Das „sudetendeutsche Thema“ in der tschechischen Literatur
Stereotype und Gegenstereotype
Abstract
In der tschechischen Öffentlichkeit hat sich eine breite und kritische Debatte über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erst nach dem Umbruch 1989 entwickelt. Einen wesentlichen Grundstein für diese Aufarbeitung legte die tschechische Prosa, die ein teilweise äußerst (selbst-)kritisches Bild des dramatischen Endes des tschechisch-deutschen Zusammenlebens in Böhmen und Mähren lieferte. In der tschechischen Nachkriegsliteratur sorgte jedoch zunächst der sogenannte Kolonisationsroman in den fünfziger Jahren für die Verfestigung von Stereotypen, die die Gewalt gegen die Deutschen klassenkämpferisch rechtfertigten. Schon in Romanen, die seit den späten fünfziger Jahren und während des liberalen Intermezzos der späten sechziger Jahren geschrieben wurden, begann eine tiefgreifende Umwertung des Maiaufstands von 1945, der Exzesse gegen die Deutschen nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands, der Deportationen und der Neubesiedlung des Grenzlandes. Dieser neue und bis heute dominierende kritische Blick tschechischer Schriftsteller auf die unmittelbare Nachkriegszeit gelangte nach 1968 in der im westlichen Ausland und im Samizdat erschienenen Prosa zum Durchbruch.
(Osteuropa 1/2003, S. 7793)