinkiewicz als Premier) zog. Praktisch alle Bereiche des Gemeinwesens, angefangen vom Staatsapparat über Parteien, Wirtschaft, Schulen und Gerichte bis zu den Medien, seien vom układ unterwandert bzw. Teil desselben: In offensichtlicher Weise ist unser Staat […] so in lobbyistische Kartelle und in bereits krankhafte, ja schlichtweg kriminelle układy verstrickt, daß von einer Ausübung der Aufgaben im Rahmen dessen, was ich hier als guten Staat definieren würde, einfach keine Rede sein kann. […] Ich wiederhole, unser Staat zeigt schwere Krankheitserscheinungen und ist zutiefst verstrickt in ungute Beziehungsnetze, […] er ist im Grunde ein Instrument verschiedener privilegierter Gruppen. […] Diese Situation zu ändern, betrachtet Recht und Gerechtigkeit als ihre vornehmlichste Aufgabe, als ihre Sendung. Das Versprechen, Korruption und Geheimdienst-Seilschaften ein für allemal ein Ende zu bereiten und eine von all diesen krankhaften Erscheinungen gereinigte Vierte Republik zu schaffen, dient der PiS-Führung als Feigenblatt für eine in Wirklichkeit auf den Machterhalt abzielende, opportunistische Politik und für zweifelhafte Personalentscheidungen. Der Zweck – der Aufbau der Vierten Republik – heiligt für die Kaczyńskis alle Mittel. So rechtfertigte Jarosław Kaczyński die Bildung einer Koalition mit den radikalen Parteien Samoobrona und LPR (Liga Polskich Rodzin – Liga Polnischer Familien) im Frühjahr 2006 mit den Worten: Unsere Pflicht war es, die Chance zu ergreifen, selbst wenn sich deswegen ein Sturm gegen uns erheben würde […]. Wir durften es nicht dazu kommen lassen, daß das oligarchische Polen ewig andauern würde […] Wenn jemand sich die Aufrechterhaltung der alten Seilschaften wünscht, so will er, daß wir die Entscheidung zur Kapitulation treffen. […] Es geht […] um Änderungen, die für Polen unabdingbar sind, um eine neue Gestalt des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens. Wenn es dieser Regierung gelingt, diese Änderungen durchzuführen, ist jeder Preis dafür recht. Umgekehrt dient der Mythos des układ den Kaczyńskis als Entschuldigung für mangelnde politische Erfolge: Hat ihre Regierung trotz aller bereits erzielten Erfolge und Bemühungen das Ziel der „moralischen Revolution“ und der Schaffung der Vierten Republik noch nicht erreicht, so ist dies nach der Logik der PiS-Spitze den Machenschaften des postkommunistischen „Kartells“ zuzuschreiben. Fazit Die politische Sprache der Kaczyńskis ist eine Sprache des Kampfes, nicht des Kompromisses oder des Dialogs. Sie beruht auf klaren Feindbildern, schafft und verhärtet Fronten zwischen scheinbar unversöhnlichen Lagern: zwischen den „guten“ PiS-Anhängern, den Vertretern des „solidarischen Polen“, den „einfachen Leuten“, die für eine geistig-moralisch erneuerte „Vierte Republik“ eintreten, auf der einen Seite, und all denen, welche die Schwarz-Weiß-Sicht der Kaczyńskis nicht teilen mögen und sich damit automatisch als Teil des „postkommunistisch-liberalen Kartells“ verdächtig machen („die anderen“/„das System“/„die falschen Eliten“/„die Lumpenliberalen“), auf der anderen. Statt auf die Überzeugungskraft des Arguments setzen die Brüder auf verbale Attacken gegen ihre Kritiker und auf Drohungen, den politischen Gegner politisch und moralisch zu vernichten. In ihrer Rhetorik manifestiert sich ein Weltbild, in dem es keinen Platz für die Vorstellung gibt, daß Demokratie von der Konkurrenz der Interessengruppen lebt. Vielmehr empfinden die Kaczyńskis Differenz als etwas Unnatürliches, Heterogenität als etwas Krankhaftes, das es nicht zu integrieren, sondern auszugrenzen oder sogar zu beseitigen gilt. Ihre öffentlichen Aussagen sind Spiegel ihrer antiliberalen, antiindividualistischen und antipluralistischen Grundhaltung. Nicht wenige Kritiker der PiS sehen in Polen schleichend einen autoritären Regierungsstil einziehen. Die Analyse der politischen Rhetorik der Kaczyński-Brüder zeigt, daß diese Bedenken nicht unberechtigt sind. Die Kaczyńskis greifen tief in die propagandistische Schatzkiste des Autoritarismus. Sie arbeiten mit einer Freund-Feind-Dichotomie, propagieren die manichäische Teilung der Welt in die Mächte des „Guten“ und des „Bösen“; sie diffamieren den politischen Gegner als Feind, der im Untergrund gegen das Aufbauwerk der „Guten“ intrigiert; sie kreieren den Mythos einer allgegenwärtigen, mythischen Verschwörung und einer lebensgefährlichen Bedrohung von Staat und Nation, um beim Wähler Ängste zu wecken und sich selber als Retter aus der Not zu gerieren. Weitere, wenn auch nicht so deutlich ausgeprägte Indizien sind ein latenter Antiintellektualismus, verbunden mit dem Lobpreis auf das „einfache Volk“, und eine Metaphorik, die eine organizistische Auffassung von Staat und Nation widerspiegelt: Reden von einem „todkranken“ Gemeinwesen, das es zu „heilen“ gelte, sind bekannte Versatzstücke der Sprache autoritärer Politiker, ebenso wie die Verteufelung eines anonymen „Systems“, dessen Macht der einzelne hilflos ausgeliefert sei. Insofern trifft der Publizist Jacek Żakowski mit seinem Urteil ins Schwarze: Ich behaupte nicht, daß Jarosław Kaczyński die polnische Demokratie vernichten will. Aber ich gebe mich auch keinen Illusionen hin, daß er dadurch, daß er ein manichäisches Bild der polnischen Wirklichkeit erschafft, die Demokratie de facto zerstört. Wer im Besitz der Macht denkt, daß seine Kritiker und Gegner im schwarz-weißen politischen Kampf alles Verbrecher und Betrüger ihre Söldner oder Dummköpfe sind, der hat allen Grund, zum Wohle der Allgemeinheit die Demokratie faktisch aufzuheben. Und wer öffentlich ein solches Bild der Realität zeichnet, rechtfertigt im Grunde die Notwendigkeit einer (zumindest vorübergehenden) Politik der starken Hand oder sogar der Abkehr von der Demokratie […]. Auf diese düsteren Aussichten reagiert der liberale Teil der polnischen Gesellschaft mit einer Mischung aus Resignation und Sarkasmus. Als ideales Medium, um seinem Unmut über den „Kaczysmus“ (kaczyzm, kaczoryzm) freien Lauf zu lassen, hat sich das Internet erwiesen. Kaczyzm – das ist für die zumeist jungen kritischen internauci der Inbegriff eines moralinsauren, intoleranten Konservativismus und einer obsessiven Dekommunisierung und Lustration. Seit dem Wahlkampf 2005 sind unzählige Websites aus dem Boden geschossen, auf denen Internetbenutzer in mehr oder weniger ernsthafter Weise, in Form von Witzen, Karikaturen und Sprachspielen die Kaczyńskis ins Visier nehmen und die Parolen und Etikettierungen, mit denen die PiS ihre Gegner versieht, ad absurdum führen. In einer solchen „Sprache der Lockerheit“ (język luzu), einer ironisierenden, spielerischen Sprache, die groteske Ideologien entlarvt, sieht der Sprachwissenschaftler Jerzy Bralczyk ein wirksames Gegenmittel gegen das Gift der Rhetorik der Regierung Kaczyński: Damit wir erneut beginnen können, frei zu denken, frei zu reden, ist es zuerst nötig, eine tiefe Dekonstruktion der Mehrzahl der Schlüsselphrasen der gegenwärtig triumphierenden national-katholischen und populistischen Sprache zu vollziehen, all diese „IV. Republiken“, „moralischen Reparaturen des Staates“, des „solidarischen Polen“ zu entschärfen. Die Vorbilder sieht er bei Schriftstellern und Satirikern wie Sławomir Mrożek, deren entlarvender Spott zu sozialistischen Zeiten eine Alternative zur offiziellen nowomowa (Newspeak) bildete. Es bleibt abzuwarten, welche Tendenz sich im Polen der Kaczyńskis durchsetzen wird: ob die sprachliche Polarisierung die polnische politische und gesellschaftliche Landschaft weiter spalten wird oder ob abgerissene Fäden des Dialogs neu gesponnen werden können.

Volltext als Datei (PDF, 336 kB)