Auf dem Weg zur IV. Republik?
Die Parlamentswahlen in Polen vom 25. September 2005
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Abstract
Aus den Parlamentswahlen in Polen sind die konservativen Kräfte der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Bürgerplattform (PO) als klare Sieger hervorgegangen. Die bisherige Regierungspartei SLD verlor hingegen drei Viertel ihrer Stimmen. Das polnische Parteiensystem ist damit weiterhin nur in Ansätzen stabil. Zwar haben PiS und PO angekündigt, gemeinsam eine Regierung zu bilden. Doch schon zeichnen sich Spannungen zwischen der national-konservativen, etatistischen und euroskeptischen PiS und der bürgerlich-liberalen PO ab. Daher wird die PiS ihr Projekt einer Vierten Republik wenn überhaupt nur in abgemilderter Form umsetzen können.
(Osteuropa 10/2005, S. 135148)
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Die· polnischen Parlamentswahlen vom 25. September 2005 endeten mit einem klaren Sieg der konservativen Kräfte. Die national-konservative Partei Prawo i Sprawiedliwość („Recht und Gerechtigkeit, PiS) sowie die liberal-konservative Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, PO) erhielten zusammen 51 Prozent der Stimmen. Die von beiden Parteien avisierte Koalition besitzt in der neu gewählten Legislative eine komfortable Mehrheit. Im Sejm, der wichtigeren der beiden Kammern des Parlaments, verfügt ein Bündnis aus PiS und PO über 288 der 460 Sitze. Im nach Mehrheitswahlrecht gewählten Senat stellen beide Parteien 83 von 100 Mandaten. Der bei den letzten Wahlen siegreiche Sojusz Lewicy Demokratycznej (Demokratische Linksallianz, SLD) verlor 30 Prozentpunkte und fiel auf gut 11 Prozent ab. Die radikalen Parteien, also die national-katholische Liga Polskich Rodzin (Liga der Polnischen Familien, LPR) sowie die linkspopulistische Samoobrona (Selbstverteidigung) erzielten mit knapp acht Prozent bzw. gut elf Prozent ähnlich solide Ergebnisse wie beim Urnengang von 2001, blieben damit aber hinter den Erwartungen zurück. Während die traditionelle Sachwalterin der landwirtschaftlichen Familienbetriebe, die Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Bauernpartei, PSL), trotz empfindlicher Einbußen den Sprung ins Parlament noch schaffte, scheiterten zwei eher in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelte Parteien, die beide erst im Laufe der letzten anderthalb Jahre gegründet worden waren: die liberale Partia Demokratyczna – Demokraci.pl (Demokratische Partei, PD) und die Socjaldemokracja Polska (Polnische Sozialdemokratie, SDPL), die von unzufriedenen, reformorientierten SLD-Politikern ins Leben gerufen wurde. Damit bestätigten sich mehrere Entwicklungen, die sich spätestens seit der zweiten Hälfte der vergangenen Legislaturperiode abgezeichnet hatten: Die konservative Rechte ist tonangebend, die Linke wurde abgestraft und muß in der Opposition nach einem Neuanfang suchen, die radikalen Populisten sind eine Konstante im Parteiengefüge, haben aber an Fahrt verloren, ein genuiner Pol der Mitte, wie er etwa durch die PD hätte gebildet werden können, existiert gegenwärtig nicht. Während dies zentrale Parameter sind, die das innenpolitische Tableau Polens in den nächsten Jahren prägen werden, schob sich insbesondere in der Schlußphase des Wahlkampfs und nach dem Wahltag ein anderer Sachverhalt in den Vordergrund: Die Rivalität zwischen PiS und PO um die Vorherrschaft nicht nur in einer neuen Regierungskoalition, sondern – eingedenk des im Oktober auch neu zu wählenden Staatsoberhaupts – auf den Gipfeln der Macht insgesamt. Die eigentliche Überraschung der Parlamentswahlen war der – wenn auch knappe – Sieg der PiS, den die meisten Umfragen nicht vorhergesehen hatten. Die Partei und ihre Führungsfiguren, der als Präsidentschaftskandidat seiner Partei antretende Bürgermeister von Warschau, Lech Kaczyński und sein Zwillingsbruder Jarosław, der der PiS vorsteht, interpretierten die Parlamentswahlen als Mandat zur Schaffung einer IV. Republik. Ob und in welcher Form ein solcher Neubeginn kommt, ist indes offen: Der designierte Koalitionspartner der PiS, die Bürgerplattform, scheint mittlerweile nur halbherzig an das Projekt eines umfassenden konstitutionellen Umbaus heranzugehen. Dies gilt auch für den Kandidaten der PO für das Amt des Staatsoberhauptes, Donald Tusk, der sich als Präsident nicht ohne weiteres für eine rasante Staatsreform im Sinne der PiS vor den Karren spannen ließe. Ohnehin verfügen PiS und PO nicht über die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit – und ein auch nur partielles Zusammengehen mit der nationalistischen LPR ist zumindest bei der Bürgerplattform nur äußerst schwer vorstellbar. Vor allem aber ist der Erfolg der PiS nicht so sehr ein Ja der Wähler zum Programm der IV. Republik im Sinne der Kaczyński-Brüder, sondern ein Nein zum marktwirtschaftsfreundlichen Kurs der Bürgerplattform. Die PiS konnte die Plattform im wesentlichen deswegen ein- und überholen, weil es ihr gelang, einen Widerstreit zwischen einem „solidarischen Polen“ und einem „liberalen Polen“ ins Zentrum des politischen Diskurses zu rücken. Dies verdeutlicht sowohl der Verlauf des Wahlkampfes als auch ein Blick auf die Profile der jeweiligen Elektorate. Soziales Polen vs. liberales Polen Daß der durch Skandale völlig abgewirtschaftete SLD eine Niederlage erleiden würde, stand schon seit langem fest. Ebenso war klar, daß PO und PiS wohl siegreich aus den Wahlen hervorgehen würden und gemeinsam eine Koalition avisieren. Ungewiß war indes, welche der beiden Parteien vorne liegen würde. Lange Zeit hatten Umfragen und Medien die PO favorisiert. Doch die Dynamik des Wahlkampfes spülte letztlich die PiS nach vorne. Entscheidend dürfte hierbei die Choreographie der Wahlkampfstrategen sowie das Zusammenwirken der Parlaments- und der Präsidentschaftskampagne gewesen sein. Nach einer durch den frühen Start der Präsidentschaftskampagne von Lech Kaczyński bedingten Hochphase geriet die PiS seit dem Spätsommer 2005 in den Umfragen wieder deutlicher ins Hintertreffen: Der eigentliche Start von Donald Tusks Wahlkampf im August, der die PiS und andere Parteien kalt erwischte, zog die Bürgerplattform sichtbar nach oben. In dieser Situation entschloß man sich im Wahlkampfzentrum der PiS, die „soziale Karte“ zu spielen. Insbesondere nachdem sich mit Włodzimierz Cimoszewicz der starke Präsidentschaftswerber der Linken zurückgezogen hatte, spürte die PiS, daß das linke Segment auf dem Wählermarkt verwaist war. Der von der PiS initiierten Polarisierung in ein „solidarisches Polen“ – repräsentiert natürlich durch die PiS – und ein „liberales“ und egoistisches Polen, für das die PO stünde, hatte die Bürgerplattform nur das Image der gemäßigten, integrierenden Partei entgegenzusetzen. Dies reichte offensichtlich nicht aus, um den von der PiS entfachten Impetus abzuwürgen. Die PiS spitzte die Debatte auf die Steuerpolitik zu und ihr meisterhafter Videoclip, bei dem die Zuschauer sehen konnten, wie die von der PO angekündigte Verbrauchssteuererhöhung den polnischen Familien den Kühlschrank und den polnischen Kindern ihre Spielzimmer ausräumt, könnte nach Auffassung einiger Marketingstrategen der Partei die entscheidenden Prozentpunkte gebracht haben. Gleichzeitig mäßigten sich die Politiker der PiS in Inhalt und Form: Die IV. Republik wurde nicht mehr als conditio sine qua non vorgestellt, Lech Kaczyński erklärte den Wählern in der Boulevardzeitung Fakt, daß er, der eingefleischte Antikommunist, in der Volksrepublik auch angenehme Momente verlebt habe, er Feministinnen in ihrem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen unterstützt und er keinen „Haß gegen sexuelle Minderheiten“ hege. Zwei Tage vor den Wahlen entschuldigte sich PiS-Chef Jarosław Kaczyński sogar bei all denen, die sich durch die Partei verletzt fühlen. Dies alles, um an Wähler der Mitte oder mit einem „linkszentristischen“ Hintergrund heranzukommen. Flankiert wurde die Kampagne der PiS durch Schützenhilfe aus zahlreichen katholischen Laienorganisationen, teils auch seitens der katholisch-fundamentalistischen Rundfunkstation Radio Maryja, nicht zuletzt aber der Gewerkschaft Solidarność, die mehrere Funktionäre und zahlreiche Mitglieder über die PiS-Listen in den neuen Sejm brachte. Überdies zeigte die PiS Flagge im ländlichen Raum, der sich seit langem als Achillesferse der PO darstellt. Elektorate und Milieus Der von der PiS vollzogene Schwenk zum „sozialen Polen“, ihr ohnehin stärker konservativer Appeal und der erfolgreiche Versuch, die PO in die „liberale Ecke“ zu drängen, manifestieren sich deutlich in der abweichenden sozial-demographischen Struktur und im divergierenden Einstellungsprofil der Wählerschaften beider Parteien. Hierbei sei unterstrichen, daß diese Unterschiede bereits seit längerem bestehen, sie jedoch durch die Dynamik des Wahlkampfs vertieft wurden. Die PO weist in diesem Zusammenhang verhältnismäßig klare Konturen auf. Sie erfreut sich einer überdurchschnittlichen Beliebtheit unter Selbständigen, leitenden Angestellten und der „Intelligenz“, Studenten, aber auch einfachen Angestellten. Sie wird von Besserverdienenden, formal besser gebildeten und jüngeren Wählern überproportional unterstützt. Ihre Popularität steigt mit wachsender Größe des Wohnorts. Unter Jungwählern, Personen mit Hochschulbildung und Bewohnern von Großstädten wurde die Plattform stärkste Partei. Das Elektorat der PO ist deutlich proeuropäisch, akzeptiert Wirtschaftsreform und Privatisierung und nimmt in der Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat eine Mittelposition ein. Der harte Kern der PO-Wählerschaft sind also die wohlhabenden, weltoffenen Transformationsgewinner, die Angehörigen der in den letzten 15 Jahren entstandenen neuen urbanen Mittelschicht, sowie jene, die hoffen, diesen Status bald zu erreichen. Anders das Elektorat der PiS. Die Anhängerschaft von Recht und Gerechtigkeit verteilt sich relativ gleichmäßig auf alle sozial-demographischen Gruppen und bildet beinahe einen Querschnitt durch die polnische Gesellschaft. Zwar erzielte die PiS im ländlichen Raum weniger Stimmen als in den Städten, doch ist dieses Gefälle verhältnismäßig gering. Sieht man von den bäuerlichen Parteien PSL und Samoobrona ab, ist die PiS in den Gemeinden unter 5000 Einwohnern stärkste Partei. In geographischer Hinsicht konnte die Partei der Kaczyński-Brüder vor allem im Südosten des Landes Erfolge erzielen. Im konservativen Małopolska und in Westgalizien, also den traditionellen Hochburgen des Antikommunismus und Gegenden mit enger Kirchenbindung erreichte die PiS vielfach einen Stimmenanteil von über 30 Prozent. PiS-Anhänger gehen denn auch viel häufiger in die Kirche als Anhänger der PO. Was ihre wirtschaftspolitischen Einstellungen angeht, ist der Kern des PiS-Elektorats – also diejenigen, die bereits vor dem Höhenflug der Partei im Herbst 2005 mit ihr sympathisierten – mindestens zentristisch eingestellt: Drei Fünftel der Befragten erwarten vom Staat, daß dieser eine Wohlfahrtsfunktion wahrnimmt, 70 Prozent sind für eine Verlangsamung der Privatisierung. Stärker als Sympathisanten anderer Parteien befürworten PiS-Wähler eine dezidierte Dekommunisierung, fordern also, daß postkommunistische „Seilschaften“ die Politik verlassen müßten und eventuell sogar die SLD als Nachfolgerin der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei verboten werden solle. Als „solidarische Alternative“ zur PO war die PiS vermutlich in der Lage, in der Schlußphase des Wahlkampfes zahlreiche Unentschlossene, die polnischen „Impulswähler“, auf ihre Seite zu bringen. Auffallend ist, daß diejenigen, die noch im August nicht wußten, wen sie wählen würden – ein Viertel derjenigen, die wählen gehen wollten –, mit Blick auf ihr sozialstrukturelles Profil der „sozialen“ Kampagne der PiS positiv gegenüberstanden: ältere Menschen, Bewohner von kleineren und mittleren Städten, Menschen ohne Hochschulbildung. Weniger erfolgreich war die PiS hingegen bei der Mobilisierung ihrer Sympathisanten. In den Wahlkreisen mit einer besonders niedrigen Wahlbeteiligung schnitt die PiS schwach ab. Dieser Effekt war im Fall der Bürgerplattform weniger ausgeprägt. Demgegenüber profitierten die Samoobrona, aber auch SLD und PSL von einer niedrigen Wahlbeteiligung. Hätten sich mehr Bürger an der Abstimmung beteiligt, wäre möglicherweise die PiS gestärkt worden (Tabelle 2). Auch ist es der PiS offenbar trotz ihrer sozialen Wahlstrategie nicht gelungen, diejenigen anzusprechen, die in besonderem Maße von den gesellschaftlichen Umbrüchen und der „liberalen“ Reformpolitik der letzten Jahre betroffen sind – die Arbeitslosen. Interessanterweise spielte das Thema Erwerbslosigkeit – trotz einer Arbeitslosenquote von knapp 18 Prozent – im Wahlkampf keine herausragende Rolle: Der Diskurs um das „solidarische Polen“ konzentrierte sich vor allem auf das Thema Steuerpolitik sowie abstraktere Fragen wie „gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Zumindest besteht kein expliziter Zusammenhang zwischen dem Erfolg der PiS und hoher Beschäftigungslosigkeit. Hierbei dürfte eine Rolle spielen, daß in den durchaus strukturschwachen PiS-Kerngebieten, etwa im Südosten des Landes, durch den Erhalt der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ein Großteil der potentiellen Arbeitslosigkeit noch absorbiert wird. Dort wo die Arbeitslosenquote in der Tat besonders hoch ist (Ermland-Masuren, Westpommern, Lebus), konnten teils die Samoobrona, teils die SLD überdurchschnittliche Ergebnisse einfahren. Gegenüber dem heterogenen sozialdemographischen Aufbau der PiS besitzen nicht nur die PO, sondern auch die neuen Oppositionsparteien ein klareres Relief. Die Samoobrona, die sich das Image einer „patriotischen Linken“ gab, reüssierte sowohl im ländlichen Raum als auch in kleineren Städten. Im Vergleich zu 2001 wurde die Samoobrona nun „ländlicher“ – die Partei erhielt vor vier Jahren auf dem Lande 17,2 Prozent der Stimmen, in den Städten hingegen 7,1 Prozent. Nun hat sich diese Diskrepanz vertieft und beträgt 20,6 Prozent zu 7,0 Prozent. Nach wie vor ist die Samoobrona die Partei der Transformationsverlierer und der bildungsfernen Schichten mit Hochburgen im ländlichen Raum und in Provinzstädten. Die dezimierte SLD-Wählerschaft fiel im wesentlichen auf das „biographische Elektorat“ des parteipolitisch organisierten Postkommunismus vom Anfang der 1990er Jahre zurück. Unter den SLD-Wählern von 2005 sind formal besser Gebildete, Ältere, aber auch Besserverdienende stärker präsent. Die SLD-Sympathisanten heben sich insbesondere dadurch von anderen Wählern ab, daß sie jede Form der Dekommunisierung ablehnen und sich besonders deutlich gegen ein mögliches Engagement der Kirche in politischen Fragen wenden. Die LPR brachte es nicht fertig, über ihren bisherigen elektoralen Nukleus, d.h. das besonders kirchennahe und national orientierte Segment der polnischen Gesellschaft, hinauszukommen. Allerdings verschob sich der Schwerpunkt der LPR-Unterstützung gegenüber 2001 in den ländlichen Raum zu älteren Wählern, sowie zu Personen mit geringer Formalbildung. Die Hochburgen der Liga befinden sich im strukturschwachen, agrarisch geprägten Ost- und Südostpolen, im polnischen Bible belt. Die Bauernpartei schließlich weist die altbekannten Strukturmerkmale auf: Als bäuerliche Klassenpartei und Sachwalterin der kleinen Familienbetriebe hat sie ihre Bastionen in Zentral- und Südostpolen, wo die kleinbäuerliche Struktur der polnischen Landwirtschaft am deutlichsten ausgeprägt ist. Allerdings zog die PSL in der Auseinandersetzung mit der Samoobrona den kürzeren – in den polnischen Dörfern wurde die Partei von Andrzej Lepper stärker als die PSL. Die PiS ist alles in allem diejenige Partei in Polen, die am ehesten Züge einer „Volkspartei“ trägt. Dies unterscheidet sie substantiell von den anderen politischen Parteien. Die „elitäre“ Bürgerplattform erreicht primär die städtischen Angestellten und die neuen Mittelklassen. Die SLD ist auf das „eiserne Elektorat“ des parteipolitisch gebundenen Postkommunismus abgeschmolzen. Die LPR deckt den harten Kern des national-katholischen Milieus ab. Die PSL basiert nur noch auf dem Rückgrat der landwirtschaftlichen Familienbetriebe und Teilen der früheren „grünen Nomenklatur“. Die Samoobrona wiederum vereint vornehmlich Modernisierungsverlierer im ländlichen Raum und in den kleineren Städten, von denen ein Großteil bei den letzten Wahlen noch bei der SLD war. Zweifelsohne wurde die PiS also zur „Partei der kleinen Leute“ – nicht der Marginalisierten und Frustrierten, aber der Unzufriedenen. Eine Partei des „vierten Wegs“ zwischen dem systemfeindlichen Radikalismus von Samoobrona und LPR, dem reformorientierten Kurs der Bürgerplattform und dem postkommunistischen Technokratismus der SLD. Neue Stabilität im Parteiensystem? Polens Parteiensystem krankte bislang an chronischer Instabilität. Völlig neue parteipolitische Akteure kamen, scheinbar etablierte Kräfte gingen. Zu gut noch ist etwa die Situation während der vorletzten Legislaturperiode in Erinnerung. Nachdem 1997 die Akcja Wyborcza Solidarność (Wahlaktion Solidarność, AWS) als neue, starke „Sammelbewegung“ der rechten Mitte aufgetaucht war, gingen viele Beobachter davon aus, daß nun der Beginn eines Zweiparteiensystems aus AWS und SLD angebrochen sei. Doch die innenpolitischen Verwerfungen machten diese Prognosen rasch zunichte: Während die SLD ungeahnte Erfolge verbuchte, brachen die AWS und ihr vorübergehender Koalitionspartner, die liberale Unia Wolnośći (Freiheitsunion, UW), ein und schafften nicht einmal den Sprung ins Parlament. Ähnlich dramatische Verschiebungen konnten während der gesamten 1990er Jahre beobachtet werden. Im Vergleich hierzu verweist der Ausgang der Wahlen von 2005 prima facie auf eine gewisse Kontinuität des Parteiengefüges. Erstmals wurden bei Parlamentswahlen keine neuen Parteien in den Sejm gewählt, alle in der vorhergehenden Amtsperiode parlamentarisch vertretenen Parteien übersprangen die erforderlichen Sperrhürden. Allerdings sollte dies nicht als Beleg für eine längerfristige Konsolidierung des polnischen Parteiensystems interpretiert werden. Die Konzentration des Parteiensystems etwa nahm nicht deutlich zu – nimmt man als Indikator den Anteil der stärksten Partei bzw. der beiden stärksten Parteien, ergeben sich Werte von 27 Prozent und 51,1 Prozent gegenüber 41 und 53,7 Prozent bei den Wahlen von 2001. Die Anzahl der „effektiven Parteien“ erhöhte sich leicht. Vor allem aber ist die Volatilität, also die Sprunghaftigkeit der polnischen Wähler, weiterhin beachtlich. Dies zeigt sich allein daran, daß die SLD, die noch 2001 mit 41 Prozent das beste Resultat erzielt hatte, das eine politische Partei nach 1989 auf sich vereinen konnte, mehr als drei Viertel ihrer Stimmen verlor. Dazu kommt die nach wie vor fragile Angebotsseite: Offen ist, wie sich die Linke entwickeln wird, die radikalen Parteien könnten unter internen Grabenkämpfen und Abspaltungen leiden, die siegreichen Parteien der Rechten sind alles andere als hoch institutionalisierte und intern gefestigte Akteure. Polens Parteiensystem bleibt also weiterhin nur begrenzt stabil. Sieger … Was bedeutet das Wahlergebnis für die einzelnen Parteien? Zunächst ein Blick auf die Sieger. Die PiS erreichte den Wahlsieg trotz allem Optimismus und der Aufholjagd in der Schlußphase des Wahlkampfes wohl doch etwas unerwartet. Dennoch bewiesen die Kaczyński-Brüder und die Spitze der PiS Führungsstärke. Indem sie mit Kazimierz Marcinkiewicz rasch einen Kandidaten für den Posten des Premierministers lancierten, versuchten sie, die Chancen Lech Kaczyńskis im Rennen um das Amt des Staatspräsidenten zu retten. Die Kandidatur Marcinkiewicz’ und die von ihm vorgelegten, eher allgemeinen oder überkonkreten Vorschläge sind daher vor allem im Kontext der Präsidentschaftswahlen zu sehen und sollten nicht überbewertet werden. Wichtiger erscheint, daß die Kaczyński-Brüder offenbar an ihrem Programm des Aufbaus einer IV. Republik festhalten. Dies zumindest resultiert aus den Äußerungen, die beide in der sensiblen Zwischenphase zwischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen verlauten ließen. Das Bekenntnis zur IV. Republik ist um so augenfälliger, als man gegen Ende des Parlamentswahlkampfs, offensichtlich aus taktischen Überlegungen, verbal weniger offensiv vorgegangen war. Was versteckt sich hinter dieser immer wieder vorgetragenen Formel? Rein formal geht es um einen Bruch mit der 1989 am Runden Tisch entstandenen III. Republik, die aus Sicht der PiS – und anderer Parteien, wie etwa der LPR, aber auch hin und wieder der PO – ein fauler Kompromiß mit den Exponenten des alten Regimes sei und insofern Konstruktionsfehler beinhalte, die für zahlreiche „Pathologien“ der vergangenen 15 Jahre verantwortlich zeichneten. Das Konstrukt der IV. Republik im Sinn der PiS bedeutet dabei mehr als nur eine Generalüberholung des konstitutionellen Systems. Vielmehr geht es um eine fundamentale Neuordnung des polnischen Staats und des Gemeinwesens. Jarosław Kaczyński beschreibt das sich hieraus ableitende Prioritätenbündel in der Einleitung zum offiziellen Programm der PiS schlagwortartig: „umfassender Umbau des Staats, grundlegende Reorientierung der polnischen Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik zusammen mit der Wiederherstellung der moralischer Dimension“. Folgt man den Dokumenten und den Äußerungen der PiS und ihrer Politiker, werden diese Ziele vor allem in fünf inhaltlichen Bereichen in die politische Praxis übersetzt. · Dekommunisierung und Lustration. Ein kämpferischer Antikommunismus hat das politische Wirken der Kaczyński-Brüder und ihrer Bundesgenossen schon immer geprägt. Hierzu gehört ebenso der Ruf nach einer Zurückdrängung postkommunistischer „Seilschaften“ wie die Forderung, den Personenkreis auszuweiten, der auf die Zusammenarbeit mit den kommunistischen Geheimdiensten „durchleuchtet“ werden soll. Zu den besonders rasanten Vorstößen der PiS gehört die Überlegung, ob die SLD als Nachfolgerin der kommunistischen PZPR sowie ob ihrer „Machenschaften“ in den vergangenen Jahren nicht verboten werden solle. · „Sanierung“ des Staats. Dieses Vorhaben steht in engem Zusammenhang mit dem Dekommunisierungsprojekt, sind doch in der Lesart der PiS zahlreiche Skandale und Defizite des Staatsapparates darauf zurückzuführen, daß exkommunistische Klientelstrukturen sich seiner bemächtigt haben. Daher will die PiS etwa eine ständige parlamentarische „Kommission der Wahrheit und der Gerechtigkeit“ einsetzen, die Korruptionsfälle und andere Affären aufklären soll. Flankiert werden soll die Reparatur des Staats durch eine Verschärfung des Strafrechts, eine Reform des öffentlichen Dienstes und die Auflösung von Institutionen, die als ineffizient empfundenen werden – etwa der Landesrat für das Fernsehen und den Rundfunk oder der Rat für Geldpolitik in seiner bisherigen Form. Leitmotiv der Staatsreform ist die Parole: „Säubern, härten, reorganisieren“. · Moralische Revolution. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten der PiS gehört der Versuch, die angebliche moralische Schieflage der polnischen Gesellschaft zurechtzurücken. Im Wahlprogramm der PiS ist an zwölf verschiedenen Stellen von Moral oder moralischem Handeln die Rede. Der hiermit verbundene normative Appell zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die PiS einen aus ihrer Sicht prioritären gesellschaftlichen Wert, nämlich „Gerechtigkeit“, in ihrem Namen führt. Bei der moralischen Instandsetzung Polens möchte die PiS neben das Postulat sozialer Gerechtigkeit die Welt der christlichen Werte und den nationalen Zusammenhalt stellen. Durch ihre patriotische und katholische Phraseologie gelang es der PiS denn auch, das von der Liga der Polnischen Familien gehaltene „Monopol auf ‚Gott, Ehre, Vaterland‘“ zu brechen. · Nationale Interessen. Die Politiker der PiS wollen die nationalen Interessen Polens konsequent verteidigen. Ihre Vision von der künftigen politischen Ordnung des Kontinents ist die eines „Europa der solidarischen Nationen“. Die EU wird als „Bund der Nationalstaaten“ verstanden, „sämtliche Kompetenzen der EU resultieren aus den Entscheidungen souveräner Länder“. Die PiS vertritt europapolitisch die Linie eines souveränistischen Europaskeptizismus, kombiniert mit einer tiefgreifenden Deutschland-Skepsis. · Soziales Polen. Die von der PiS immer wieder herausgestellte soziale Komponente diente nicht nur taktisch zur Abgrenzung gegenüber der „liberalen“ PO, sondern ist integraler Bestandteil des programmatischen Gerüsts der Partei. Die von der PiS monierte stärkere wirtschaftliche Rolle des Staats, die Betonung der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Staates, „insbesondere für die schwächsten sozialen Gruppen“ und natürlich symbolisch zugespitzt, die Ablehnung eines einheitlichen Steuersatzes, ist nicht zuletzt eine Konsequenz der Verankerung in der katholischen Welt und der Nähe zur katholischen Soziallehre. Wollte man die PiS in komprimierter Form charakterisieren, so läßt sie sich als national-konservative und etatistische Partei charakterisieren, die ihre ideologischen Wurzeln im Substrat eines sozial-patriotischen Traditionalismus hat. Ihr langfristiges Ziel ist die Schaffung eines „Staats der nationalen Souveränität“, der zusammen mit der moralischen Revolution die Bildung der IV. Republik ermöglichen soll. Hiervon unterscheidet sich der weltanschauliche Fundus der Bürgerplattform deutlich. Zwar gibt es beachtliche Schnittmengen zwischen den designierten Koalitionspartnern. Beide traten mit dem erklärten Ziel an, den „postkommunistischen Sumpf“ trockenzulegen, den Staat und den öffentlichen Sektor zu modernisieren und Polens Position in Europa zu stärken. Doch die während des Wahlkampfs einsetzende Konfrontation zwischen PiS und PO ließ immer deutlichere Unterschiede erkennen. So trat das moderatere Antlitz der Bürgerplattform in den Vordergrund. Hatte die Plattform anfangs noch mit der Idee einer IV. Republik sympathisiert, verschwand dieser Begriff weitgehend aus dem Vokabular der PO-Wahlkämpfer. Durch das Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Wirtschaftsreform kehrte die PO gewissermaßen zum Ausgangspunkt einer ihrer politischen Vorläufer zurück – dem Danziger Liberal-Demokratischen Kongreß, einst die politische Heimat von Donald Tusk und anderen PO-Politikern. Anders als die etatistische PiS setzt die PO daher neben einem erneuerten Staat sehr stark auf Dezentralisierung und Selbstverwaltung. Mit dieser Idee geht auch eine von der PiS abweichende Strategie des normativen Umschwungs einher: Nicht die moralische Revolution soll Besserung bringen, sondern ein „axiologischer Interventionismus“, eine Art weiche Hinführung der politischen Gemeinschaft der Bürger zu einem besseren Zusammenleben, wobei dem Beispiel der Politiker und staatsbürgerlichem Engagement eine besondere Bedeutung zukommt. Und schließlich Europa: Hier besann sich die PO in wachsendem Maße auf ihre per se europafreundlichen Wähler und Teile ihrer Parteimitglieder. Zwar kamen aus dem Mund von Jan M. Rokita, der lange Zeit dominierenden Figur der PO, regelmäßig EU-kritische Äußerungen, doch im Wahljahr 2005 hatte sich die PO – trotz ihrer Ablehnung des Verfassungsvertrags, die sie mit der PiS teilt – weitgehend von der martialischen Europaskepsis und Nationalpolitik im Sinne eines „Nizza oder Tod!“ verabschiedet. Im Unterschied zur souveränistischen PiS konnte Rokita etwa erklären, daß „uns Polen ein gemeinschaftliches Europa interessiert, das nationale Egoismen ausgleicht“, und er konnte der „Idee einer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik“ ein dickes Lob spenden. Immer offener wurde die Haltung der PO gegenüber Deutschland. Zwar schoß etwa Rokita gelegentlich verbale Breitseiten gegen die Regierung Schröder, insbesondere deren Europa- und Rußlandpolitik, doch gab sich etwa Präsidentschaftskandidat Tusk konstruktiv, wie sich nicht nur bei seinem in der heißen Phase des Wahlkampfs arrangierten Zusammentreffen mit der CDU-Vorsitzenden zeigte. Die PO hebt sich also vom sozial-patriotischen Traditionalismus der PiS ab. Ob ihr modernisierungsorientierter, bürgerlich-liberaler Republikanismus mit konservativer Hintergrundideologie längerfristig mit dem moralischen Rigorismus der PiS zu vereinbaren ist, darf zumindest hinterfragt werden… . und Besiegte Abgesehen von der Oppositionsrolle ist die Situation der Verlierer unklar. Die SLD hat zwar eine verheerende Niederlage erlitten, doch herrscht in der Partei keineswegs Katastrophenstimmung. Da die Partei in manchen Umfragen vorübergehend unter die Fünf-Prozent-Marke gerutscht war, stellt sich das Ergebnis von elf Prozent aus Sicht der Linken als einigermaßen ordentlich dar. Sicherlich hatte die Linksallianz zwischendurch andere Träume geträumt. Nachdem Włodzimierz Cimoszewicz bei den Präsidentschaftswahlen seinen Hut in den Ring geworfen hatte und zeitweise als aussichtsreichster Anwärter auf das höchste Amt im Staat galt, brach in der SLD ein überbordender Optimismus aus. Im Schlepptau der Popularität des früheren Premiers und Ex-Außenministers gingen auch die Notierungen der Linksallianz nach oben. Das optimale Szenario lautete: Cimoszewicz wird Staatspräsident und die SLD zusammen mit anderen Oppositionsparteien so stark, daß die Rechte allfällige Vetos des Staatsoberhaupts nicht überstimmen kann. Nach dem Rückzug Cimoszewicz ging diese Rechnung nicht auf, aber dennoch herrscht in der SLD das Gefühl vor, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Das „ganz und gar nicht schlechte Ergebnis“ bei den Parlamentswahlen – so SLD-Chef Wojciech Olejniczak – bestätigte einerseits die SLD als einzige moderate politische Oppositionskraft neben der wenig bedeutenden PSL. Vor allem aber ist die SLD die dominante und einzig nennenswerte Partei der gemäßigten, sozialdemokratischen Linken, da die SDPL – und mit ihr die ebenfalls sozialdemokratische Unia Pracy (Arbeitsunion, UP) – den Einzug in den Sejm verfehlte. Ziel der erst im Frühjahr gekürten Parteiführung um Olejniczak ist es nun, die SLD in der Opposition zu konsolidieren und die Erneuerung der Partei voranzutreiben. Zwar hat die von Olejniczak entmachtete „alte Garde“ angekündigt, sich in einer Plattform mit dem Namen „Recht-Demokratie-Solidarität“ zusammenzuschließen, doch dürfte es ihr schwerfallen, den Reformkurs Olejniczaks gänzlich zu blockieren. Offen ist allerdings, ob die Erneuerung der Linken unter dem Label SLD fortgeführt wird oder ob Olejniczak ein eventuell von Aleksander Kwaśniewski, sicher aber von „seinen Leuten“ in der SLD avisiertes Projekt der Gründung einer neuen Partei der linken Mitte voranbringen möchte. In der Liga der Polnischen Familien herrscht große Unzufriedenheit über das schwache Abschneiden bei den Wahlen. Insbesondere Roman Giertych, der starke Mann der Liga, steht im Kreuzfeuer der Kritik. Giertych wird Vetternwirtschaft und übermäßiger Machthunger vorgeworfen. Konkret geht es beispielsweise darum, daß Verwandte Giertychs im Europäischen Parlament als Assistenten der LPR-Abgeordneten beschäftigt wurden, daß Giertych seinen wenig populären Vater Maciej als Präsidentschaftskandidaten durchdrückte oder loyale Aktivisten aus der ultra-nationalistischen Młodzież Wszechpolska (Allpolnischen Jugend) zulasten altgedienter Funktionäre in der Partei Karriere machen. Einstweilen konnte sich Roman Giertych aber durchsetzen, da er dafür gesorgt hat, daß Parteiführung und Parlamentsfraktion von seinen Weggefährten dominiert werden. Nicht auszuschließen ist indes, daß es wie bereits in der letzten Legislaturperiode zu zahlreichen Sezessionen kommen wird. Ähnlich wie für die Liga stellt das Wahlergebnis auch für die Samoobrona eine Enttäuschung dar. Zwar konnte die Lepper-Partei sich gegenüber 2001 leicht verbessern, aber die Hoffnung, das immense Protestwählerpotential zu absorbieren, erfüllte sich nicht. Andrzej Lepper setzte ehemalige SLD- und UP-Politiker auf die Liste der Samoobrona und betonte gleichzeitig das nationale Element – er trat etwa in Radio Maryja auf oder gab der Radio Maryja nahestehenden Tageszeitung Nasz Dziennik ein längeres Interview. Doch sein Kalkül verfing nicht, seine Partei einerseits als „patriotische Linke“ zu inszenieren und damit frustrierte SLD-Sympathisanten auf seine Seite zu bringen und andererseits traditionalistische Wähler zu gewinnen. Überdies kosteten die Partei interne Querelen über Listenplätze Stimmen. Da Lepper von den Kandidaten forderte, Wechsel in Höhe von 100 000 Złoty für den Fall eines Austritts aus der Parlamentsfraktion zu unterschreiben, zerschlugen sich die mit mehreren Organisationen vereinbarten Wahlbündnisse – etwa mit der Rentnerpartei KPEiR (Krajowa Partia Emerytów i Rencistów) oder der radikalen, 400 000 Mitglieder zählenden Gewerkschaftsföderation Forum Związków Zawodowych (FZZ). Die PSL ist mit dem Wahlausgang zufrieden. Zahlreiche Auguren hatten bereits das Ende der parlamentarischen Präsenz der Bauernpartei vorausgesehen. Die PSL drohte angesichts der Konkurrenz der Samoobrona und der sich immer stärker im ländlichen Raum engagierenden PiS zwischen Baum und Borke zu geraten. Erschwerend wirkte sich die Geldnot der Partei aus, der aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten die staatliche Unterstützung abgedreht wurde. Insofern herrschte in der PSL vor allem Erleichterung darüber, daß man die Fünf-Prozent-Hürde überspringen konnte. Die Aussichten der Partei sind aber eher düster. Mit der Wahl des Parteivorsitzenden Waldemar Pawlak zum Fraktionschef der PSL wurde die ebenso wenig innovative wie kreative Linie der letzten Jahre bestätigt. Die PSL könnte somit in spätestens vier Jahren abermals um ihr politisches Überleben kämpfen. Kommt die IV. Republik? Auch in Polen gilt: Keine Suppe wird so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Der rhetorische Eifer, die historische und moralische Politik mancher PiS-Politiker wird sich vielleicht nach den Wahlen nicht legen, aber er wird abgemildert werden: erstens durch den Koalitionspartner der Bürgerplattform, zweitens durch die Bürger selbst, die keine Revolution wollten, sondern eher gegen die Skandale der SLD-Ära votierten, und drittens durch die zahlreichen Sachzwänge, denen jede europäische Regierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts ausgesetzt ist. Sollte überdies Donald Tusk Staatspräsident werden, so stünde den Jakobinern der moralischen Revolution ein operativ vielleicht nicht mächtiger, aber politisch dennoch einflußreicher Girondist gegenüber. So oder so: Polen marschiert nicht in die Vierte Republik, sondern höchsten in die „Drei-Einhalbte“. Manuskript abgeschlossen am 13.10.2005
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