Putins Drohnen-Strohfeuer und neue Krim-Angriffe
Russlands Krieg gegen die Ukraine: die 145. Kriegswoche
Nikolaj Mitrokhin, 12.12.2024
Kiew ist es gelungen, den zuletzt zügigeren Vormarsch der Besatzer an mehreren Frontabschnitten zu bremsen. An einigen Stellen konnten sogar kleinere Erfolge erzielt werden. Dennoch drohen gleich mehrere Einkesselungen ukrainischer Einheiten in den kommenden Wochen und Monaten. Gute Nachrichten gibt es bei der ukrainischen Versorgung mit Granaten und Luftabwehrsystemen. Neue Zahlen zeigen, dass Russland im Luftkrieg fast nur noch Drohnen und Drohnenattrappen einsetzt, wobei die Effektivität immer weiter abnimmt. Die ukrainische Luftwaffe nimmt neue Ziele in Russland ins Visier und führte einen bemerkenswerten unbemannten Angriff auf die Krim und Krimbrücke durch. Zelens’kyj nennt neue Zahlen zu Verlusten.
Die Lage an der Front
Die Lage an der Front insgesamt tendiert zu einer gewissen Stabilisierung im Vergleich zum Oktober und der ersten Novemberhälfte. Die Kämpfe im Gebiet Kursk stagnieren weitestgehend, obwohl es den russländischen Streitkräften gelungen ist, Plechovo im östlichen Teil der „Blase“ des von der AFU kontrollierten Gebiets einzunehmen. Aus Kupjans’k gibt es nach dem Rückzug der Okkupationsarmee, die in die Stadt vorgedrungen war, keine Neuigkeiten. Bei Kurachove und Pokrovs’k rücken die Russen langsam vor. Die Besatzer sollen Kriegsreportern zufolge nach monatelangen Kämpfen das Stadtzentrum von Torec’k eingenommen haben. Es scheint, dass sich alle Hauptkampftruppen und Reserven der russischen Streitkräfte in Richtung Pokrovs’k und Kurachove konzentrieren. In Pokrovs’k rücken die Angreifer westlich von Selydove langsam vor. Sie umgehen Pokrovs’k nicht nur von Süden, sondern auch von Südwesten. Mindestens die östliche Hälfte und damit den größten Teil der Stadt Kurachove haben die russländischen Truppen eingenommen. Sie marschieren nun langsam nordwestlich und südlich der Stadt weiter.
Kämpfe um Pokrovs’k und Kurachove
Russlands Armee fällt es schwer, den taktischen Vorteil, den sie an der Kreuzung der Fronten von Doneck und Zaporižžja hat, auch zu nutzen. Den russländischen Streitkräften gelingt es jede Woche, die Verteidigung an ein oder zwei Stellen aufzubrechen. Sie gewinnt dadurch ein paar Kilometer für die Entwicklung von „Zangen“, die die ukrainische Armee an diesen Stellen niemals abschneiden wird. Es wird weitere zwei Wochen bis zwei Monate dauern, bis diese Vorarbeiten sich auszahlen werden. Die Gefahr einer ukrainischen Einkreisung in einem weiteren Bereich von fünf mal zehn Kilometern scheint also bevorzustehen.
Russlands Durchbruch an der Zaporižžja-Front bei Velyka Novosilka wurde inzwischen gestoppt Kriegsberichterstattern zufolge wird dort heftig gekämpft. Die russländischen Streitkräfte haben zu wenig Ausrüstung und leiden unter gegnerischer Artillerie und Drohnen. Eine schwierige Situation hat sich jedoch südlich des fast schon eingenommenen Kurachove entwickelt. Zwei Dörfer (darunter Veselyj Hai) entlang des Flusses Suchi Jaly sind in einen kleinen Kessel geraten. Die offene Stelle hat einen Durchmesser von nicht mehr als ein paar Kilometern. Einheiten, die sich aus Vuhledar zurückgezogen und nacheinander die von Südosten nach Nordwesten verlaufende Kette von Siedlungen aufgegeben haben, halten noch die Verteidigung. Die Straße nach Kurachove von Westen her soll russländischen Karten zufolge unter Feuerschutz von Putins Streitkräften stehen. Moskaus Soldaten befinden sich bereits im Dorf Suchi Jaly, vor ihnen liegen nur fünf Kilometer Feld bis zur Straße. Nordwestlich von Kurachove hat die Okkupationsarmee das wichtige Stari Terny am Westufer des Kurachove-Stausees eingenommen. Sie hat es de facto am Nordufer umgangen und bedroht die erwähnte Fernstraße aus einer Entfernung von etwa zweieinhalb Kilometern. Gleichzeitig hat sich südlich von Stari Terny durch die russländische Einnahme des Dorfes Krasnyi ein weiterer Kessel um ukrainische Einheiten gebildet. Die einzig gute Nachricht in diesem Gebiet ist, dass die ukrainische Armee Velyka Novosilka noch halten kann und eine Einkreisung bisher verhindert werden konnte. Schneisen für einen Rückzug nach Westen sind weiter offen. Dieser wird höchstwahrscheinlich in den nächsten Wochen vollzogen.
Die schlechteste Nachricht ist, dass es den ukrainischen Streitkräften nicht gelungen ist, den Durchbruch von Selydove aus, das zwischen Pokrovs’k und Kurachove liegt, nach Westen zu blockieren. Die Dörfer Novotroic’ke und Ševčenko wurden in der vergangenen Woche zumindest zur Hälfte erobert. Dieser Durchbruch umgeht Pokrovs’k von Süden und nun auch von Südwesten. Dies vereitelt mögliche ukrainische Versuche, eine neue, kurze Verteidigungslinie zu errichten, die zuvor entlang der Strecke Pokrovs’k-Velyka Novosilka bestand. Das bedeutet, die „Zangen“, die Druck auf die ukrainischen Einheiten in Richtung Kurachove ausüben, zerschneiden die Front sowohl von Norden als auch von Süden. Pokrovs’k droht aus mehreren Richtungen gleichzeitig vom Feind gestürmt zu werden: Auch aus der Richtung von Ševčenko stehen Moskaus Truppen bereits etwa fünf Kilometer vor der Stadt. Gleichzeitig sitzen nach Angaben westlicher Medien die ukrainischen Sappeur-Einheiten, die für das Bauen von Verteidigungsanlagen zuständig sind, mindestens zur Hälfte in den Schützengräben an der Front, anstatt zuverlässige Befestigungen hinter Pokrovs’k zu errichten. Die Armeeführung setzt angesichts des Personalmangels alle verfügbaren Kräfte zur Verteidigung der Stadt ein.
Etwas Mut macht immerhin, dass es seit zwei Monaten von ukrainischer Seite keine Klagen mehr über einen Mangel an Granaten gibt. Dies ist wahrscheinlich auf die tschechische Initiative zur Lieferung von 155-mm-Granaten an die ukrainischen Streitkräfte zurückzuführen.Wie Sky News berichtete, hat die russische Artillerieüberlegenheit deutlich abgenommen. Nach Angaben ungenannter westlicher Beamter kommen auf jede abgefeuerte ukrainische Granate nur noch 1,5 russländische Geschosse. Früher seien es eher fünfmal so viele gewesen.
Luftkrieg
Nach Berechnungen des Wall Street Journal haben Russlands Streitkräfte im September, Oktober und November mehr als 6000 Raketen und Drohnen auf die Ukraine abgefeuert. Das sind dreimal so viele wie in den vorhergegangen drei Monaten zuvor und viermal so viel wie im Herbst 2023. 92 Prozent aller in den vergangenen drei Monaten abgefeuerten Langstreckenmunition waren demnach Drohnen und Drohnenattrappen, letztere dienen zur Schwächung der ukrainischen Luftverteidigung. Dass Russland so viele Drohnen abschießen konnte, verdankt es der Fabrik in der Sonderwirtschaftszone Alabuga in Tatarstan, die Schätzungen zufolge 1200 iranische Shahed-Kopien pro Monat herstellen kann.
Wie die Washington Post berichtet, verfehlen die Geran-2-Drohnen in diesem Jahr immer häufiger ihr Ziel. Der Hersteller musste Ende vergangenen Jahres aufgrund von Sanktionen südkoreanische Servomotoren durch chinesische ersetzen, sodass die Drohnen nun oft bei scharfen Kurven die Kontrolle verlieren. Einige von ihnen stürzen direkt ab, andere fangen sich, werden aber zu leichter Beute für die ukrainische Luftabwehr. Ein weiterer Grund für die Ineffektivität russländischer Drohnen ist das ukrainische Abfangen mittels elektronischer Kampfführung. Sie leitet die Drohnen in Nachbarländer wie Belarus, besetzte Gebiete oder zurück nach Russland. All dies zusammen erklärt, warum die Ergebnisse der Angriffe, bei denen im November fast jede Nacht hundert oder mehr russische Drohnen im Einsatz waren, im Allgemeinen bescheiden ausfielen. Zudem ist die Zahl der Angriffe und der eingesetzten Drohnen in der vergangenen Woche stark zurückgegangen. Es scheint, als sei der Vorrat aufgebraucht.
Unterdessen waren die ukrainischen Luftstreitkräfte in der zurückliegenden Woche recht aktiv und nahmen neue Regionen ins Visier. So wurde am 4. Dezember ein Anschlag auf die Gebäude des Sonderpolizeiregiments „im Namen Kadyrovs“ in Grosnyj verübt. Ziele wurden getroffen, es gab Verletzte. Daraufhin traf der tschetschenische Staatschef Ramzan Kadyrov in einem amerikanischen Schützenpanzer Bradley in einem Betonhangar ein, wo offenbar ukrainische Kriegsgefangene in kleinen Gruppen von verschiedenen tschetschenischen Einheiten festgehalten werden. Kadyrow befahl, sie auf den Dächern von „Gebäuden, die von einem amerikanischen Satelliten gefilmt wurden“, zu postieren und mit Waffen zur Abwehr von Drohnenangriffen auszustatten.
Am selben Morgen griffen drei ukrainische Kamikaze-Drohnen den Militärflugplatz Djagilevo in Rjasan’ an. Nach Angaben des kremlnahen Senders Mash wurden die Drohnen abgeschossen, und die Flugzeuge konnten in Sicherheit gebracht werden. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Djagilevo befindet sich das 43. Zentrum für Kampfeinsatz und Umschulung von Flugpersonal, das früher mit den Flugzeugen Tu-95MS, Tu-22M3, Tu-134UBL und An-26 ausgestattet war. Doch nach früheren ukrainischen Drohnenangriffen wurden die Maschinen auf sicherere Flugplätze abgezogen. Am 8. Dezember versuchten die ukrainischen Luftstreitkräfte den Truppenübungsplatz Kapustin Jar im Gebiet Astrachan anzugreifen. Von dort war die neue Interkontinentalrakete „Orešnik“ abgeschossen worden. Nach Angaben des Senders SHOT wurden drei aus der Region Dnipropetrovs’k gestartete Drohnen auf dem Weg dorthin zerstört.
Russland setzte in dieser Woche auch Raketen ein. So wurde am 6. Dezember eine Autowerkstatt in Kryvyj Rih mitten am Arbeitstag mit „ballistischen Raketen“ beschossen. Dabei wurden zehn Menschen getötet. 24 Menschen wurden verletzt, darunter ein vier Monate alter Säugling und ein elfjähriges Kind. Darüber hinaus setzte die russländische Marine am 4. Dezember zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein unbemanntes Boot ein. Um 5.38 Uhr drang ein solches Boot von der Seeseite in den Ölhafen von Odessa ein und verursachte Brandschäden. Es dauerte lange, bis das Feuer unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Die ukrainischen Streitkräfte versprechen indes, ihre Reaktion auf russische Luftangriffe zu verstärken. Am 4. Dezember erklärte Verteidigungsminister Rustem Umerov in einem Kommentar auf dem Nachrichtenportal LB.ua, dass die ukrainische Raketendrohne Paljanicja in die Massenproduktion gegangen sei. Außerdem erklärte er, dass die Produktion von R-360-Marschflugkörpern aus der Gattung Neptun wieder aufgenommen und hochgefahren worden sei. Zwei Tage später präsentierte der ukrainische Rüstungskonzern Ukroboronprom Präsident Zelens’kyj die neue Raketendrohne Peklo und übergab sie an die Streitkräfte. Diese bisher nicht angekündigte Raketendrohne ist eine Neuentwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie. Sie soll Geschwindigkeiten von bis zu 700 Kilometern pro Stunde erreichen und eine Reichweite von mehr als 700 Kilometern haben. Zelens’kyj zeigte Filmmaterial von der Präsentation der Peklo und verwies auf erfolgreiche Tests und sogar auf einen bestätigten Kampfeinsatz. Es stellt sich jedoch die Frage, warum diese neuesten Waffen der ganzen Welt, einschließlich potenzieller Gegner, so detailliert gezeigt werden. Gleichzeitig laufen gewöhnliche Ukrainer, die die Explosion einer ausländischen Rakete in ihrer eigenen Stadt gefilmt haben, Gefahr, ins Gefängnis zu müssen.
Sehr nützlich ist derweil, dass die Ukraine nach Angaben des Außenministeriums bis Ende 2024 20 Flugabwehrraketensysteme der Typen HAWK, NASAMS und IRIS-T erhalten wird. Dies würde das Luftverteidigungssystem sowie die Raketensysteme des Landes erheblich stärken.
Nach dem Einsatz der Orešnik wurde zudem offenbar auf der Ebene der amerikanischen und russländischen Generalstabschefs eine grundsätzliche Einigung darüber erzielt, dass die neuesten westlichen Raketen noch nicht gegen Ziele auf dem international anerkannten Territorium Russlands eingesetzt werden dürfen. Jedenfalls gab es in der vergangenen Woche keine solchen Angriffe. Die Ukraine versucht zunächst, ihre Ziele auf andere Weise zu erreichen.
Angriff von unbemannten Booten auf die Krim und Krimbrücke
Am 6. Dezember führte die Ukraine einen weiteren Angriff auf die Krim und die Krimbrücke durch mit neuen, auf Drohnen montierten Waffensystemen. Die ukrainischen Streitkräfte hatten Drohnen so modifiziert, dass sie nicht nur beträchtliche Mengen an Plastiksprengstoff an ein ausgewähltes Ziel liefern, sondern auch automatische Maschinengewehre sowie Aufklärungsausrüstung und Drohnen tragen können. Auch die neuesten polnischen unbemannten Tauchboote „Gavia“, die unmittelbar nach den Tests Mitte November an die Ukraine geliefert wurden, wurden eingesetzt. Hinzu kamen die bekannten Überwasser-Drohnen Magura-V5 mit montierten Maschinengewehren und Sea-Baby-Seedrohnen mit Sprengladungen. Die Drohnenboote und ihre Begleiter wurden jedoch offenbar von Beobachtungsposten auf russisch kontrollierten Öl- und Gasfördertürmen westlich und südwestlich der Krim entdeckt. Gegen Mitternacht wurden sie von einem Flugzeug fünfzig Kilometer südlich von Sevastopol’ angegriffen. Insgesamt verzeichnete die russische Seite mindestens dreizehn dieser unbemannten Drohnenboote. Sie wurden südlich von Sudak gejagt, bevor man sie aus den Augen verlor. Gegen Morgen tauchten sie im Gebiet der Straße von Kerč wieder auf, wo die russischen Streitkräfte auf sie warteten. Doch überraschenderweise lieferten sich die mit Maschinengewehren bewaffneten Tauchboote ein echtes Feuergefecht mit den Mi-8-Hubschraubern und entkamen schließlich. Gegen 7:00 Uhr versuchten sie erneut, sich der Werft in dem Gebiet zu nähern. Dort wurde der Großteil abgefangen, nach russischen Angaben konnten vier der Boote entkommen. Der ukrainischen Version zufolge, die durch am 9. Dezember präsentierte Videoaufnahmen bestätigt wird, griffen Sea-Baby-Drohnen in der Nacht zum 6. Dezember russische Hubschrauber, Flugzeuge und Patrouillenboote des Typs Raptor an. Aus den abgehörten Gesprächen geht hervor, dass es unter der Hubschrauber-Besatzung Tote und Verletzte gab. Die Militärhubschrauber wurden schwer beschädigt. Außerdem haben die Drohnen ein Lastschiff getroffen, das Militärtechnik und Ausrüstung für die Reparatur der Krim-Brücke geladen hatte. In dem Video sind tatsächlich Raptor-Boote sowie die Aufnahmen aus einem Zielfernrohr zu sehen, die mindestens zwei Treffer auf die Hubschrauber zeigen.
Am 7. Dezember griffen die Drohnenboote Gasplattformen im Meer an. Dadurch sollen nach ukrainischen Angaben die gegnerischen Beobachtungssysteme zerstört worden sein. Auf dem Video ist zu sehen, wie die Boote wiederholt die Plattformen angreifen und diese in Brand stecken. Auch von den Booten gestartete First-Person-View-Drohnen sind zu sehen, die auf der Plattform fliehende Soldaten angreifen. Russländische Kriegsberichterstatter bezeichneten das Video als Archivmaterial, lieferten dafür aber keine Beweise.
Mobilisierung von 18-Jährigen in der Ukraine
Angesichts der Erfolge der russischen Offensive und der anhaltenden Klagen des ukrainischen Militärs über einen Mangel an Kämpfern an der Front und das junge Alter derselben erklärte US-Außenminister Antony Blinken am 4. Dezember, die Ukraine solle sich auf neue Mobilisierungsmaßnahmen zur Stärkung ihrer Verteidigung vorbereiten. Bei einem Briefing in Brüssel nach einem Treffen mit den NATO-Außenministern sagte er: „Die Ukraine muss harte, aber notwendige Entscheidungen über eine weitere Mobilisierung treffen. Es ist wichtig sicherzustellen, dass diese Kräfte ausreichend ausgebildet und ausgerüstet werden.“ Diese Worte folgten auf Äußerungen des nationalen Sicherheitsberaters des Weißen Hauses, Jake Sullivan. In einem Interview mit PBS News sagte er, die Ukraine müsse die Zahl der Truppen an der Front erhöhen. Denn selbst die modernsten Waffensysteme könnten die menschlichen Ressourcen nicht ersetzen. Ein weiteres Problems ist die Erschöpfung jener Soldaten, die seit drei Jahren mit Unterbrechungen an der Front sind. Nach Angaben von Bloomberg wurden in diesem Jahr in der Ukraine fast 96 000 Strafverfahren wegen „unerlaubten Entfernens vom Dienst“ eingeleitet.
Vor diesem Hintergrund sah sich der ukrainische Präsident Volodymyr Zelens’kyj, der am vergangenen Wochenende mit führenden Politikern aus aller Welt zusammenkam, darunter auch der designierte US-Präsident Donald Trump, zu ungewohnt offenen Angaben über die Zahl der toten ukrainischen Soldaten gezwungen gesehen. Er bezifferte die Verluste auf nur 43 000 seit Beginn des Krieges. Trump hingegen sprach von 700 000 ukrainischen Soldaten. Möglicherweise schließt das die Zahl der Schwerverwundeten ein, die dann außer Dienst gestellt wurden. Zelens’kyj stellte dem die Verluste der russischen Streitkräfte gegenüber, die seinen Angaben zufolge 750 000 betragen: 198 000 Tote und mehr als 550 000 Verwundete. Die Idee einer Mobilisierung junger Männer ab 18 Jahren lehnte er jedoch erneut ab.
Zelens’kyj hat Recht, dass es in der Ukraine genügend Männer mittleren Alters gibt, die eingezogen werden könnten. Aber das Mobilisierungssystem des Landes ist dazu nicht in der Lage. Es ist völlig korrumpiert und fast die gesamte verfügbare männliche Bevölkerung hat von verschiedenen Stellen Bescheinigungen erhalten, mit denen sie sich legal der Einberufung entziehen kann.
Aus dem Russischen von Felix Eick, 12.12.2024
Hinweis zu den Quellen: Die Berichte stützen sich auf die Auswertung Dutzender Quellen zu den dargestellten Ereignissen. Einer der Ausgangspunkte sind die Meldungen der ukrainischen sowie der russländischen Nachrichtenagenturen UNIAN und RIA. Beide aggregieren die offiziellen (Generalstab, Verteidigungsministerium, etc.) und halboffiziellen Meldungen (kämpfende Einheiten beider Seiten, ukrainische Stadtverwaltungen, etc.) der beiden Kriegsparteien. Der Vergleich ergibt sowohl übereinstimmende als auch widersprüchliche Meldungen und Darstellungen.
Zur kontrastierenden Prüfung ukrainischer Meldungen wie jene von Deep State (https://t.me/DeepStateUA/19452) – werden auch die wichtigsten russländischen Telegram- und Livejournal-Kanäle herangezogen, in denen die Ereignisse dieses Kriegs dargestellt und kommentiert werden, darunter „Rybar’“ (https://t.me/rybar), Dva Majora (https://t.me/dva_majors), und „Colonel Cassad“ (Boris Rožin, https://colonel cassad. livejournal.com/). Wichtige Quellen sind auch die Berichte, Reportagen und Analysen von Meduza und Novaja Gazeta Europe. Ebenfalls berücksichtigt werden die täglichen Analysen des Institute for the Study of War (www.understandingwar.org), das auf ähnliche Quellen zurückgreift.