Ansprachen des ukrainischen Präsidenten seit Beginn des Kriegs

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj vor dem Deutschen Bundestag am 17.3.2022

Sehr geehrte Frau Präsidentin Göring-Eckardt,

sehr geehrter Herr Scholz,

sehr geehrte Abgeordnete, Gäste, Journalisten!

Ich wende mich an Sie und das deutsche Volk am Ende der dritten Woche seit dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine, im achten Jahr seit Beginn des Krieges im Osten meines Landes, im Donbass.

Ich wende mich an Sie, während Russland unsere Städte bombardiert und alles in der Ukraine zerstört. Alles – Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen. Mit Raketen, Bomben, Raketenwerfern.

In diesen drei Wochen wurden Tausende Ukrainer und Ukrainerinnen getötet. Die Besatzer brachten 108 Kinder um. Bei uns, mitten in Europa, im Jahr 2022.

Ich wende mich an Sie in einem Moment, da zahlreiche Treffen, Verhandlungen, Erklärungen und Anfragen hinter uns liegen. Unterstützungsmaßnahmen wurden beschlossen, doch sie kamen vielfach zu spät. Sanktionen wurden erlassen, doch sie reichen eindeutig nicht aus, um diesen Krieg zu stoppen. Und wir haben gesehen, wie viele deutsche Unternehmen ihre Verbindungen mit Russland immer noch aufrechterhalten. Verbindungen mit einem Staat, der Sie und einige andere Länder nur benutzt, um seinen Krieg zu finanzieren.

Drei Wochen des Krieges um unser Leben, unsere Freiheit, haben uns in dem bestärkt, was wir schon vorher ahnten – und was Sie wahrscheinlich noch nicht alle bemerkt haben.

Es ist, als seien Sie wieder hinter einer Mauer verschwunden. Es ist nicht mehr die Berliner Mauer, mag sein. Aber sie verläuft mitten durch Europa. Und sie trennt Freiheit von Knechtschaft. Diese Mauer wird mit jeder Bombe, die auf unser Land, auf die Ukraine fällt, undurchdringlicher. Mit jeder Entscheidung, die den Frieden befördern würde, aber nicht getroffen wird. Jeder Entscheidung, die uns helfen könnte, die Sie aber nicht treffen.

Wann hat das alles angefangen?

Meine sehr verehrten Politiker, verehrte Bürger Deutschlands,

wie konnte es so weit kommen? Als wir Ihnen sagten, dass die beiden Nord-Stream-Pipelines eine Waffe darstellen, dass sie der Vorbereitung eines großen Krieges dienen, bekamen wir zur Antwort, das sei eine rein wirtschaftliche Frage. Wirtschaft und nichts als Wirtschaft. Das war Zement für die neue Mauer.

Als wir Sie fragten, was die Ukraine tun müsste, um Mitglied der NATO zu werden, um in Sicherheit zu sein, um Sicherheitsgarantien zu erhalten, bekamen wir zur Antwort: Diese Frage liegt nicht auf dem Tisch, auch in näherer Zukunft nicht. Und auch einen Stuhl an diesem Tisch werde es für uns nicht geben. Genauso zögern Sie heute die Frage eines ukrainischen EU-Beitritts hinaus. Um ehrlich mit Ihnen zu sein, für manche Menschen ist all dies nur Politik. In Wirklichkeit aber sind es Steine, Steine für die neue Mauer.

Als wir präventive Sanktionen forderten, wandten wir uns an Europa, an viele Länder. Wir wandten uns auch an Sie. Wir baten um Sanktionen, die den Aggressor Ihre Macht spüren lassen würden. Was wir sahen, war Ihr Zögern. Wir stießen auf Widerstand. Und wir begriffen, dass Sie die Wirtschaft am Laufen halten wollen. Wirtschaft und noch einmal Wirtschaft.

Und jetzt sind die Handelsrouten zwischen Ihnen und dem Staat, der den Krieg auf brutale Weise zurück nach Europa gebracht hat, der Stacheldraht auf dieser neuen Mauer, die Europa teilt.

Sie sehen nicht, was hinter dieser Mauer liegt, aber sie verläuft zwischen uns, zwischen den Menschen Europas. Und deshalb fällt es vielen von Ihnen schwer, das nachzufühlen, was wir heute erleben.

Ich spreche zu Ihnen im Namen der Ukrainer und Ukrainerinnen, im Namen der Menschen der Stadt Mariupolʼ, der Zivilbevölkerung in einer Stadt, die von russischen Truppen belagert und dem Erdboden gleichgemacht wird. In der einfach alles vernichtet wird. Alles und alle, die noch dort sind. Hunderttausende Menschen, die rund um die Uhr unter Beschuss stehen. Ohne Nahrungsmittel, ohne Wasser, ohne Strom, ohne Kommunikationsmittel. Rund um die Uhr. Seit Wochen.

Die russischen Truppen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Armee, zwischen zivilen und militärischen Objekten, sie nehmen einfach alles ins Visier.

Ein Theater, in dem sich Hunderte von Menschen versteckt hielten und das gestern in die Luft gesprengt wurde, eine Entbindungsklinik, ein Kinderkrankenhaus, Wohngebiete ohne militärische Einrichtungen – sie zerstören alles. Rund um die Uhr. Und sie lassen nicht eine einzige humanitäre Hilfsgüterlieferung in die belagerte Stadt. Seit fünf Tagen feuern die russischen Truppen pausenlos, sie verhindern jede Rettungsaktion für unsere Bevölkerung.

All das könnten auch Sie sehen. Wenn Sie nur einen Blick über diese Mauer werfen würden.

Wenn Sie sich daran erinnern würden, welche Bedeutung die Berliner Luftbrücke für Sie hatte und daran, dass diese Brücke überhaupt erst gebaut werden konnte, weil der Himmel über Ihnen abgesichert war. Sie wurden nicht aus der Luft ermordet, wie es jetzt in unserem Land der Fall ist. Nicht einmal eine Luftbrücke können wir bauen! Für uns hält der Himmel nur russische Raketen und Bomben bereit.

Ich spreche zu Ihnen im Namen der älteren Ukrainerinnen und Ukrainer. Viele dieser Menschen haben den Zweiten Weltkrieg noch erlebt, sie haben vor achtzig Jahren die Besatzung überlebt. Sie erinnern sich noch an Babyn Jar.

Erst im vergangenen Jahr war Bundespräsident Steinmeier zu Besuch in Babyn Jar. Zum achtzigsten Jahrestag der Tragödie. Jetzt sind dort russische Raketen eingeschlagen. Genau an diesem Ort. Eine Familie wurde auf dem Weg nach Babyn Jar umgebracht, auf dem Weg zum Denkmal. Erneutes Morden, achtzig Jahre später.

Ich wende mich an Sie im Namen all derer, die das jährlich wiederholte „Nie wieder“ Ihrer Politiker gehört haben. Und die jetzt sehen, dass diese Worte wertlos sind. Wieder einmal wird heute in Europa versucht, ein ganzes Volk zu vernichten. Alles zu zerstören, wovon wir leben. Und alles, wofür wir leben.

Ich wende mich an Sie im Namen unserer Soldaten. Im Namen all derer, die unseren Staat verteidigen, und mit ihm die Werte, von denen in Europa so oft gesprochen wird – überall in Europa, auch bei Ihnen.

Werte wie Freiheit und Gleichheit. Die Möglichkeit, frei zu leben. Nicht von einem anderen Staat unterjocht zu werden, der das Land der Nachbarn als seinen „Lebensraum“ betrachtet. Warum steht Ihre politische Führung unseren Verteidigern nicht bei? Warum kommt Ihre Stärke uns nicht zugute? Warum scheint es, als seien die Länder auf der anderen Seite des Ozeans uns näher als Sie?

Weil es eine neue Mauer in Europa gibt. Eine Mauer, die manche nicht sehen. Gegen die wir aber anrennen. Während wir gleichzeitig um das Überleben unseres Volkes kämpfen.

Meine Damen und Herren,

Bürger Deutschlands!

Ich bin allen dankbar, die uns unterstützen. Ich möchte auch Ihnen danken. Den ganz normalen Deutschen, die den Ukrainern hier im Land aus vollem Herzen helfen. Den Journalisten, die mit ihrer sorgfältigen Arbeit das Übel aufzeigen, das Russland über uns gebracht hat. Ich bin auch jenen deutschen Unternehmern sehr dankbar, die Moral und Menschlichkeit über die Buchhaltung, über die Wirtschaft stellen. Über Wirtschaft und noch einmal Wirtschaft. Und den Politikern, die sich trotz allem bemühen … Die sich bemühen, die neue Mauer niederzureißen. Die sich, wenn sie zwischen russischem Geld und dem Leben ukrainischer Kinder wählen müssen, für das Leben entscheiden, die sich für schärfere Sanktionen gegen Russland einsetzen. Sanktionen, die Frieden schaffen können. Frieden für die Ukraine. Frieden für Europa. Die keinen Zweifel daran haben, ob man Russland wirklich vom SWIFT-System abkoppeln sollte.

Die wissen, dass ein Handelsembargo gegen Russland erlassen werden muss, gegen alle Importe aus Russland, gegen alles, was diesen Krieg finanziert. Und die nicht daran zweifeln, dass die Ukraine eines Tages ein Mitglied der Europäischen Union sein wird. Weil sie schon jetzt europäischer ist als manches andere Land.

Ich bin allen dankbar, die über sämtliche Mauern hinauswachsen. Und die wissen, dass mehr Stärke auch mehr Verantwortung bedeutet, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht.

Ohne die Hilfe der Welt, ohne Ihre Hilfe, wird es schwer für uns, weiter standzuhalten. Es ist schwer, die Ukraine zu verteidigen, Europa zu verteidigen – wenn Sie nicht das Ihre beitragen. Handeln Sie, wenn nicht auch dieser Krieg eines Tages auf Ihrem Gewissen lasten soll. Die Zerstörung von Charkiv … zum zweiten Mal, achtzig Jahre später. Die Bombardierung von Černihiv, von Sumy und dem Donbass. Zum zweiten Mal, achtzig Jahre später. Die Folterung und Tötung Tausender Menschen. Zum zweiten Mal, achtzig Jahre später. Wie soll historische Verantwortung denn aussehen für das, was dem ukrainischen Volk vor achtzig Jahren angetan wurde, wie soll diese Schuld beglichen werden?

Ich wende mich heute an Sie, damit Sie nicht hinter Ihrer neuen Mauer neue Schuld auf sich laden. Ich wende mich an Sie, um an das zu erinnern, was jetzt getan werden muss. Was notwendig ist, damit Europa überlebt und seine Werte bewahrt.

Der ehemalige Schauspieler Ronald Reagan, Präsident der Vereinigten Staaten, hat einst in Berlin gesagt: „Reißt die Mauer nieder!"

Dasselbe möchte auch ich Ihnen sagen.

Bundeskanzler Scholz! Reißen Sie diese Mauer nieder!

Nehmen Sie die Führungsrolle ein, die Deutschland verdient. Auf eine Weise, die Ihre Nachkommen mit Stolz erfüllen wird.

Stellen Sie sich an unsere Seite.

An die Seite der Welt.

An die Seite jedes einzelnen Ukrainers.

Stoppen Sie diesen Krieg!

Helfen Sie uns, ihn zu stoppen!

Ehre der Ukraine!


Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 15.3.2022

Mein kraftvolles Volk, mein unbeugsames Land!

Acht Jahre schon dauert der Krieg gegen uns. Und heute ist der zwanzigste Tag der groß angelegten Invasion. Sie soll uns alle vernichten, die Ukraine zerstören. Wir kämpfen ums Überleben. Wir kämpfen um unser Leben, gegen Raketen, Fliegerbomben, Artillerie, Panzer, Mörser und all die anderen Waffen, die die russischen Truppen einsetzen, um uns zu vernichten. All die Waffen, mit denen sich Russland sich inzwischen auch selbst zerstört.

Denn mit jedem Schuss auf die Ukraine, mit jedem Angriff auf die Ukraine, macht Russland einen weiteren Schritt in Richtung Selbstzerstörung. Einen weiteren Schritt zu Isolation, Armut und Erniedrigung.

Alle, die noch bei gesundem Verstand sind und normal weiterleben möchten, kehren Russland heute den Rücken. Es sind Wissenschaftler, Künstler, Geschäftsleute, Programmierer. Einen solchen Schlag gegen sein Humankapital hat der russische Staat seit Jahrzehnten nicht erlebt. Es ist ein Rückschlag, den das Land sich selbst zuzuschreiben hat. Aber das soll uns hier nicht weiter interessieren. Das ist nicht unser Problem.

Unsere Sorge ist, unsere eigenen Leute nicht zu verlieren. Die Stärke unserer Gesellschaft zu bewahren. Unsere Wissenschaftler, unsere Künstler, unsere Unternehmer, unsere Menschen, unser kraftvolles Volk. Alle unsere Bürger, die den ukrainischen Staat verteidigen und für den Frieden kämpfen, den wir alle brauchen.

In der vergangenen Nacht wurden Luftangriffe auf unser gesamtes Staatsgebiet verübt. Der Flughafen in Dnipro wurde durch einen Bombenangriff zerstört. Charkiv. Russische Fliegerbomben sind in Wohngebieten eingeschlagen. Dazu kamen Artillerieangriffe. Mörserattacken. Im Gebiet Charkiv wird ebenfalls weiter gekämpft, um Izjum und Čuhuïv

Nach dem Raketenangriff auf einen Fernsehturm in Rivne dauern die Räumungsarbeiten immer noch an. Bislang wissen wir von neunzehn Todesopfern.

Černihiv und Oster, diese alten Städte, werden brutal angegriffen. Russland hat damit jedweden Anspruch auf eine kulturelle Verbindung zur alten Rus zunichte gemacht hat. Die Besatzer haben keine Wurzeln, keine Erinnerung und keine Seele.

Russische Truppen verübten Angriffe auf Kiew, auf die Bürger von Kiew. Vier Wohngebäude wurden zerstört. Die Räumung der Trümmer dauert noch an. Bisher wissen wir von fünf Toten in Kiew.

[im Folgenden russisch] Ich werde es euch auf Russisch sagen: Das alles geschieht in unserer Hauptstadt. In der Stadt, die ihr so gern als „Mutter aller russischen Städte" bezeichnet. Der Stadt, die unsere Völker auf die Landkarte der Geschichte gebracht hat. Und die ihr heute bombardiert habt. Ihr habt Bomben auf Menschen geworfen, auf Wohnsiedlungen. Immer und immer wieder. Solche Kinder braucht die „Mutter“ gewiss nicht, besten Dank.

[weiter ukrainisch] Die Besatzer betrachten unsere Hauptstadt auch weiterhin als ihr Hauptziel, ihr politisches Zielobjekt. Sie hoffen, dass eine Unterwerfung Kiews ihnen die Kontrolle über die gesamte Ukraine verschafft. Das ist vollkommen absurd – in jeder Hinsicht.

Zur weiteren Verstärkung der Verteidigung Kiews und des umliegenden Gebiets Kiew habe ich Oleksandr Pavljuk – „Held der Ukraine“, Generalleutnant und Kommandeur der Vereinigte Streitkräfte – zum Leiter der Militärverwaltung des Gebiets ernannt.

Der bisherige Leiter der Regionalverwaltung, Oleksij Kuleba, wird die militärische Führung auch weiterhin unterstützen.

Dadurch verstärken wir noch mehr unseren Fokus auf die Lage in Kiew und in der Hauptstadtregion.

Generalmajor Ėduard Moskal‘ov wurde zum neuen Kommandeur der Vereinigten Streitkräfte ernannt. Ein Profi und Patriot. Das Dekret dazu wurde bereits unterzeichnet.

Jeden Morgen und jeden Abend spreche ich unseren Soldaten meinen Dank aus. All unseren Helden, die unseren Staat tapfer verteidigen. Allen, die dem Feind Einhalt gebieten, obwohl die Invasoren ihnen zahlenmäßig weit überlegen sind, um mehr als das Zehnfache.

Heute und jetzt möchte ich aber auch über all die friedlichen Ukrainer sprechen, die in diesem Krieg ihr Leben verloren haben.

Ewiges Gedenken all denen, die für die Ukraine gestorben sind! Und ewige Verdammnis für den Feind, der Tausende von Menschen getötet hat.

Heute konnten an einigen Orten humanitäre Korridore geöffnet werden. Aus Sumy, Trostjanec‘, Lebedyn, Šostka und Konotop in Richtung Poltava.

Im Gebiet Kiew haben die Besatzer den Beschuss hingegen nicht eingestellt, so dass ein vereinbarter humanitärer Korridore nicht zustande gekommen ist.

Ein humanitärer Hilfskonvoi für Mariupol‘ kann weiterhin nicht in die Stadt gelangen. Schon seit mehreren Tagen. Die Menschen aber verlassen nach und nach in privaten Fahrzeugen die eingekesselte Stadt.

Ich möchte den Rettungsdiensten, der Polizei, den Ärzten und all denen, die Menschenleben retten, für ihre wichtige Arbeit danken. Und natürlich auch unserem Militär.

Heute habe ich bei einem Gipfeltreffen gesprochen, das von Großbritannien organisiert wurde, von Boris Johnson, der ein Freund der Ukraine ist. Ich sprach vor der britischen Joint Expeditionary Force sowie den Staats- und Regierungschefs der baltischen und nordischen Länder.

Ich habe ihnen genau das gesagt, was sicher alle unsere Bürgerinnen und Bürger ihnen gern gesagt hätten.

Ich sprach über die NATO. Über Hilfeleistungen. Über Aufrichtigkeit … und darüber, dass nicht alle moralisch Position bezogen haben gegenüber Russlands Krieg.

Jede einzelne der mehr als achthundert russischen Raketen, die in unserem Land eingeschlagen haben, ist eine Antwort auf die alte Frage nach der NATO-Mitgliedschaft. Auf die Frage, ob die Türen der Allianz der Ukraine wirklich offen stehen.

Wenn sie wirklich offen stünden, wenn das ehrlich gemeint wäre, dann würden wir nicht seit zwanzig Tagen versuchen, die Allianz zu überzeugen, dass sie den Luftraum über der Ukraine schließen muss. Ihn schließen für den Tod, den die russische Luftwaffe bringt. Bisher wurden unsere Bitten nicht erhört, vielleicht will man sie auch nicht hören. Einige Staaten der Allianz jagen sich selber Angst ein, sie sagen, sie können nicht reagieren, eine Konfrontation in der Luft mit russischen Raketen und Flugzeugen sei für sie nicht möglich. Denn das hätte nach ihrer Meinung eine Eskalation zur Folge, den Dritten Weltkrieg ….

Und was werden sie sagen, wenn Russland weiter nach Europa vordringt und andere Länder angreift?

Wahrscheinlich dasselbe, was sie heute auch der Ukraine sagen. Noch nie hat der Artikel 5 des NATO-Bündnisvertrages so schwach gewirkt wie heute. Aber das ist nur unsere Meinung.

Einige Mitglieder der NATO haben schlicht Angst, Teil eines wirklichen Bündnis zu sein, ein Bündnis zum Schutz all der Dinge, zu deren Bewahrung die NATO geschaffen wurde: Freiheit und Demokratie. Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Wir brauchen verlässliche Sicherheitsgarantien. Garantien für uns, für unseren Luftraum. In dieser Frage werden wir nicht aufgeben. Wir brauchen Flugzeuge. Ich werde das auch weiterhin ansprechen, mich weiter dafür einsetzen.

Wir brauchen langfristige Sicherheitsgarantien für unseren Staat. Für alle Ukrainer.

Aber das müssen konkrete Vereinbarungen sein. Konkrete Garantien. Gesetzlich verankert. Damit niemand an ihnen zweifelt. Und damit es keine Ausreden mehr gibt. Ausreden wie die, die wir zu hören bekommen, wenn wir uns an die Unterzeichner des Budapester Memorandums wenden, die in der Lage gewesen wären, die russische Invasion zu stoppen, bevor sie überhaupt begann. Präventiv. Mit Hilfe einer wirklich überzeugende Unterstützung der Ukraine. Mit Hilfe von Sanktionen, die es Russland gar nicht erst erlaubt hätten, einen Krieg zu beginnen.

Ukrainer! Ukrainerinnen!
Unser Staat hat eine Bevölkerung von über vierzig Millionen Menschen. Dazu kommen Millionen Ukrainer auf der ganzen Welt. Darin liegt unsere große Kraft. Dazu kommen unsere Freunde. Und viele Länder, die unsere Partner sind. Im Moment haben wir alle eine gemeinsame nationalen Aufgabe. Wir müssen so viel Druck auf Russland ausüben, dass der Preis dieses Krieges gegen die Ukraine extrem schmerzhaft zu bezahlen wird. Damit die ganze Welt moralisch Position bezieht. Nicht nur die Staaten, auch die Unternehmen, also die Wirtschaft.

Ich meine die großen Unternehmen, die noch immer Russlands Kriegsmaschinerie finanzieren, die sich nicht aus dem russischen Markt zurückziehen, obwohl sie dies sofort hätten tun sollen. Sobald der Welt klar wurde, was die russischen Truppen auf unserem Boden anrichten.

Sie kennen diese Marken, sie sind bekannt genug. Das ist alles kein Geheimnis.
Nestle, Mondelēz und andere Giganten der Lebensmittelindustrie. Raiffeisen, Société Générale und andere Banken. BASF, Samsung und LG. Bayer, Sanofi und andere Pharmaunternehmen. Unilever, Johnson & Johnson… und Dutzende anderer Unternehmen. Hier geht es um Milliarden von Dollars.

Wir wenden uns an die ganze Welt. An Staaten wie Menschen. Aber diese Aufgabe können die Politiker nicht allein bewältigen,

Ich appelliere an die Ukrainer. An die Ukrainer auf der ganzen Welt. Wo immer Sie Einfluss nehmen können – es liegt in Ihrer Hand. Sämtliche Geschäfte mit Russland müssen eingestellt werden. Der gesamte Handel.

Man muss die Unternehmen daran hindern, weiter das Morden finanzieren. Den Mord an uns, an unseren Kindern. Es dürfen keine Dollars, keine Euros fließen für dieses Blutbad. Kontaktieren Sie bitte Ihre Politiker. Üben Sie Druck aus. Sprechen Sie mit Journalisten. Boykottieren Sie die betreffenden Produkte.

Sie müssen unsere Macht zu spüren bekommen! Sie müssen Ihre Macht zu spüren bekommen!
Denn diese Macht haben wir.
Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 11.3.2022

Freies Volk eines freien Landes!

Wir kämpfen nun schon seit sechzehn Tagen für unsere Freiheit. Viermal länger, als der Feind es vor seinem Überfall gedacht hatte.

Viermal länger! Gegen eine Armee, die als eine der stärksten der Welt galt. Die glaubte, die Ukrainer würden sich ergeben. Die glaubte, sie würde auf mit russischen Fähnchen und Blumen auf den ukrainischen Straßen, auf unseren Straßen begrüßt werden.

Aber die Ukrainer sind stolze Menschen. Sie verteidigen, was ihnen gehört, ihr Land, und sie werden dem Besatzer nicht ein einziges Stück dieses Landes überlassen. Kein einziges Prozent ihrer Freiheit.

Sechzehn Tage. Ich weiß, dass viele erschöpft sind. Das ist nur allzu verständlich. Ungeduld. Absolut verständlich. Gefühle weisen dem Menschen oft nicht den richtigen Weg. Das ist normal. Wir setzen uns ein, wir sehen unsere Siege und die Verluste des Feindes ‑ da erwarten wir, dass der Kampf nun bald zu Ende geht muss. Dass die Besatzung schneller endet. Aber… Dies ist das Leben, dies ist der Krieg. Es ist ein Kampf. Es braucht noch Zeit. Es braucht noch Geduld. Und unsere Weisheit, und unsere Energie. Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, um gemeinsam den Sieg zu erringen.

Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Tage wir noch benötigen werden, um unser Land zu befreien. Fest steht: Wir werden es schaffen! Weil wir dies wollen. Weil wir schon einen strategischen Durchbruch erzielt haben. Wir sind auf dem Weg zu unserem Ziel, zu unserem Sieg.

Dies ist ein vaterländischer Krieg. Ein Krieg gegen einen sehr hartnäckigen Feind. Ein Feind, der sich nicht um die tausenden Gefallenen auf der eigenen Seite schert, um die eigenen toten Soldaten. Der jetzt Reservisten und Wehrpflichtige aus dem ganzen Land in die Hölle dieses Krieges schickt. Der Söldner gegen unser Volk einsetzt. Mörderbanden aus Syrien. Aus einem Land, das auf dieselbe Weise zerstört wurde, wie die Besatzer jetzt uns zerstören, unser Städte: Mariupol’, Charkiw, Ochtyrka, Tschernihiw, Wolnowacha, Isjum und viele andere.

[folgende Passage im Original Russisch] So also stehen Russlands Truppen zu den Ukrainern. So stehen sie zum Donbass, zu den, russischsprachigen Menschen, deren Schicksal sie so lautstark beklagt haben, über deren „Schutz“ in Moskau so unendlich viel geredet wurde: Raketen, Fliegerbomben, Artillerie. Und jetzt auch noch syrische Söldner, die überhaupt nicht in der Lage sind zu unterscheiden, wer hier welche Sprache spricht, in welche Kirche die Leute gehen, welche Partei sie unterstützen. Söldner, die einfach zum Töten in ein fremdes Land kommen, in ein ihnen in jeglicher Hinsicht fremdes Land.

[weiter Ukrainisch] In der vergangenen Nacht und im Verlaufe des Morgens sorgten die Besetzer für die "Entmilitarisierung" einer Wasserleitung in Tschernihiw. Die Stadt ist nun ohne Wasser. Wir tun alles, um die Versorgung wiederherzustellen. Wegen des ständigen Beschusses gibt es in Teilen der Gebiete Sumy, Kiew und Donezk keinen Strom mehr. Die Wärmeversorgung ist schwierig, es gibt kein Gas, und kein Wasser. Eine humanitäre Katastrophe.

"Humanitäre Katastrophe" ‑ zwei Wörter, die mittlerweile absolut synonym mit zwei anderen Wörtern sind – "Russländische Föderation".

Gestern Nacht haben die Besatzer eine Schuhfabrik, ein Mehrfamilienhaus und einen Kindergarten in Dnipro bombardiert. Wozu? Welche Bedrohung stellten sie für den russländischen Staat dar? Auch in vielen Dörfern der Region Sumy haben sie Häuser zerstört. Sie quälen weiter die Menschen in Mariupol und Charkiw. Sie haben Lutsk und Iwano-Frankiwsk mit Raketen beschossen…

Da sich dies fortsetzt, ist offensichtlich, dass die Sanktionspakete gegen Russland nicht reichen. Ich erwarte – daran arbeiten wir – noch heute von unseren Partnern neue Sanktionsbeschlüsse. Russland muss für diesen schrecklichen Krieg bezahlen. Jeden Tag!

Gestern fand ein sehr wichtiges Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union statt. Ein langes, gehaltvolles Treffen. Wir wissen, was auf diesem Treffen gesagt wurde. Von allen Staatschefs. Wer konkret gesprochen hat. Wer uns unterstützt. Wer geschwiegen hat. Wir wissen, wer versucht hat, dafür zu sorgen, dass die Formulierungen vage bleiben – zu vage für die Ukraine, für Europa und für unsere gemeinsame Freiheit.

Wie bewerten wir den Beschluss des Gipfels? Ganz einfach: Das ist zu schwach. Das ist nicht das, was wir erwarten. Die Beschlüsse der Politiker müssen mit der Haltung ihrer Völker, der Völker Europas, übereinstimmen. Wir kennen diese Haltung. Und sie kennen sie auch. Jeder Politiker kennt sie sehr gut! Die Zahlen variieren von Land zu Land, aber die Umfragen zeigen, dass die Unterstützung groß ist. Mindestens 60 Prozent sind dafür. Eine überwältigende Mehrheit ist dafür, dass die Ukraine ein Teil Europas wird!

Die Europäer drücken das klar aus. Und ich bin mir sicher, dass sie dies ihren Politikern klarmachen werden. Falls diese es immer noch nicht verstanden haben.
Die Beschlüsse des gestrigen Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs werden nun an die Europäische Kommission weitergeleitet. Zur weiteren Umsetzung. Für konkrete Verfahren. Die Europäische Union muss mehr tun. Mehr für uns, für die Ukraine. Und für Europa selbst. Wir erwarten das. Alle europäischen Völker erwarten es.

Unsere Regierung hat heute zwölf humanitäre Korridore organisiert. Lebensmittel, Wasser und Medikamente sind bereits auf dem Weg. Nach Isjum, Energodar, Wolnowacha, Polohy, Butscha, Hostomel, Borodjanka, Andrijiwka, Mikulitschi, Makarow, Kosarowitschi und natürlich auch Mariupol. Die ukrainische Armee hat die Feuerpause eingehalten, um die humanitären Korridore zu sichern. Wenn die Besatzer erneut eine solche Vereinbarung brechen und die Rettung von Menschen verhindern, wird die Welt ihnen eine Antwort geben, nach der sie selbst humanitäre Korridore benötigen werden.

Unsere Regierung tut alles dafür, dass das gesamte Land mit Treibstoff und Lebensmitteln versorgt wird. Das ist nicht einfach, dennoch werden Medikamente und alle – und das möchte ich ausdrücklich betonen – alle lebensnotwendigen Waren, Benzin, Diesel – alles wird bereitgestellt.

Heute Morgen wurde mir bei unserer täglichen Videokonferenz eine Frage gestellt. Eine ganz normale Frage im Frühjahr. Wie sieht es mit der Aussaat aus? Wie machen wir das, vor allem in den Gebieten, die vorübergehend besetzt sind? Meine Antwort ist ganz einfach: Wir müssen im gesamten Land, ganz gleich wo, auch in diesem Frühjahr das Saatgut ausbringen, wie in jedem Frühjahr. Wie es eben möglich ist. Alles hängt von den Menschen und von der Situation ab. Denn hier geht es um das Leben. Das Leben ist wertvoller. Es geht um unser Leben. Um unsere Träume. Um unsere Zukunft. Also auch um unseren Sieg.

Ich sage es noch einmal, wie schon so oft: Wenn wir die Freiheit verteidigen wollen, dann müssen alle mitmachen – wie eine Armee. Jeder muss auf seinem Platz alles tun, was er kann, um das zu erreichen, was wir alle verdienen. Das ist eine Frage der Ehre. Damit wir Sieg erringen. Das ist unsere Pflicht. Durchhalten ist Pflicht. Kämpfen ist Pflicht. Alles zu geben ist unsere Pflicht.

Leicht wird es nicht werden, mit so einem Nachbarn. Aber wir werden es ihm auch nicht leicht machen. Wie wir es bereits deutlich gemacht haben.
Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 8.3.2022

Ukrainer, Ukrainerinnen!

Am 8. März begehen wir jedes Jahr einen Feiertag. Den Tag des Frühlings. Den Tag der ukrainischen Frauen, unserer Mädchen, Ehefrauen und Mütter. Jedes Jahr. Doch nicht in diesem.

Heute kann ich ihnen nicht die üblichen Worte sagen. Ich kann ihnen einfach nicht wie sonst gratulieren. Ich kann es nicht. Soviele Tote. Soviel Trauer. Soviel Leid. Der Krieg ist weiter im Gange. Ein schrankenloser Terrorkrieg gegen unser Volk, gegen das ukrainische Volk.

Die Besatzer haben erneut Sumy bombardiert. Aus der Luft. Unsere friedliche Stadt, die niemals in ihrer Geschichte Russland gedroht hat. Die gute, stille, friedvolle Gegend von Sumy. Sie wird in eine Hölle verwandelt.

Mariupol‘. Eine friedliche und arbeitsame Stadt, die keinerlei Zorn in sich trägt. Sie ist eingekesselt, steht unter Blockade. Sie wird gezielt ausgehungert, gezielt gequält. Die Besatzer haben bewusst den Kontakt mit der Außenwelt unterbunden. Sie verhindern bewusst die Belieferung mit Lebensmitteln, sie haben die Wasserversorgung gekappt und die Stromleitungen.

In Mariupol‘ ist erstmals seit Jahrzehnten, wahrscheinlich seit dem Einfall der Nationalsozialisten, ein Kind an Dehydrierung gestorben.

Hören Sie mir heute zu, sehr geehrte Damen und Herren aus unseren Partnerländern. Ein Kind ist an Dehydrierung gestorben. Im Jahr 2022.

Wir kämpfen schon seit 13 Tagen. Wir schlagen die Besatzer, wo immer wir können. Wo immer. Aber da ist der Himmel. Hunderte Marschflugkörper, hunderte Kampfflugzeuge, hunderte Hubschrauber aus Russland. Ja, wir zerstören auch einige von diesen. Russland hat in den vergangenen 13 Tagen in der Ukraine mehr Maschinen verloren als in 30 Jahren zuvor.

Aber sie haben weiter ausreichend Flugzeuge zum Morden. Ausreichend Raketen für den Terror. Ausreichend 500-Kilogramm-Bomben, um sie auf uns zu werfen, auf ganz normale Menschen. Auf Černihiv und Kiew, auf Odessa und Charkiv. Auf Dutzende und Aberdutzende ukrainische Städte. Auf Millionen friedliche Menschen.

Seit 13 Tagen hören wir Versprechungen. Seit 13 Tagen sagen sie uns, dass sehr bald Hilfe am Himmel kommt. Flugzeuge. Dass sie uns Flugzeuge zur Verfügung stellen…

Die Schuld an jedem Tod eines Menschen, der heute in der Ukraine durch Luftschläge oder in einer belagerten Stadt stirbt, trägt natürlich eindeutig der russländische Staat. Eindeutig. Die russländischen Truppen. Diejenigen, die die verbrecherischen Befehle ausgeben und diejenigen, die sie ausführen. Die alle Regeln des Kriegsvölkerrechts brechen. Die gezielt das ukrainische Volk vernichten.

Die Schuld tragen die Besatzer. Aber Verantwortung für all das tragen auch diejenigen, die seit 13 Tagen irgendwo dort im Westen, irgendwo dort in ihren Büros die Entscheidung nicht treffen können, die so offensichtlich notwendig ist. Diejenigen, die immer noch nicht dafür gesorgt haben, dass der ukrainische Himmel gegen die Mörder aus Russland gesichert wird. Diejenigen, die unsere Städte nicht vor Luftangriffen geschützt haben. Vor diesen Bomben und Raketen. Obwohl sie es könnten. Die nicht helfen, die Blockade zu durchbrechen.

Hunderttausende, viele Hunderttausende Menschen stehen in den Städten am Abgrund. Sie schweben zwischen Leben und Tod. Buchstäblich. Nicht so, wie es in den Aussagen der Politiker klingt, die sich zur Frage der Lieferung lebensnotwendiger Kampfflugzeuge an die Ukraine äußern. Zur Lieferung lebensnotwendiger Raketenabwehrsysteme.

Lebensnotwendig!

Wir haben viele Beteuerungen gehört und zahlreiche Abkommen gesehen, zum Beispiel jene über die Einrichtung humanitärer Korridore, durch die unsere Bürger aus Mariupol‘ gerettet werden können. Sie wurden nicht eingehalten. Nichts davon wurde eingehalten. Bislang. Aber ich kann nicht mehr warten. Wir können nicht mehr warten. Mariupol‘ kann nicht mehr warten.

Es sind die Besatzer, die wollen, dass die Menschen bei uns sterben. Nicht wir. Wir haben Konvois mit humanitärer Hilfe nach Mariupol‘ geschickt. Sie transportieren alles, was die Menschen benötigen! Wir haben Busse geschickt, um die Menschen aus der Stadt zu bringen. Den Fahrern ist die Gefahr vollkommen bewusst. Es sind Helden, mutige Männer! Sie wissen, dass die russländischen Truppen den Konvoi einfach beschießen können. So wie sie bereits andere Menschen umgebracht haben, die versucht haben, aus dem Kampfgebiet in Sicherheit zu gelangen.

Aber wenn ihr auch diesen Konvoi und diese Menschen beschießt, dann müsst ihr wissen: Ihr tut es unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Alle werden Zeugen sein. Und alle werden Zeugnis ablegen. An jenem Tag, an dem alle, ich wiederhole: alle, die unmenschliche Befehle ausgeben oder sie ausführen vor Gericht stehen werden. Und harte Strafen erhalten.

Wir haben eine konkrete Zustimmung der russländischen Seite zu Einrichtung von Evakuierungskorridoren aus Sumy erhalten. Nicht nur für unsere Leute, auch für Hunderte Ausländer. Studenten aus Indien und China, die in Sumy studieren. Und dann wurde mir gesagt, dass das Rote Kreuz, das Internationale Kreuz, es verbietet, ihr Symbol an unseren Transportern anzubringen, die in humanitärem Auftrag unterwegs sind. Sie verbieten das rote Kreuz, als sei es ihr Eigentum. Das ist bezeichnend. Das zeigt, dass einige Leute, sehr einflussreiche Leute, die Ukrainer bereits beerdigt haben.

Aber das werden wir nicht zulassen. Ich werde das nicht zulassen.

Unsere Freunde. Sie stehen an unserer Seite.

Ich werde mich direkt an die Völker dieser Welt wenden, wenn die führenden Politiker nicht alle Anstrengungen unternehmen, um diesen Krieg zu beenden. Diesen Völkermord.

Natürlich sprechen wir weiterhin mit unseren Partnern. Mit führenden Politikern und Parlamentariern aus allen Ländern, die wissen, wie der Ukraine geholfen werden kann. Tag und Nacht führen wir diese Gespräche. Ich habe mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda gesprochen. Das litauische Volk steht in diesem Kampf stets Seite an Seite mit den Ukrainern. Wir spüren diese Hilfe und wissen sie zu schätzen. Ich habe mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, unserem Freund Charles Michel, gesprochen. Ich habe mit dem indischen Premierminister Modi gesprochen.

Aber es gibt Dinge, die nicht bei Gesprächen entschieden werden, die nicht unmittelbar von uns abhängen. Bei denen es nur darauf ankommt, dass sich in den führenden Hauptstädten die Menschlichkeit durchsetzt. Gegen die Angst. Gegen den Blick auf den Geldbeutel. Und dann werden wir erleben, dass der Himmel über der Ukraine sicher ist. Und die ukrainischen Städte nicht mehr umzingelt.

Wir können dies gemeinsam mit der ganzen Welt erreichen. Wenn die Welt sich jedoch abseits hält, wird sie sich selbst verlieren. Für immer. Denn es gibt absolute Werte. Sie sind für alle gleich. An erster Stelle steht das Leben. Alle haben das Recht auf Leben. Dies ist es, wofür wir in der Ukraine kämpfen. Mit aller Kraft, mit unseren Soldaten. Dies ist es, was uns die schwachen Besatzer nehmen wollen. Dies ist es, was die ganze Welt verteidigen muss. Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 7.3.2022

Friedliches Volk eines kämpfenden Landes! Seit 12 Tagen schon verteidigen wir uns gegen die Invasion. Wir haben diesen Krieg nie gewollt. Er wurde uns aufgezwungen. Wir haben uns nie vorstellen können, dass wir töten. Aber wir müssen den Feind vertreiben. Aus unserem Land und aus unserem Leben. Wir müssen etwas ertragen, was kein anderer europäischer Staat in den vergangenen 80 Jahren erlebt hat. Und es entscheidet sich auf unserem Boden, ob andere in Europa Opfer des nächsten Angriffs werden. Dies sage ich auch den führenden Politikern der Welt, und sie stimmen mir zu: Wir entscheiden über die Zukunft dieses Kontinents. Durch unseren Widerstand. Und wer unser Freund ist, tut dies durch seine Hilfe.

Ich habe erneut mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda gesprochen. Polen hilft uns. Weiter so! Ich habe mit dem Premierminister des Vereinigten Königreichs Boris Johnson und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi gesprochen. Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem indischen Premierminister Modi. Ich habe sehr wichtige Signale erhalten, die die Ukraine zweifellos weiter stärken werden. Unser Standpunkt in den Gesprächen mit unsern Partnern ist absolut eindeutig, er ist gerechtfertigt und gerecht: Wenn die Invasion weitergeht und Russland seine Pläne nicht aufgibt, muss es ein neues Sanktionspaket geben. Neue Sanktionen, neue Sanktionsschritte gegen den Krieg und für den Frieden.

Keine Güter aus Russland, ein Boykott insbesondere von Öl und Ölprodukten. Man kann das ein Embargo nennen. Oder einfach: Moral. Die Weigerung, einem Terroristen Geld zu geben. Und: Keine Exporte nach Russland. Wenn sie sich nicht an die Regeln der zivilisierten Welt halten, sollten sie von dort keine Waren und Dienstleistungen erhalten. Auf dass sie sich vom Krieg nähren.

Die internationale Gemeinschaft muss noch entschlossener handeln. Wenn jemand den Verstand verliert, muss man die Angst überwinden und den Geldbeutel vergessen. Man muss sich verteidigen. Man muss der Moral folgen. Das gilt für Staaten und für Unternehmen. Alle zusammen müssen gegen diese unmenschliche Macht kämpfen, die die Menschheit vernichten will. Die Stärke der ukrainischen Armee, der Wille des ukrainischen Volkes, die Schlagkraft der internationalen Sanktionen: Das ist der Weg zum Frieden.

Heute Nacht haben die Besatzer Mykolaiw beschossen. Direkt in Wohngebiete. Mit Raketenartillerie. Auch Charkiw haben sie wieder beschossen, Wohnviertel einer friedlichen Stadt. Ebenso andere Städte unseres Staates. Ohne jeglichen militärischen Zweck. Reiner Terror. Die Menschen in Irpen, Bucha, Hostomel und anderen Städten und Dörfern, die die Besatzer erobert haben, werden als Geiseln gehalten. Vorübergehend. Bis die Invasoren ihre Strafe erhalten. Und sie werden sie erhalten. Unsere Streitkräfte wissen, wie man das macht.

Der Feind ist müde. Demoralisiert. Sie sind in unser Land gekommen, um etwas zu suchen, das es hier nie gegeben hat: Feigheit, freiwillige Unterwerfung. Jeden normalen Menschen überkommt Angst, wenn er abgebrannte Häuser sieht. Das ist klar. Zerstörte Hochhäuser. Zerbombte Autos. Marschflugkörper, Luftbomben, Artillerieraketen, Mörsergranaten. Gegen Menschen. Man hört es, und denkt, das muss in einem anderen Land sein. Aber es ist in unserem Land. In unserem, nicht irgendwo anders. In unserem Land. Das zu allen Zeiten nichts mehr als Frieden ersehnt hat.

Wie viele Tote und wieviel Zerstörung sind noch notwendig, bis es endlich eine Flugverbotszone über der Ukraine geben wird? Was unterscheidet die Menschen in Charkiw oder Mykolaiw von denen in Hamburg oder Wien? Trefft diese Entscheidung. Eine Flugverbotszone. Entweder mit Eurer eigenen Macht, oder gebt uns Kampfjets und Luftabwehrsysteme, die uns diese Macht verleihen. Diese Hilfe muss die Welt nicht nur der Ukraine zukommen lassen. Sondern sich selbst. Um zu zeigen: Die Menschlichkeit siegt. Daher: So schnell wie möglich.

Die ukrainische Regierung bereitet bereits den Wiederaufbau unseres Staates nach dem Sieg vor. Während wir kämpfen. Ein spezielles Hilfspaket für Unternehmen und Arbeitnehmer wurde verabschiedet. Kleinunternehmer der ersten und zweiten Kategorie sind vollständig von der Umsatzsteuer befreit. Unternehmen und Kleinunternehmer der dritten Kategorie müssen keine Umsatzsteuer auf die Löhne von Arbeitnehmern zahlen, die zu den Streitkräften der Ukraine und anderen Verbändern der Landesverteidigung eingezogen wurden. Dies gilt insbesondere für die Territorialverteidigung. Befreiung von der Grundsteuer und der Pacht für staatliche und kommunale Grundstücke in allen Gebieten, in denen Kampfhandlungen stattfinden. All dies gilt, solange das Kriegsrechts in Kraft ist und wird nach dessen Aufhebung für mindestens ein Jahr weiter gelten.

Alle Unternehmen, die gegenwärtig nicht in der Lage sind, Steuern zu zahlen, erhalten einen Aufschub. Und das ist nur der erste Teil eines großen Hilfspakets der Regierung. Alle Verantwortlichen in der Regierung haben eine klare Aufgabe: ein System von Maßnahmen zu entwickeln, damit sich die Ukraine schnell erholt und die ganze Aufmerksamkeit dabei auf die Menschen gerichtet ist. Ausschließlich auf die Menschen. Darauf, dass wir alle zum Frieden, zu unserer normalen Arbeit zurückkehren. Wenn wir unser Land und den Frieden in unserem Land zurückerlangt haben.

Ich danke allen Unternehmern und Managern, die gegenwärtig weiterarbeiten und ihrer Verantwortung für ihre Angestellten nachkommen. Wer den Menschen weiter Gehälter zahlt, obwohl in seinem Unternehmen gegenwärtig nicht so gearbeitet werden kann wie bis vor kurzem, der verteidigt die Ukraine. Der Staat kommt allen seinen Verpflichtungen nach. Die Renten sind bereits ausgezahlt worden. Die Gehälter der Staatsbediensteten werden regulär überwiesen.

Ukrainer! Wir sind Millionen. Das sind Millionen Möglichkeiten, für unsere Zukunft zu kämpfen. Für unseren Staat. Für unsere Freiheit. Für unsere Nationalflagge. Blau und gelb. Keine Trikolore. Wir verteidigen unsere Flagge, weil dies unsere Haltung zur Welt ist. Unter Blau und Gelb haben wir Siege bei den Olympischen Spielen errungen. Wir haben diese Flagge im Weltraum und in der Antarktis gehisst. Unter unserer Nationalflagge haben unsere Rettungskräfte, Feuerwehrleute, Friedenstruppen, Sanitäter und alle anderen der Türkei, Griechenland, Israel und Georgien, Afghanistan und Montenegro, Indien, Italien, dem Kongo und vielen anderen Ländern geholfen. Was wir unter dieser Flagge nie getan haben, ist, andere Länder anzugreifen, fremdes Land zu erobern, Menschen zu töten, friedliche Menschen anderer Nationen. Terror – das ist nicht unsere Welt. An unserer Flagge klebt kein Blut. Keine schwarzen Flecken auf ihr, heute nicht und niemals. Und keine Hakenkreuze. Die ukrainische Flagge – das ist unsere Erde, unser Land. Friedlich, fruchtbar, golden und ohne Panzer. Und unser Himmel. Friedlich, klar, blau und ohne Raketen. So war es. Und so wird es wieder sein. Daran glaube ich! Ich weiß es! Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 2.3.2022

Ich wünsche Gesundheit, mein einiges Land! Ich sage nicht zufällig „einiges“. Der siebte Tag dieses schrecklichen Krieges ist angebrochen. Eines Krieges, den wir im gleichen Maße spüren. In diesen Tagen sind wir stärker zusammengewachsen als in den letzten dreißig Jahren. Zu Beginn haben wir die gleiche Angst empfunden, dann den gleichen Schmerz, und jetzt ist uns alles egal – alles außer dem Sieg, außer der Wahrheit, außer dem Frieden, außer der Ruhe, zu der wir kommen wollen, außer dem Leben unserer Leute, um die wir uns Sorgen machen, außer der Ukraine.

Wir sind in dieser Zeit wirklich zu einer Einheit geworden. Wir haben einander vieles vergeben, wir haben einander liebgewonnen, wir helfen einander, wir kämpfen füreinander. Auf dem Platz der Freiheit gestern früh waren wir alle Charkiwer. Die Raketen, die unser Feind auf Wohnhäuser in Borodjansk abgefeuert hat, haben uns alle getroffen. Gestern Abend in Kiew wurden wir alle bombardiert, und wir sind alle einmal mehr in Babyn Jar umgekommen, bei einem Raketenangriff.

Das alles, obwohl die ganze Welt versprochen hat und immer weiter verspricht: Nie wieder. Für jeden normalen Menschen, der unsere Geschichte, der die Weltgeschichte kennt, ist Babyn Jar ein besonderer Teil von Kiew, ein besonderer Teil von Europa, ein Ort des Gebets, ein Ort der Erinnerung an einhunderttausend Menschen, die von den Nazis ermordet wurden, ein Ort, wo mehrere alte Kiewer Friedhöfe liegen. Was für ein Mensch muss man sein, um diesen Ort zum Ziel einer Rakete zu machen? Sie ermorden die Opfer des Holocaust noch einmal. Zu Sowjetzeiten wurde dort auf den Knochen ein Fernsehzentrum gebaut, außerdem eine Sportanlage, Wirtschaftsgebäude. Ein Park wurde angelegt, um die wirkliche Geschichte von Babyn Jar auszulöschen. Aber warum wurde das Gebiet jetzt bombardiert? Das ist jenseits der Menschlichkeit.

Dieser Raketenangriff zeugt davon, dass vielen Menschen in Russland unser Kyjiw absolut fremd ist. Sie wissen überhaupt nichts über unsere Hauptstadt, über unsere Geschichte. Aber sie haben einen Befehl: unsere Geschichte auszulöschen, unser Land auszulöschen, uns alle auszulöschen. Am ersten Kriegstag wurde Uman schwer bombardiert, wohin jedes Jahr viele tausend Juden kommen, um zu beten. Dann Babyn Jar, wo Zehntausende Juden erschossen wurden. Ich wende mich jetzt an alle Juden in der Welt: Sehen Sie nicht, was hier passiert? Deswegen ist es besonders wichtig, dass genau Sie – die Millionen, Millionen Juden in dieser Welt – genau in diesem Moment, genau jetzt, nicht schweigen, denn Schweigen führt zu Nazismus. Darum: schreien Sie es heraus, dass friedliche Menschen ermordet werden, ukrainische Menschen werden ermordet.

Am gestrigen Abend und in der vergangenen Nacht haben sie unsere Städte weiter bombardiert. Bomben, Raketen, Artillerie auf Zivilisten, immer wieder, auf Wohnbezirke, und wieder: Mariupol, Charkiw, Kiew, Schytomyr und andere Städte und Dörfer der Ukraine. Das lässt sich mit keinem menschlichen Grund rechtfertigen, mit keinem göttlichen Grund. Was kommt als nächstes, wenn wir jetzt schon bei Babyn Jar sind? Welche anderen militärischen Objekte bedrohen die Russische Förderation wohl noch? Welche anderen Nato-Stützpunkte? Die Sophien-Kathedrale? Das Höhlenkloster? Die Andreas-Kirche? Was phantasieren sie sich da zusammen? Hol sie der Teufel! Denn Gott ist mit uns.

In den letzten Tagen haben wir Europa geeint, wir haben die Länder der Europäischen Union geeint, auf einer höheren Ebene als der formalen, der zwischenstaatlichen, auf der Ebene der einfachen Menschen – Millionen, Millionen von Europäern, vom Atlantik bis in die Außenbezirke von Charkiw, wo die erbitterten Kämpfe weitergehen. Als das Europäische Parlament uns gestern standing ovations gab, applaudierte es jedem Einzelnen von uns, unserem Kampf, das war eine Wertschätzung für unser aller Anstrengungen, für unsere Geschlossenheit, für sechs Kriegstage, die wie 30 Jahre waren. Eben deshalb sagt die Europäische Union Ja zu uns, ja, wir wenden ein besonderes, beschleunigtes Aufnahmeverfahren an. Unsere Diplomaten und unsere Freunde vereinen die Welt im Namen der Ukraine und vor allem im Namen des Friedens. Die neutrale Schweiz unterstützt die Sanktionen der Europäischen Union gegen russländische Oligarchen, Staatsbeamte, gegen den Staat als solchen und gegen Unternehmen. Noch einmal: die neutrale Schweiz! Worauf warten dann andere Länder noch? Selbst Länder, auf die Russland noch vor einer Woche gebaut hatte, haben sich inzwischen unserer Anti-Kriegs-Koalition angeschlossen. Das ist ein ganz außerordentliches Ergebnis: Man kann jetzt nicht neutral bleiben.

Welche Schlüsse ergeben sich daraus für Russland? Die Fahnen dieses Landes werden zukünftig bei Sportwettkämpfen nicht mehr auftauchen. Zur globalen Gegenwartskultur haben sie von nun an keinen Zugang mehr. Überall in der Welt werden in den Läden russische Waren aus dem Regal genommen. Die russischen Banken werden vom internationalen Bankenverkehr ausgeschlossen. Die russischen Staatsbürger verlieren Einlagen, verlieren jegliche Perspektive. Russische Mütter verlieren ihre Kinder in einem Land, das ihnen völlig fremd ist. Bedenken Sie diese Zahl: Fast sechstausend Russen sind schon tot, russische Soldaten, in sechs Tagen, die Verluste des Feindes in der letzten Nacht nicht mitgerechnet. 6000, um was zu bekommen? Die Ukraine? Das wird nicht geschehen. Ganz gleich, welche Raketen und Panzer Sie einsetzen, wie Sie uns angreifen. Wir sind hier auf dem Boden unserer Heimat, und sie werden für diesen Krieg gegen uns vor den Internationalen Gerichtshof gestellt werden.

Ukrainer, eine weitere Nacht des umfassenden Kriegs, den Russland gegen uns, gegen unsere Menschen, gegen die Ukraine führt, ist vorüber. Es war eine schwere Nacht. Der eine hat sie in der Metro verbracht, der andere im Luftschutzkeller, der andere im Keller, manch einer hatte mehr Glück und konnte zu Hause schlafen. Andere haben bei Freunden oder Verwandten Unterschlupf gefunden. Schon sieben Nächte haben wir so gut wie nicht geschlafen, oder wir schlafen, aber sehr unruhig. Meine Lieben, es wird eine Zeit kommen, in der wir alle ausschlafen werden, aber das wird erst nach dem Krieg sein, nach dem Sieg, im Frieden, den wir so sehr brauchen und schätzen und den wir nie zerstört haben. Ich bitte euch, schützt eure Angehörigen, schützt eure Kameraden. Ich bin begeistert von jedem einzelnen von euch, die ganze Welt ist begeistert von den Hollywood-Stars bis zu den Politikern. Heute seid ihr Ukrainer das Symbol der Unbeugsamkeit, ein Symbol dafür, dass Menschen in jedem Land der Welt in jedem Moment die großartigsten Menschen der Welt werden können. Ehre der Ukraine.

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 1.3.2022

Charkiw. Angriff mit einem Marschflugkörper. Auf den größten Platz Europas. Den Platz der Freiheit. Dutzende Opfer. Dies ist also der Preis der Freiheit. Damit begann ein neuer Morgen für das ukrainische Volk. Charkiw in der Ukraine und Belgorod in Russland – zwei Städte, die sich immer nahe standen, in vielerlei Hinsicht. Die Grenze, die sie trennte, war keine echte, es gab sie nur auf der Karte, aber ganz gewiss nicht in den Herzen. Nicht in den Herzen. Doch das ist jetzt vorbei. Mit dieser Rakete, die aus Belgorod auf Charkiw abgeschossen wurde, die auf dem Platz der Freiheit einschlug, dem Gesicht unserer Stadt, hat sich alles verändert.

Das ist Terror. Terror gegen eine Stadt. Terror gegen die Ukraine. Auf dem Platz gab es kein militärisches Ziel, ebenso wenig wie in jenen Wohnvierteln von Charkiw, die mit Artillerie beschossen werden. Ein Raketenangriff auf den zentralen Platz einer Stadt, das ist offener, unverhohlener Terror. Niemand wird das je verzeihen, niemand wird das je vergessen.

Der Angriff auf Charkiw war ein Kriegsverbrechen, Russland verübt Staatsterror. Russland ist seit heute ein Terrorstaat. Das liegt auf der Hand, es muss offiziell festgehalten werden. Wir rufen alle Staaten der Welt auf, unverzüglich und effektiv auf dieses verbrecherische Vorgehen des Aggressors zu reagieren und zu erklären, dass Russland Staatsterror verübt.

Wir verlangen, dass die Terroristen vor internationalen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden. Charkiw und Kiew sind momentan die wichtigsten Angriffsziele Russlands. Ziel des Terrors ist es, uns zu brechen, unseren Widerstand zu brechen. Sie rücken jetzt auf unsere Hauptstadt vor wie zuvor auf Charkiw. Daher ist die Verteidigung der Hauptstadt heute die wichtigste Aufgabe des Staates. Jede Stadt der der Ukraine muss alles tun, um den Feind zu stoppen. Die Verantwortung dafür tragen die militärische und die zivile Einsatzleitung der einzelnen Städte. Aber Kiew ist ein besonderer Fall. Indem wir Kiew verteidigen, verteidigen wir den Staat. Kiew ist das Herz unseres Landes. Dieses Herz muss schlagen und es wird schlagen, damit das Leben siegt.

Liebe Bürger Kiews! Die Verteidigung der Hauptstadt steht über allem. Daher habe ich entschieden, für die Zeit des Kriegs einen erfahrenen General zum Militärkommandanten der Stadt zu ernennen, um die Verteidigung der Stadt zu garantieren und dafür zu sorgen, dass der Feind nicht eindringen kann und dass die Bürger der Stadt mit allem Nötigen versorgt sind. Leiter der Militärkommandantur wird General Mykola Žernov, ehemals Kommandeur der Versorgungstruppen. In den Jahren 2014-2015 organisierte er in hoher Funktion die logistische Unterstützung des Kampfeinsatzes der ukrainischen Streitkräfte. Derzeit hat er als Experte des Militärgeheimdienstes einen Sitz im Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat. Vitalij Klitschko bleibt Bürgermeister von Kiew. Er wird einen eigenen Verantwortungsbereich haben. Der Bürgermeister und der Militärkommandant arbeiten von nun an eng zusammen. Nach dem Krieg werden die alten Verhältnisse in der Stadt wiederhergestellt.

Zu unseren Diplomaten. Sie treffen gegenwärtig unerlässliche Entscheidungen in Bezug auf unsere Beziehungen zu jenen Staaten, die ihr Wort nicht gehalten und das Völkerrecht gebrochen haben. Wir rufen unverzüglich unseren Botschafter aus Kirgisistan zu Konsultationen zurück. Das Land hat die Aggression gegen die Ukraine gerechtfertigt. Ebenso rufen wir unseren Botschafter aus Georgien zurück. Georgien hindert Freiwillige, die an unserer Seite stehen wollen, an der Ausreise und vertritt in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland eine unmoralische Position.

Jetzt möchte ich auf jene zu sprechen kommen, deren mutige Taten ein Ausdruck höchster moralischer Stärke sind, auf unsere Ärzte. Sie retten Menschenleben, rund um die Uhr. Das tun Sie immer – aber jetzt arbeiten Sie an den wichtigsten Verteidigungslinien, und Sie leisten Unbeschreibliches. Sie haben in diesen fünf Tagen tausenden Menschen das Leben gerettet.

Ich danke ebenfalls allen, die die Menschen in unserem Land unter diesen äußerst schwierigen Umständen mit dem Notwendigsten versorgen: Lebensmittel, Heizmaterial, Medikamente.

Und ich danke den ganz normalen Menschen in der Ukraine, die unbewaffnet Panzern entgegentreten, die mit ihrer Entschlossenheit Besatzer aus Verwaltungsgebäuden vertreiben und sie spüren lassen, dass ihre Anwesenheit in der Ukraine eine Schande ist, dass sie hier nichts verloren haben. Das ist es, was einen Volkskrieg ausmacht. Das ist es, was das Volk der Ukraine ausmacht. Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 28.2.2022

Die russländischen Streitkräfte haben heute Charkiw intensiv mit Artillerie beschossen. Das ist eindeutig ein Kriegsverbrechen. Eine friedliche Stadt, friedliche Wohngebiete, kein einziges militärisches Objekt. Dutzende Aufnahmen von Augenzeugen, die zeigen, dass es sich nicht um vereinzelte Irrläufer handelt, sondern um eine gezielte Ermordung von Menschen. Sie wussten, wohin sie schießen. Dieses Verbrechen wird unweigerlich vor Gericht kommen. Es verletzt alle internationalen Konventionen, niemand auf der ganzen Welt wird ihnen diesen Mord an den ukrainischen Zivilisten verzeihen. Wir sind in der Ukraine, wir sind Europa, wir sind im Jahr 2022. Das mit Raketen, Bomben und Artillerie ausgerüstete Böse muss sofort gestoppt werden. Es muss wirtschaftlich zugrunde gerichtet werden, die Menschheit muss zeigen, dass sie sich verteidigen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass die Sperrung des ukrainischen Luftraums für Raketen, Flugzeuge und Helikopter aus Russland auf die Tagesordnung muss. In den fünf Tagen seit Beginn der Invasion sind in der Ukraine bereits 56 Raketenangriffe verübt worden. 113 Marschflugkörper sind abgeschossen worden. So also sieht sie aus, Russlands brüderliche Freundschaft. Und die Welt weiß, was zu tun ist.

Darüber habe ich heute mit unseren Partnern gesprochen. Ein Staat, der Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt, kann nicht Mitglied im UN-Sicherheitsrat sein. Einem solchen Land muss man den Zugang zu allen Häfen, Kanälen und Flughäfen der Welt sperren. Ein solches Land darf nicht hunderte Milliarden mit dem Export von Energieträgern verdienen. Wer jetzt Rohstoffe und Güter aus Russland kauft, der finanziert mit seinem Geld die Ermordung von Menschen.

Friedliches, stolzes, starkes Charkiw. Das bist du immer gewesen, das wirst du immer sein. Wir werden alles überstehen, wir werden auch dies überstehen. Wir verteidigen die Ukraine, wir helfen jedem, der unter dieser menschenverachtenden Invasion zu leiden hat. Tschernihiw, Ochtyrka, Sumy, Hostomel, Wassylkiw, Cherson, Mariupol, Donezk und alle anderen Städte und Dörfer unseres Heimatlandes werden ein friedliches und sicheres Leben zurückerhalten.

Meine aufrichtige Anteilnahme gilt allen, die in diesem Krieg Angehörige und nahestehende Menschen verloren haben. Ewiges Gedenken den Gefallenen. Ewiger Ruhm allen, die unsere Freiheit verteidigen. Unmittelbar vor dieser Ansprache habe ich einen Erlass unterzeichnet, mit dem zwölf unserer Verteidiger zu „Helden der Ukraine“ ernannt werden. [Nennung der Ausgezeichneten, in den meisten Fällten postum, und der Gründe für ihre Auszeichnung]

Jetzt zu Kiew. Unsere wunderbare Hauptstadt, die Grundlage unseres wunderbaren Staates und unserer Sicherheit. Für den Feind ist Kiew das Schlüsselziel. Sie wollen unsere nationale Staatlichkeit zerstören. Deswegen ist die Hauptstadt permanent in Gefahr. Allein heute sind bereits drei Raketenangriffe verübt worden. Im Visier ist das Wärmekraftwerk Nummer 6. Sie wollen es zerstören, damit es in unserer Stadt kein Licht mehr gibt. Es gelang ihnen nicht, unsere Verteidigung zu durchbrechen, dann schickten sie Saboteure, permanent, hunderte Mann. Sie wurden alle neutralisiert.

Neben der Verteidigung kümmern wir uns auch um die Gebiete hinter der Front. Wir versorgen die Menschen, wir haben eine rund um die Uhr arbeitende Stabstelle eingerichtet, die sämtliche Anfragen aus den Gebietsverwaltungen entgegennimmt. Welche lebensnotwendigen Güter fehlen? Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff, Ausrüstung? Die Stabsstelle findet Zulieferer, die schnell und zuverlässig das Benötigte bereitstellen können. So werden die Lieferketten wiederhergestellt, die durch den Krieg unterbrochen wurden.

Auf die Initiative der russländischen Seite hin hat heute die erste Gesprächsrunde zwischen der Ukraine und Russland stattgefunden. Während die Gespräche liefen, wurde unser Land weiter beschossen, unsere Städte wurden angegriffen. Es war offenkundig, dass dies Absicht war. Ich denke, dass Russland auf diese durchsichtige Art Druck ausüben will. Das ist verschwendete Zeit. Diese Taktik funktioniert bei uns nicht. Faire Verhandlungen setzen voraus, dass während der Gespräche der Artilleriebeschuss eingestellt wird.

Bislang haben die Verhandlungen noch nichts ergeben. Russland hat seine Position formuliert, wir haben dargelegt, was aus unserer Sicht zentral ist, damit dieser Krieg zu Ende geht. Wir haben einige Signale erhalten. Wenn die Delegation nach Kiew zurückgekehrt ist, werden wir das Gehörte analysieren, und dann festlegen, wie wir in die zweite Gesprächsrunde eintreten.

Eine weitere Sache, die unbedingt erwähnt werden muss: Dreißig Jahre haben wir darauf gewartet. Heute habe ich den Antrag auf Aufnahme der Ukraine in die EU unterzeichnet. Wir machen von unserem Recht Gebrauch, ein Teil des gemeinsamen Europa zu sein. Der Antrag ist bereits in Brüssel eingegangen und offiziell registriert. Die Zeit ist reif. Ehre der Ukraine!

Rede des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 28.2.2022

Guten Morgen, ukrainische Helden. Heute ist der fünfte Tag des schrankenlosen Krieges, den Russland gegen das ukrainische Volk führt. Wir halten die Stellung. Was wir in dieser Zeit durchgemacht haben, widerfährt anderen Ländern in Dutzenden Jahren nicht. Lange wurde uns gesagt, wir Ukrainer seien irgendwie nicht gleichwertig, lägen irgendwie falsch. Viele Jahre lang hieß es, wir sollten erst mal unsere Hausaufgaben machen. Daher war uns oft nicht bewusst, wozu wir eigentlich in der Lage sind. Jetzt entfalten wir uns, und das inspiriert, jeden und jede. In jedem Gespräch mit unseren Partnern spüre ich ehrlichen Respekt. Wir Ukrainer haben der Welt gezeigt, wer wir sind, und Russland hat gezeigt, was aus ihm geworden ist. Überlegen Sie mal, während der Invasion Russlands sind allein in den ersten vier Tagen durch Artilleriebeschuss sechzehn ukrainische Kinder gestorben. Sechzehn. 45 Kinder wurden verletzt. Jedes Verbrechen, jede Artilleriesalve, die die Besatzer auf uns abfeuern, lässt die Ukraine und ihre Partner enger und immer noch enger zusammenrücken. Russland hat nicht mit einer solche Solidarität und einer solch kraftvollen Antwort gerechnet. Aber die Ukrainer haben die Lage gedreht. Die Europäische Union hat beschlossen, uns Waffen zu liefern. Dafür sind wir dankbar. Gestern habe ich mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, über weitere, noch entschiedenere Schritte gesprochen. Die Europäer verstehen, dass unsere Soldaten für unseren Staat kämpfen und dass dies ein Kampf für ganz Europa ist. Ein Kampf für den Frieden in allen Staaten Europas, um Frieden für alle, um Frieden für alle Länder der Europäischen Union. Für das Leben der Kinder, für Gleichberechtigung, für Demokratie. Und dies gibt uns das volle Recht, Folgendes zu tun: Wir stellen bei der Europäischen Union den Antrag, die Ukraine mit Hilfe eines Sonderverfahrens unverzüglich in die EU aufzunehmen. Wir danken unseren Partnern, dass sie mit uns gemeinsam kämpfen. Aber unser Ziel ist es, zu allen anderen Europäern zu gehören, und zwar mit den gleichen Rechten. Ich bin davon überzeugt, dass dies angemessen ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir das verdient haben. Und ich bin davon überzeugt, dass dies möglich ist.

Gestern habe ich mit verschiedenen Staatschefs gesprochen, mit den Präsidenten Portugals und Litauens, mit dem französischen Präsidenten Emanuel Macron und mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Andrzej bin ich besonders dankbar für die fruchtbare Zusammenarbeit. Ich habe mit den Ministerpräsidenten Belgiens und Spaniens und mit dem britischen Premier Boris Johnson gesprochen. Die Unterstützung unserer Anti-Kriegs-Koalition ist vorbehaltlos und beispiellos. Europa hat den Luftraum für alle russländischen Flugzeuge gesperrt. Viele Weltkonzerne beenden die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus Russland. Schauen wir, wie diese Woche für Russlands Währung ausgeht, wie stark der russische Rubel abstürzen wird.

Solange diese verbrecherische Invasion in die Ukraine anhält, erleidet Russland solche Verluste, als würde sich der Krieg dort abspielen. Was bringt ihnen das? Was? Müttern, Lehrern, Unternehmern, normalen Menschen in Russland? Wozu? Es sind bereits 4500 russische Soldaten umgekommen. Wozu seid ihr alle hierher gekommen? Warum fallt ihr mit Panzerkolonnen bei uns ein? Von der Krim – unserer Krim! –, aus Jalta, Jewpatorija, Sudak und Simferopol. Das sind doch keine Namen von Heerlagern. Noch einmal: 4500 Männer der Besatzungstruppen sind bereits umgekommen. Lasst eure Panzer stehen und geht nach Hause. Hört auf, euren Kommandeuren zu glauben! Hört auf, euren Propagandisten zu glauben! Rettet einfach euer Leben! Geht nach Hause!

Wir sind rund um die Uhr dabei, unseren Staat zu stärken. Jeder, der sich dem Kampf gegen die Besatzer anschließen kann, ist jetzt verpflichtet, dies zu tun. Deswegen wurde Folgendes beschlossen, es ist moralisch gesehen kein leichter Schritt, aber er ist wichtig für unsere Sicherheit. Unter dem Kriegsrecht werden inhaftierte Ukrainer mit nachgewiesener Kampferfahrung aus der Haft entlassen. Sie können ihre Schuld an den am meisten umkämpften Orten abtragen. Unter diese Amnestie fallen alle, die am Anti-Terror-Einsatz teilgenommen haben.[1] Das Wichtigste ist jetzt die Verteidigung.

Als ich mich für das Amt des Präsidenten bewarb, habe ich gesagt, jeder von uns ist Präsident, weil wir alle für unseren Staat, für unsere wunderbare Ukraine, verantwortlich sind. Nun ist es so gekommen, dass jeder von uns ein Soldat ist. Ein Soldat an seinem Platz. Und ich bin überzeugt, dass jeder von uns siegen wird. Ehre der Ukraine!


[1] Gemeint ist der Einsatz der ukrainischen Armee zur Befreiung der besetzten Gebiete, der im April 2014 begann – Red.

Ansprache des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am frühen 27.2.2022, 9 Uhr MEZ

Diese Nacht war schwer. Was sie machen, ist Rache! Das Volk ist aufgestanden, um seinen Staat zu verteidigen, und sie haben ihr wahres Gesicht gezeigt.

Sie planen, unsere Städte noch schlimmer zu bombardieren, unsere Kinder noch heimtückischer umzubringen. Das ist das Böse, das über unser Land gekommen ist, das vernichtet werden muss. Sie haben behauptet, dass sie die Zivilbevölkerung nicht anrühren werden – und sie haben gelogen. Seit den ersten Stunden des Überfalls greift die russische Armee zivile Infrastruktur an. Sie wählen bewusst die Taktik, gegen die Menschen vorzugehen, gegen alles, was ein normales Leben möglich macht. Kraftwerke, Krankenhäuser, Kindergärten, Wohnhäuser, alles wird tagtäglich beschossen. Das, was die Besatzer in Charkiw, Ochtirzy, Kiew, Odessa und anderen Städten und Dörfern anrichten, wird sie vor ein internationales Gericht bringen. Wir dokumentieren all diese Verbrechen, und es wären noch viel mehr, gäbe es nicht unsere mutigen Verteidiger. Die ukrainischen Soldaten, sie sind all Helden! Sie schlagen die Angriffe zurück, durchkreuzen die Pläne des Gegners, erledigen ihre Arbeit mit Bravour. Dies ist tatsächlich Arbeit. Eine schwere Arbeit, eine Arbeit von fundamentaler Bedeutung, und vor allem eine Arbeit für eine gerechte Sache. Eine Arbeit, die die höchste Wertschätzung verdient, die größte Dankbarkeit. Wir haben beschlossen, den Sold unserer Verteidiger beträchtlich anzuheben.

Ich muss es ihnen offen sagen: Der Preis wird hoch sein. Aber es gibt nichts Wertvolleres als für die Freiheit zu leben und zu kämpfen, für unsere Freiheit und für die Freiheit der kommenden Generationen. Es gibt jene, uns helfen, ganz real: Wir erhalten Waffen, Medikamente, Lebensmittel, Treibstoff, Geld, Benzin, es hat sich eine mächtige internationale Koalition zur Unterstützung der Ukraine. Eine Koalition gegen den Krieg.

Jetzt darf ich Ihnen noch die neusten Nachrichten von der diplomatischen Front mitteilen. Es gab sehr substantielle Gespräche. Mit dem Ministerpräsidenten der Niederlande, mit dem georgischen Präsidenten, mit den Ministerpräsidenten Tschechiens und der Slowakei, mit dem britischen Premierminister Johnson. Von allen habe ich Zusagen über konkrete Hilfen zur Verteidigungsfähigkeit unseres Staates und zur Stärkung unserer Streitkräfte erhalten.

Deutschland hat sich dazu entschieden, 1000 Panzerabwehrraketen und 500 Stinger-Raketen mit zusätzlicher Munition zu liefern, Belgien gibt 5000 Maschinengewehre, fünf Millionen Stück Munition und noch 4000 Tonnen Treibstoff.

Dank der intensiven diplomatischen Bemühungen ist es gelungen, die europäischen Staaten davon zu überzeugen, dass sie Russland aus dem SWIFT-System ausschließen. Ich denke dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda für seinen besonderen Einsatz in Sachen Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Die tägliche Hilfe Polens für unser Land ist äußerst wichtig.

Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Die Verbrechen Russlands gegen die Ukraine haben Merkmale eines Genozids. Darüber habe ich mit dem UN-Generalsekretär gesprochen. Russland ist auf dem Weg des Bösen. Die Welt muss sich dazu entschließen, Russland das Stimmrecht im UN-Sicherheitsrat zu entziehen. Wir wissen sehr genau, was wir verteidigen, wir werden zweifellos siegen. Ehre jedem einzelnen unserer Soldaten. Ehre der Ukraine!

Ansprache des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelens’kyj an das belarussische Volk, 27.2.2022

Ich wende mich an die Bürger von Belarus. Heute werden Sie alle an die Urnen gerufen, um bei einem Referendum abzustimmen. Das könnte ein normaler politischer Akt sein. Gerade ist jedoch nichts normal. Gerade werden Entscheidungen von ganz anderer Dimension getroffen.

Die vergangene Nacht in der Ukraine war sehr schwer. Erneut Beschuss, erneut wurden Wohngegenden und zivile Infrastruktur bombardiert. Es gibt im gesamten Land kein einziges Ziel, kein einziges, dessen Beschuss die Besatzer noch für illegitim halten. Sie führen einen Krieg gegen alle. Sie führen Krieg gegen jegliches Leben. Gegen Kindergärten, Wohnhäuser und sogar gegen Krankenwagen. Sie beschießen mit Raketen Wohngegenden, in denen es niemals irgendeine militärische Infrastruktur gab.

Wasilkow, Kiew, Tschernihiw, Charkiw und viele andere Städte der Ukraine sind in einer Lage, wie es sie in unserem Land – und in Ihrem – zuletzt während des Zweiten Weltkriegs gab.

Doch leider stehen wir in diesem Krieg, der heute in Gange ist, nicht auf der gleichen Seite. Die Armee der Russländischen Föderation beschießt heute von Ihrem Staatsgebiet aus die Ukraine mit Raketen. Von Ihrem Staatsgebiet aus werden unsere Kinder umgebracht, unsere Häuser zerstört, alles soll vernichtet werden. Alles, was in Jahrzehnten aufgebaut wurde, nicht nur von uns, sondern auch von unseren Vätern und Großvätern.

Und so ist dies auch ein Referendum für Euch, Belarussen. Ihr entscheidet, wer Ihr seid, Ihr entscheidet, wer Ihr sein wollt. Ob Ihr Euren Kindern eines Tages in die Augen schauen könnt. Und Euren Nachbarn.

Eure Nachbarn, das sind wir. Wir sind Eure Nachbarn. Wir Ukrainer. Seid Belarus, nicht Russland. Diese Wahl trefft Ihr heute, genau heute.

Es gibt gerade viele Nachrichten über mögliche Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland, die diesen Krieg beenden und uns allen den Frieden zurückbringen sollen. Oft ist von Eurer Hauptstadt Minsk die Rede, als Ort für diese Verhandlungen. Diesen Ort haben nicht wir ausgesucht, und natürlich auch nicht Ihr. Die Führung Russlands hat ihn ins Spiel gebracht, hat das Angebot gemacht, dass wir uns ein zweites Mal bei Euch treffen.

Vor vier Tagen begann der Angriff, bei dem unser Land auch von Belarus aus mit Marschflugkörpern, Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Geschützen angegriffen wird. Ihr Ziel sind unsere Häuser, sie zielen auf unser Leben.

Schwere Geschütze werden eingesetzt. Ein schreckliches Déjà-Vu. Wissen Sie, der Angriff auf Kiew begann um 4 Uhr morgens, um 4 Uhr morgens. Es gibt offensichtlich Leute, die ihren Spaß daran haben, das Jahr 1941 zu wiederholen.

Ihr habt geschlafen, Brüder aus Belarus. Wir sind aufgewacht. Ihr aber schlaft auch jetzt noch. Für uns aber ist diesem Augenblick Schlaf kein Thema mehr. Denn wir kämpfen. Wir kämpfen um unser Land. Wir kämpfen um unsere Freiheit. Weil wir dazu ein uneingeschränktes Recht haben.

Wäre unser Land nicht von Eurem Staatsgebiet aus angegriffen worden, hätten Gespräche in Minsk stattfinden können. In Eurer Stadt. Als Ihr noch neutral wart, fanden sie in Minsk statt. Wir haben uns dort viele Male getroffen. So macht man das, so ist es rechtens, auf nachbarschaftliche Art.

Ihr habt Eure wichtigste Entscheidung noch nicht getroffen. Sie steht Euch bevor und sie hängt ganz alleine von Euch ab. Nicht von Russland, nicht von der Ukraine, nicht von Amerika, sondern nur von Euch, dem belarussischen Volk. Und genau deshalb fahren wir jetzt nicht zu Gesprächen nach Minsk. Es wird einen anderen Ort für das Treffen geben. Natürlich, wir wollen Frieden, wir wollen ein Ende des Kriegs, uns treffen, wir wollen den Krieg beenden. Warschau, Bratislava, Budapest, Istanbul, Baku. All das haben wir der russländischen Seite angeboten. Wir sind mit jedem Ort einverstanden. Nur muss er in einem Land sein, aus dem keine Raketen auf uns fliegen. Nur dann können die Verhandlungen ehrlich sein und den Krieg tatsächlich beenden.

Ich wünsche Belarus aufrichtig, dass es wieder jenes gutmütige und ungefährliche Belarus wird, wie wir es noch vor Kurzem kannten. Trefft die richtige Entscheidung. Ich bin überzeugt, dass diese Entscheidung so wichtig wie keine andere ist, für Euer ruhmreiches Volk.

Ansprache des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am frühen Abend des 26.2.2022

Die Bereitschaft der Ukraine, unseren Staat zu verteidigen, unsere Solidarität und unser Mut haben den Plan, unser Land zu besetzen, vereitelt. Die Welt hat gesehen: Die Ukrainer sind stark, die Ukrainer sind mächtig, die Ukrainer sind mutig. Die Ukrainer sind in ihrem Heimatland und dieses werden sie niemandem überlassen.

So ist es keine Überraschung, dass ein solches Volk mächtige Freunde hat, mächtigere als der Feind. Ich habe heute im Laufe des Tages stundenlang mit den Chefs vieler Staaten gesprochen, die Freunde der Ukraine sind. Ein außergewöhnliches Ergebnis habe ich mit Italien erzielt. Dies ist wirklich ein neues Kapitel in der Geschichte unserer Staaten. Das Gespräch mit Ministerpräsident Mario Draghi hat dazu geführt, dass nun alles seine richtige Ordnung hat. Indien ist seit langem eine Weltmacht, ich habe mit Ministerpräsident Modi gesprochen und ihm über unseren Widerstand gegen den Aggressor berichtet. Ich habe seine volle Unterstützung erhalten. Ich danke auch meinem und unserem Freund Erdoğan für die uneingeschränkte Unterstützung unserer Unabhängigkeit und unserer territorialen Integrität. Wir haben heute vereinbart, dass die Zufahrt zum Schwarzen Meer für russische Kriegsschiffe gesperrt wird. Es ist umgesetzt. Ein guter Freund der Ukraine ist Ilham Hejdar Aliev, der Präsident Aserbaidschans. Ich habe ihm gesagt, dass es der Ukraine an Öl und Ölprodukten fehlt. Es ist nicht einfach, aber jetzt werden sie geliefert. Aliev und Erdoğan haben angeboten, Gespräche mit Russland zu vermitteln. Das möchte ich ausdrücklich begrüßen.

Auch mit dem Bundespräsidenten der Schweiz, dem Ministerpräsidenten Griechenlands und dem niederländischen Ministerpräsident Rutte habe ich gesprochen. Es scheint, die Ukraine hat die Aufmerksamkeit und Anerkennung der gesamten zivilisierten Welt. Und das praktische Resultat: SWIFT. Welche Bedeutung hat dieses Wort für Russland! Der Ausschluss aus dem globalen Finanzsystem. Unsere Diplomaten haben rund um die Uhr mit vollem Einsatz gekämpft, damit alle europäischen Länder sich auf eine starke und gerechte Entscheidung einigen und Russland vom internationalen Geldverkehr isolieren. Auch diesen Sieg haben wir errungen! Das sind Milliarden über Milliarden Verluste für Russland. Ein ganz konkreter Preis für die hinterhältige Invasion in unser Land.

Wir haben immer gesagt: Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Und das bedeutet: Wir können das Größte erreichen. Ich habe heute mit einigen Oberhäuptern ukrainischer Kirchen und Religionsgemeinschaften gesprochen: mit Metropolit Epiphanius, Patriarch der Orthodoxen Kirche der Ukraine, mit Metropolit Onufrij, Patriarch der Ukrainischen Orthodoxen Kirche,[1] mit Scheich Tamim, Mufti der Ukraine, mit Jakov Blaich, Oberrabbiner von Kiew und der Ukraine, und mit Papst Franziskus, dem Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche. Alle, alle diese Kirchenführer beten für unsere Verteidiger, für die Seelen unserer Verteidiger, die ihr Leben für unsere Ukraine gegeben haben, für unsere Einheit und für unseren Sieg. Dies ist sehr, sehr wichtig. Sie wissen, in Kiew war heute ein schöner sonniger Tag, ein Tag, den die Besatzer uns verderben wollten, so wie alle anderen Tage in unserer Geschichte. Gleichzeitig war es der erste Lebenstag eines Mädchens, das in der Nacht auf den Samstag in einem Schacht der Kiewer U-Bahn geboren wurde. Dort ist jetzt ein Schutzkeller.

Wir verteidigen uns gut, Sie wissen es aus den Medien. Ich will noch eine Sache sagen: Wir werden so lange kämpfen, wie es nötig ist, um unser Land zu befreien. Wenn schon in Schutzkellern Kinder geboren werden, während draußen die Bomben fallen, dann hat der Feind keine Chance in diesem Krieg, der eindeutig ein Krieg des ganzen Volks ist. Auf den Sieg. Ehre der Ukraine!

Ansprache des Präsidenten der Ukraine Volodymyr Zelens’kyj am 25.2.2022

Ruhm den ukrainischen Streitkräften! Ein Hoch auf die Jungs und Mädels, unsere Verteidiger! Ihr seid großartig, ihr verteidigt unser Land gegen einen der mächtigsten Staaten der Welt. Heute hat Russland unser gesamtes Staatsgebiet attackiert. Unsere Verteidiger haben heute Außerordentliches geleistet. Nahezu das gesamte ukrainische Territorium war direkten Angriffen ausgesetzt, doch sie haben es gehalten und versuchen, die Gebiete zurückzuerobern, die der Feind eingenommen hat, zum Beispiel Hostomel in der Nähe von Kiew. Das dient der Sicherheit der Hauptstadt. Nach vorläufigen Angaben haben wir heute bereits 137 Helden verloren, 137 Bürger unseres Landes, unter ihnen zehn Offiziere. 316 Personen wurden verwundet. Unsere Jungs auf der Insel Smijnyj, unsere Grenzsoldaten, die die Insel heldenhaft bis zum letzten verteidigt haben, sind alle umgekommen. Aber sie haben sich nicht ergeben. Ihnen allen wird postum der Titel „Held der Ukraine“ verliehen. Ewiges Gedenken denen, die ihr Leben für die Ukraine gelassen haben. [Gedenkminute]

Ich danke allen, allen, die in diesem Moment Menschen retten, die mithelfen, die Ordnung im Land aufrechtzuerhalten. Der Feind attackiert nicht nur militärische Objekte, wie er behauptet, sondern auch zivile. Er tötet Menschen und macht friedliche Städte zu militärischen Zielscheiben. Das ist niederträchtig, und es wird niemals verziehen. Ich weiß, dass jetzt viele verschiedene Informationen, viele Fake-News verbreitet werden, unter anderem auch die Information, ich hätte Kiew verlassen. Ich bleibe in der Hauptstadt, ich bleibe bei meinem Volk. Ich habe heute im Laufe des Tages Dutzende Gespräche auf internationaler Ebene geführt, bin den konkreten Staatsgeschäften nachgegangen, und ich werde in der Hauptstadt bleiben, auch meine Familie ist in der Ukraine, auch meine Kinder sind in der Ukraine. Meine Familienmitglieder sind keine Verräter, sondern Bürger der Ukraine. Aber wo sie sich derzeit befinden, darf ich nicht mitteilen. Nach unseren Erkenntnissen hat der Feind mich zum Ziel Nummer eins und meine Familie zum Ziel Nummer zwei erklärt. Ihr Ziel ist die politische Vernichtung der Ukraine, der Weg dahin die Tötung des Staatsoberhaupts. Uns liegen Informationen vor, wonach Sabotagetrupps des Feindes in Kiew eingedrungen sind. Deswegen appelliere ich an alle Kiewerinnen und Kiewer, seien Sie vorsichtig, halten Sie die Ausgangssperre ein. Ich bleibe im Regierungsviertel, zusammen mit allen anderen, zusammen mit allen, die für die Arbeit des Staatsapparates unentbehrlich sind. Ich habe heute mit den verschiedensten führenden internationalen Politikern gesprochen, sie alle haben mir Folgendes versichert: Erstens: Wir werden unterstützt, ich bin wirklich jedem Staat dankbar, der der Ukraine konkret hilft, und zwar wirklich konkret und nicht nur mit Worten. Aber es gibt noch einen zweiten Punkt: Bei der Verteidigung unseres Staates stehen wir allein. Wer ist bereit, an unserer Seite zu kämpfen? Ganz ehrlich: Ich sehe niemanden. Wer gibt der Ukraine eine Beitrittsgarantie für die NATO? Ganz ehrlich: Das traut sich niemand. Aus Moskau haben wir heute gehört, dass man doch zu Gesprächen bereit ist, dass man mit uns über die Neutralität der Ukraine sprechen will. Ich möchte allen Partnern unseres Landes sagen, jetzt ist ein wichtiger Moment, das Schicksal unseres Landes steht auf der Kippe. Ich frage sie: Steht ihr an unserer Seite? Sie antworten, ja, wir stehen an eurer Seite, aber wir sind nicht bereit, euch in unsere Allianz aufzunehmen. Ich habe heute die 27 EU-Staatschefs gefragt, ob die Ukraine der NATO angehören wird, ganz direkt habe ich gefragt. Alle haben Angst, keiner gibt Antwort, nur wir haben keine Angst, vor nichts. Wir haben keine Angst, unseren Staat zu verteidigen, wir haben keine Angst vor Russland, und wir haben auch keine Angst davor, mit Russland zu reden, wir trauen uns, über alles zu reden, über Sicherheitsgarantien für unseren Staat, wir haben keine Angst, über die Neutralität unseres Staates zu reden, denn wir sind ja jetzt nicht in der NATO. Aber welche Garantien werden wir bekommen? Und vor allem von welchen Ländern, ganz konkret? Natürlich müssen wir über die Beendigung dieses Überfalls, über die Beendigung dieses Krieges reden. Aber jetzt hängt das Schicksal unseres Landes voll und ganz von unserer Armee ab, von unseren Helden, von unseren Sicherheitskräften, von all unseren Verteidigern, von unserem Volk, von Ihrer Klugheit und von der umfassenden Unterstützung aller Freunde unseres Landes. Ruhm der Ukraine!

Übersetzungen: Claudia Dathe, Olga Radetzkaja, Lukas Wahden, Volker Weichsel

Quelle: https://t.me/V_Zelenskiy_official


[1] Es handelt sich um die Metropoliten der beiden großen orthodoxen Kirchen in der Ukraine, jene des Kiewer Patriarchats und jene des Moskauer Patriarchats. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats.